Philip Roth: Portnoy’s Complaint (1969)

Von Vigoleis01

Titel: Portnoy’s Complaint
Autor: Philip Roth
Verlag: Vintage
Jahr: 2005 (Original 1969)
ISBN: 978-0-099-39901-8
Umfang: 274 Seiten, Taschenbuch

Seit “Catcher In The Rhye” habe er keinen amerikanischen Roman mit so grossem Vergnügen gelesen, schrieb Josh Greenfeld am 23.2.1969 in der New York Times über “Portnoy’s Complaint”. In seiner Rezension erkannte er den wegweisenden Charakter des Buches, das Roth zum Durchbruch, dem (jüdisch-)amerikanischen Schriftstellertum zu neuem Selbstvertrauen und der Weltliteratur zu einer unvergesslichen Figur – Alex Portnoy – verhelfen sollte.

“Doctor Spielvogel, this is my life, my only life, and I’m living it in the middle of a Jewish joke! I am the son in the Jewish joke–only it ain’t no joke!”

Der Roman ist ein einziger, in der Chronologie hin und her springender Monolog des Protagonisten Alexander Portnoy, den dieser auf der Couch seines Psychoanalytikers Dr. Spielvogel – oder zumindest als Vorbereitung einer Sitzung bei diesem – von sich gibt.

“Something freewheeling and funny”, habe er schreiben wollen, so der Autor Philip Roth. Mit der aberwitzigen Geschichte von Alex Portnoy, dem grossen misogynistischen Onanisten vor dem Herrn, einem Zweifler, der sich in Selbstzerreissung und Selbstinszenierung gleichermassen auskennt, ist ihm das mehr als gelungen. Portnoy ist ein zutiefst verstörter Charakter, ergriffen von Abscheu vor dem Schuldbewusstsein der jüdischen Mittelklasse, der er enstammt. Was immer er tut – seine Eltern, vor allem die Mutter, dräuen als vorwurfsvoll blickende Gestalten am Horizont. Er misstraut der jüdischen “hopeless, senseless loyalty to the long ago” (der hoffnungslosen, sinnlosen Demut vor dem Vergangenen). “Stick your suffering heritage up your suffering ass!”, rät er seiner Familie.

Kein Wunder ergoss sich nach Veröffentlichung des Romans ein Wasserfall der Kritik seitens orthodoxer Juden über Roth. Schlechter als das Judentum kommt bei Portnoy nur das Christentum weg. Als er über christliche Weihnachtsbräuche nachdenkt, fragt er sich: “How can they possibly believe this shit?”

Seine Freiheit findet der junge Alex in exzessiver Masturabtion, der älterwerdende in Affären mit (nicht-jüdischen) Frauen. Beides betreibt er mit religiösem Eifer. Er ist ein Misogynist, ein Frauenhasser, seine Bettgespielinnen nennt er The Monkey, The Pumpkin oder The Pilgrim. Rücksichtslos lebt er seine Perversionen aus, sagt:

“What I’m saying, Doctor, is that I don’t seem to stick my dick up these girls, as much as I stick it up their backgrounds – as though through fucking I will discover America. Conquer America – maybe that’s more like it.”

Schrecklicher als gegenüber seinen Mitmenschen verhält er sich nur gegenüber sich selbst. “Nothing but a self-hating jew” sei er, wirft ihm die Israelin Naomi vor, die er zum Sex zwingen will, dabei aber final an seinem eigenen Unvermögen scheitert. Er selbst inszeniert sich vor dem Psychiater, der erst im Schlusssatz zu Wort kommt, als tragischen, sich selbst zerfleischenden Helden. “With a life like mine, Doctor, who needs dreams?”, fragt er. Alles in seinem Leben, Dinge, die andere mit geschlossenen Augen erlebten, geschehe ihm tatsächlich: “The disproportionate and the melodramatic, this is my daily bread!”

Mit Holden Caulfield, dem Protagonisten des eingangs erwähnten “Catcher In The Rhye” (J.D. Salinger, 1951), hat Portnoy unter anderem die notorische Distanzierung von und Abscheu vor den meisten Mitmenschen und die Neigung zur tragischen Selbstkritik gemein. Als Leser lacht man – und fühlt sich oft gleichzeitig genervt. Alles, was Portnoy erzählt, erzählt er ironisch, in Form des nicht-witzigen Witzes, als den er sein Leben sieht.

Ein Beispiel: Die Beschreibung eines Besuchs bei einer nicht-jüdischen Familie in Iowa.

 ”Then there’s an expression in English, “Good morning,” or so I have been told; the phrase has never been of any particular use to me. Why should it have been? At breakfast at home I am in fact known to other boarders as “Mr. Sourball” or “The Crab.” But suddenly, here in Iowa, in imitation of the local inhabitants, I am transformed into a veritable geyser of good mornings. That’s all anybody around that place knows how to say – they feel the sunshine on their faces, and it just sets off some sort of chemical reaction: Good morning! Good morning! Good morning! …”

“Portnoy’s Complaint” ist ein humorvoller, streitlustiger, vulgärer Roman, der anno 2014 nicht mehr so skandalträchtig scheint, wie er das vielleicht 1969 getan hat, der aber immer noch ein fulminantes Lektürevergnügen ist. Die ekstatische Erzählweise, die mit vielen jiddischen Ausdrücken durchsetzte Sprache, die grotesken Übertreibungen und Ausschweifungen, die gnadenlose Ehrlichkeit des Erzählers, der kein noch so wüstes Detail auslässt, sind brillant in Szene gesetzt. Mit diesem in sechs grössere Kapitel gegliederten epischen Monolog hat Roth das optimale Format für seine Figur Alex Portnoy gefunden.

Der Erzählende lamentiert, verlässt sich allein auf seine wilde Assoziationsgabe, Freud in der einen, seinen Penis in der anderen Hand, das Küchenmesser, mit dem ihn seine Mutter einst zu kastrieren drohte, stets nur einen Gedanken entfernt. Man hasst und / oder liebt ihn, diesen Zerrissenen. Lesen sollte man ihn auf jeden Fall.