Phoksoliva?

Michael Frayn kommt mit einem neuen Roman: “Willkommen auf Skios/Skios”. Was zu Vexierspiel  und spielbarer Vorlage für eine beißende Satire über Gesellschaft und Wissenschaftsbetrieb taugt, bleibt in den Kulissen hängen, der Biss stumpf. 

Oliver Fox und Dr. Norman Wilfred kommen im selben Flugzeug auf der griechischen Insel Skios an. Während der Akademiker abgeholt und auf einer Tagung der Fred-Toppler-Stiftung einen Vortrag zur Szientometrie halten soll, hat der andere eine Hütte im Sinn, wo er sich mit einer kürzlich begonnenen Affäre treffen möchte. Natürlich hält Nikki Hook, die PA des Stiftungsdirektors, ein Schild hoch und Oliver Fox spaziert ihr fröhlich entgegen und fortan ist er Dr. Norman Wilfred, während der nun Ausgetauschte an zwei radebrechende griechische Taxifahrer gerät – Spiros und Stavros -, das fröhliche “Phoksoliva?” als Willkommensgruß missversteht und als “Fox, Oliver” in dessen  Liebeshütte gefahren wird. Selbstverständlich werden auf dem Laufband die beiden Koffer vertauscht und ab geht’s.

Dieses Setting, das der Zufall sich gestrickt hat, mag man akzeptieren, entwickelte sich daraus eine Geschichte. Leider entwickelt sich da rein gar nichts. Der Zufall lässt links eine fallen, nimmt rechts zwei dazu und strickt an seinem löchrigen Leibchen weiter.

Nachdem sich Nikki in den verjüngten Dr. Wilfred verliebt hat, reist auch noch Georgie an, mit der zusammen sie auf der Schule gewesen war, die witzigerweise genau jene ist, die Oliver Fox in der einsamen Liebeshütte treffen will, wo jene aber auf den nackten, aber realen Dr. Norman Wilfred stößt. Wenn Logik und gesunder Menschenverstand sich schon im Bisherigen und noch mehr im Folgenden in den Schwanz beißen, geht der Erzähler einfach darüber hinweg, ignoriert die Canyons im Plot und zur Not lässt er den Handys der Figuren den Saft ausgehen oder es fehlen die passenden Adapter. Immerhin handelt es sich um Engländer auf einer griechischen Insel.

Phoksoliva? Phoksoliva? Phoksoliva? Phoksoliva? Phoksoliva? Phoksoliva?

So rennen bald Leute raus dem einen Bild und rein in das andere, dessen Szenerie gerade von denen geräumt wurde, deren Aufeinandertreffen die ganze Farce schon auf den ersten 100 Seiten beenden würden. Michael Frayns Herkunft als Dramaturg und Drehbuchautor schimmert durch, aber sie glänzt nicht. Der alte Mann hat einen Heidenspaß daran, nochmal die Aufzüge füllen und leeren, die Kulissen hoch- und runterfahren zu lassen. Das darf er auch. Hat er sich mit feinsinnigen Romanen wie “Das verlorene Bild” und “Das Spionagespiel” das Recht dazu  erschrieben. “Willkommen auf Skios” bleibt im Boulevardesken hängen, man denkt nicht einmal an Londoner Theater, sondern an den Kudamm, an Rainer Hunold, Ilja Richter und Marion Kracht.

Hätte Frayn den Figuren etwas von der Seele eingehaucht, welche das Personal seines bisherigen Schaffens erfüllte… Warum dem Hochstapler Oliver Fox alle auf den Leim gehen… man weiß es nicht. Man erfährt nur, dass es so ist. Gut, die Menschen wollen glauben, was sie sehen und selbst als er offen sagt, er sei nicht Dr. Wilfred, wird ihm keinerlei Glauben geschenkt. Es geschieht einfach. So schaut Oliver Fox 300 Seiten melancholisch aus der Wäsche, wischt das lange Haar aus dem Blick und lächelt schief. Das war’s. Kein Krull, kein Yossarian… nicht einmal im Ansatz.

“Es erstreckte sich so furchterregend und unwiderstehlich vor ihm wie das Seil vor einem Seiltänzer. Plötzlich hatte sich die Welt wieder einmal verdunkelt, und es gab nur noch das angestrahlte dünne Seil über dem Abrgund, den unsicheren schmalen Grat, über den er gehen musste. Und schon glitt er mit dem ersten Fuß über die finsteren Tiefen des Scheiterns und der Demütigung, so wie er sein ganzes Leben lang gewusst hatte, dass er es tun würde [...].”

Der reale Dr. Wilfred lebt das Klischee des dicken Wissenschaftlers mit schütterem Haar, der mit einem Mal das alte Leben abstreifen und ein wildes junges beginnen möchte. Weshalb? Zur Erklärung werden zwei Leberflecke mit Sonnenöl eingecremt. So etwas kann schon die Richtung eines Lebens verändern, eine Figurenentwicklung ist das allerdings nicht.

So schmerzen hier zwei Dinge. Zum einen heißt der Autor Michael Frayn. Der ist zwar mittlerweile bald 80 Jahre alt, aber das sollte kein Hinderungsgrund sein, zumindest auf halber Strecke da weiterzumachen, wo das “Spionagespiel” geendet hatte.

Zum anderen bietet das Sujet des Wissenschaftlerkongresses unzählige Chancen, den Plot zu verfeinern. Handelt es sich bei der Tagung doch um die Erkenntnisfähigkeit und Messbarkeit von Rationalität, was im Roman nicht annähernd aufgenommen wird. Es könnte die Jahrestagung der IG Boulevardtheater oder der Kleingartenfreunde sein.

Als nach 300 Seiten die ausgetauschten und vertauschten Männer und Frauen endlich zusammengefunden haben, kommt es zum plattesten Schluss, der sich denken ließe… ein Scheich fängt Feuer und zwei Gangs, von deren Existenz nur der Erzähler geahnt hat, schießen wild um sich.

So wäre es zu Beginn besser gewesen, hätte Dr. Wilfred dem Taxifahrer geantwortet:

“Phoksoliva?”

“Nein, danke.”

Besser für Dr. Wilfred und besser die Leser.

Michael Frayn: “Willkommen auf Skios”, übersetzt von Anette Grube, Carl Hanser Verlag 2012, 288 Seiten.

Bruten Butterwek

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