Die erste Frage des Tages: “Meinst du, es ist noch zu früh, um Klavier zu spielen?” – “Ja, meine ich. Es ist gerade mal Viertel vor sieben.” Ein enttäuschtes “Okay”, dann bricht “Je ne regrette rien” nach nur zwei oder drei Takten ab.
Mittags ist meist das Prinzchen zuerst. Wohnungstür auf, Jacke und Leuchtsteifen in die Ecke und ab ans Klavier. Improvisationen, verziert mit Bruchstücken von “My heart will go on”, “Du käre lilla snickerbo” und “Freude schöner Götterfunken.” Mit Verve haut unser Jüngster in die Tasten, bis plötzlich ein empörter Karlsson in der Tür erscheint. “Lass mich, ich durfte heute Morgen schon nicht!” Kurzes Gerangel, lautes Geheul, dann endlich das am Morgen unvollendet gebliebene “Je ne regrette rien”, gefolgt von “Milord”, wenn ich nicht vorher zum Essen rufe.
Mit etwas Glück schaffe ich es, meinen Teller leer zu essen, ehe Karlsson schon wieder mit der Piaf loslegt. Was ja nicht so schlimm wäre, stünde das Klavier nicht gerade mal zwei Meter neben dem Esstisch. Besonders lustig wird es, wenn “Meiner” etwas später zum Mittagessen kommt. Dann sitzen wir einander gegenüber und brüllen uns gegenseitig an, um wahlweise unseren Ältesten oder unseren Jüngsten zu übertönen. Und wehe, wir bitten um Ruhe. Dann sind wir Kunstbanausen, Spielverderber oder einfach nur doof.
Eigentlich ist “Meiner” aber ohnehin nicht berechtigt, dem Spiel ein Ende zu setzen. Ist unser altes, verstimmtes Klavier nämlich ausnahmsweise mal frei, traktiert er das arme Ding mit alten Weisen aus dem Bündnerland und zwar nicht minder laut als seine Söhne. So begehrt ist das Instrument inzwischen, dass meine Gehörgänge zu rebellieren anfangen. Sie beklagen sich, ich hätte damals, als wir die Wohnung umstellten, darauf bestehen sollen, das Klavier in einem entlegenen Winkel der Wohnung zu platzieren.
Man muss sie auch verstehen, meine Gehörgänge. Sie haben zwar ganz und gar nichts gegen den musikalischen Eifer unserer Familienmitglieder, aber sie würden es schon bevorzugen, wenn die Lieben “the piano” spielen würden und nicht “il pianoforte”.
Irgendwo muss sich die italienische Herkunft halt auch Ausdruck verschaffen.
le maquillage; prettyvenditti.jetzt