Pharmaindustrie: Fehlverhalten und Justizfälle [akt.]

War die $3 Mrd. Busse gegen GlaxoSmithKline ein Einzelfall? Was waren die Bussen der letzten Jahre? Welche Ermittlungen sind im Gange?

Ich bin nicht gegen Pharma, aber ich bin gegen unsaubere Machenschaften und illegale Praktiken. Die Pharmaindustrie vertreibt lebensrettende Medikamente und ist eine wichtige Industrie. Leider aber scheint der Gewinn mit allen Mitteln maximiert zu werden – mit legalen und illegalen.

US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012US Bussen für Big Pharma bis Juli 2012 Bei der Pharmaindustrie hat man manchmal den Eindruck es gehe nur ums Verkaufen – soviel und so teuer wie möglich. Ungeeignete, mittelmässige oder gar nutzlose Medikamente werden nach allen Regeln der Kunst, teilweise illegalen, an den Mann und die Frau gebracht. Es werden Ärzte, Forscher, Studien und Politiker manipuliert. Studien beschönigt, Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht, «negative Resultate» unterdrückt, Wirkungen übertrieben. Produktionsprozesse nicht im Griff. Überrissene Preise werden verrechnet. Bestechungsgelder (Kickbacks) an Ärzte für Verordnungen bezahlt(, welche auch angenommen wurden). Kritiker bedroht und eingeschüchtert. Nein, es handelt sich hier nicht um die Mafia.

Ich habe einmal eine Zusammenstellung der Bussen der US Justiz erstellt, zusammen mit anderen dokumentiertem Fehlverhalten. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Unternehmen Grund Busse Mio $ Jahr Referenz

Novartis Marketingfehlverhalten, Kickbacks (Trileptal) 422.5 2010 Tagi blog.nytimes USDOJ

Novartis Frauendiskriminierung 250 2010 NZZ

Roche Marketingfehlverhalten und Preismanipulation (Rituxan) 20 2011 Pharmalot

Pfizer Marketingfehlverhalten, Schmiergeld (Bextra, Lipitor, Viagra) 2300 2010 NZZ

Eli Lilly Marketingfehlverhalten (Zyprexa) 1400 2010 NZZ USDOJ

Branche Verzögerung, Blockierung von Generika (Bericht EU) 2008 NZZ

GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Paxil, Wellbutrin, Avandia, Advair, Lamictal, Zofran), Kick-Backs (Imitrex, Lotronex, Flovent, Valtrex), Überzogene Rechnungen 3000 2012 Blogartikel Tagi Spiegel USDOJ, USDOJ Pharmalot Pharmalot

GlaxoSmithKline Marketingfehlverhalten (Wellbutrin SR) FDA Klage Offen Pharmalot

Merck Serono Kickbacks (Rebif®) 44.3 2011 Bloomberg, USDOJ

Merck KGaA Produktionsprobleme FDA Brief 2012 Pharmalot

Merck Serono Marketingfehlverhalten (Serostim) 704 2005 USDOJ

Bayer Healthcare Marketingfehlverhalten (Xarelto) Klage 2012 Spiegel

Pfizer Marketingfehlverhalten (Neurotonin) 141 2010 Reuters Pharmalot

Pfizer Brustkrebs (Prempro) 45 2012 Bloomberg

Pfizer Brustkrebs (Prempro) 10.4 2012 Bloomberg

Pfizer Brustkrebs (Prempro) 896 2012 Bloomberg Businessweek Bloomberg

Pfizer Brustkrebs (Prempro) 72 2011 Pharmalot

Pfizer Neu! Mutmasslich illegaler Freilandversuch an Kindern in Afrika (Trovan), Druck auf Staatsanwaltschaft 75 2010 Süddeutsche US Cable Guardian

Merck (MSD) Marketingfehlverhalten (Vioxx®) C$ 37 2012 Yahoo

Merck (MSD) Marketingfehlverhalten (Vioxx®) 950 2011 Spiegel USDOJ

Pfizer Nichtpublikation negativer Resultate (Reboxetine) Publ. 2010 IQWiG BMJ

Pfizer (Wyeth) Ghostwriting (HRT) Publ. 2010 Ärzteblatt

GlaxoSmithKline Produktqualität (Avandia, Paxil) und Produktionsmethoden 750 2010 independent.co.uk

Elan Marketingfehlverhalten (Zonegran) 203 2011 USDOJ USDOJ

Dey Preisbetrug 280 2010 USDOJ

Forest Marketingfehlverhalten (Levothroid, Celexa, Lexapro) 313 2010 USDOJ

Abott Marketingfehlverhalten (Depakote) 1600 2012 USDOJ Pharmalot

Novo Nordisk Marketingfehlverhalten (Novoseven) 25 2011 USDOJ

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Topamax) 81 2010 USDOJ

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 181 2012 Pharmalot

Johnson & Johnson Manager Nichtgenehmigte Studien mit Todesfolge Gefängnis 2×9M + 4M 2011 Pharmalot

Sanofi-Aventis Preisbetrug 190 2007 USDOJ

Novo Nordisk Kauf von Patientendaten (Novolin, Novolog) 1.7 2011 USDOJ

AstraZeneca Off-Label Marketing, Kickbacks (Seroquel®) 520 2010 NYimes NYTimes USDOJ

AstraZeneca Marketingfehlverhalten (Seroquel®) 26 2012 Pharmalot

AstraZeneca Marketingfehlverhalten, Irreführung bei Nebenwirkungen, Nichtveröffentlichung negativer Resultate (Seroquel®) 68.5 2011 Pharmalot

Bristol-Myers Squibb Marketingfehlverhalten 515 2007 NYTimes Pharmalot

Bristol-Myers Squibb Bilanzmanipulation (Channel stuffing) 300 2005 Bloomberg

Bristol-Myers Squibb Bilanzmanipulation (Channel stuffing) (Erbitux, Vanlev) 300 2004 Bloomberg

Bristol-Myers Squibb Manager Bilanzmanipulation 0.17 2012 Pharmalot

Bristol-Myers Squibb Manager Bilanzmanipulation 0.4 2010 Pharmalot

Fresenius Kabi Bedrohung (HES) 2012 Spiegel

GlaxoSmithKline Bedrohung (Avandia) 1999 US Senate

Pfizer, Ranbaxy Generikaverzögerung, Kartellabsprache («Pay for Delay») (Lipitor) Klage 2012 BloombergBusinessNews

Deutsche Homöopathie-Union (DHU), Biologische Heilmittel Heel, Staufen Pharma, WALA Heilmittel, Weleda, Hevert Journalisten Diskreditierung 2012 Süddeutsche

Teva Pharma Übertreibung der Wirkung und Sicherheit (Copaxone®) FDA Warning 2012 FDA Letter Pharmalot

Teva Pharma Anwendungsrisiken (Propofol) 250 2012 Bloomberg Pharmalot

Teva Pharma Anwendungsrisiken (Propofol) 500 2010 Pharmalot

Ungenannt Erpressungsversuche der Inserenten bei Ärztezeitung Artikel 2011 SÄZ

GlaxoSmithKline Unterdrückungsversuch kritischer Meinung (Avandia) Editorial 2010 Euro. Heart Journal

Pfizer Korruption 60 2012 Pharmalot SEC Pharmalot

Teva Korruption Untersuchung (Subpoena) 2012 Pharmalot

Bristol-Myers Squibb Korruption Untersuchung (Subpoena) 2012 Pharmalot

Johnson & Johnson Korruption 70 2011 Pharmalot

Bayer Verletzung von Branchenrichtlinien (ABPI Code bei Xarelto) 2012 InPharm

Bayer Sammelklage (Yasmin) 402.6 2012 Bloomberg

Bayer Sammelklage (Yaz) 610.5 Offen Bloomberg

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 2200 Offen Bloomberg Pharmalot

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 158 2012 Pharmalot

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 327 2012 Bloomberg

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 258 2010 Bloomberg Pharmalot

Johnson & Johnson Marketingfehlverhalten (Risperdal) 1100 2012 SF.tv Handelszeitung Pharmalot

Bayer Marketingfehlverhalten (Aspirin) 15 2012 Businessweek

Pfizer Marketingfehlverhalten (Zithromax) FDA Warnung 2012 Pharmalot

Sanofi-Aventis Überzogene Rechnungen in Algerien (Overbilling) 25 2012 La Tribune Pharmalot

Sanofi-Aventis Überzogene Rechnungen in Kanada (Quadrace, Pentacel) 2.5 2012 Pharmalot

Roche Verheimlichung von Nebenwirkungen EMA Untersuchung Offen DRS1 Neu!Pharmalot EMA

Fresenius Medical Care Selektive Information (GranuFlo) FDA Untersuchung Offen NY Times Pharmalot

Johnson & Johnson Fehlerhafte Hüftimplantate 0.6 2012 Businessweek

AstraZeneca Irreführung bei Nebenwirkungen (Seroquel®) 46 2012 PharmaGossip

Eli Lilly Zahlung ohne Schuldeingeständnis, Vorwurf Marketingfehlverhalten (Zyprexa) 45 PharmaGossip

Bristol-Myers Squibb Manager lügt vor Gericht Memoiren schreiben 2012 WSJ Pharmalot

Abott Produktregelverstösse 100 1999 Pharmalot

TAP Pharmaceutical (joint venture Abbott and Takeda Pharmaceutical) Manipulation Medicaid und Medicare 875 2001 Pharmalot

Cetero CRO: Datenmanipulation und Studienfälschung, Teva betroffen Konkurs Pharmalot Pharmalot

Cypress Pharmaceutical Marketingfehlverhalten (Hylira, Zaclir, Zacare) 2.8 2012 Pharmalot

GlaxoSmithKline Marketingfehlverahlten (Avandia) 90 2012 Staatsanwalt Maryland Neu!

Auflistung von Fehlverhalten und Bussen der Arzneimittelindustrie (Big Pharma und Homöopathie) der letzten Jahr. USDOJ = US Departement of Justice. Stand: 31.08.2012

Von 1987 bis 2011 zahlte die Pharmaindustrie für $30 Mrd. Bussen (DOJ, DOJ, Pharmalot, Pharmalot), davon in den Jahren 2009 und 2010 je $3 Mrd. Im Jahre 2012 zahlt allein GlaxoSmithKline eine Busse von $3 Mrd.

Die Bussen sind meistens als Vergleiche zwischen der US Justiz und den entsprechenden Pharmaunternehmen zustande gekommen. Die Bussen wurden also ausgehandelt. Dies ist in der US Justiz möglich. Leider sind in den wenigsten Vergleichen, interne Dokumente veröffentlicht worden, die weitergehende Einblicke in das Geschäftsgebaren gezeigt hätten.

Die vollständige Liste der Übereinkommen der US Justiz mit Unternehmen: Corporate Integrity Agreements

Weitere Fälle sind in Bearbeitung der US-Justiz, z.B. womögliche weitere $2.2 Mrd. Busse für Johnson & Johnsohn (Bloomberg). Stay tuned – wie die Amerikaner zu sagen pflegen.

Pillen und Dollars© by Photos8.org

Die grössten Pharmakonzerne der Welt

# Unternehmen Sitz Umsatz (in Mrd. USD)

1 Pfizer USA, New York 57.7

2 Novartis Schweiz, Basel 54.0

3 Merck & Co., Inc. (MSD) USA, New Jersey 41.3

4 Sanofi-Aventis Frankreich, Paris 37.0

5 Hoffmann-La Roche Schweiz, Basel 34.9

6 GlaxoSmithKline Großbritannien, London 34.4

7 AstraZeneca Großbritannien, London 33.6

8 Johnson & Johnson USA, New Jersey 24.4

9 Abbott USA, Illinois 22.4

10 Eli Lilly and Company USA, Indianapolis 21.9

Quelle: Wikipedia, Stand: 2012, CC BY-SA

Off-Label Marketing

Eines der häufigsten Marketingfehlverhalten ist das Off-Label Marketing. Medikamente müssen wissenschaftliche geprüft werden und werden danach von den Gesundheitsbehörden zugelassen. Die Zulassung gilt dann für die untersuchte Krankheit. Ärzte sind frei in der Anwendung der Medikamente. Sie dürfen das Medikament also auch für ungeprüfte Krankheiten einsetzen (was auch gut ist). Die Pharmaunternehmen dürfen solche nicht geprüfte Anwendungen in den US jedoch nicht vermarkten, das wird als Off-Label Marketing bezeichnet. Beispielsweise wenn die Wirksamkeit für ein Medikament nur in einer bestimmten Krankheitskonstellation nachgewiesen wurde, das Medikament aber später als allgemein wirksames Medikament anpreisen und verkauft wird.

Untergraben der Wissenschaft

Die Hersteller von pharmazeutischen Produkten haben kommerzielle Interessen. Die Wissenschaft ist dabei ein notwendiges Übel, die Wahrheitssuche nicht das eigentliche Ziel. Es sind Fälle dokumentiert, wo dem «wissenschaftlichen» Nachweis «nachgeholfen» wurde. Es wurden «negative Ergebnisse» nicht publiziert. Von fünf Studien wurden nur 2 publiziert, 3/4 der untersuchten Patienten wurden unterschlagen. Das Medikament erschien so als wirksam, was aber mit allen Daten nicht nachgewiesen werden kann. (IQWiG BMJ)

Die Wissenschaft wurde noch auf vielfältige andere Arten verzerrt und verfälscht. Dokumentierte Fälle werde ich in einem separaten Artikel behandeln.

Lobbying

Die Pharmaindustrie nimmt mit druckvollem Lobbying Einfluss auf die Gesetzgebung. In den USA gibt es in Washington zweimal so viel Lobbyisten wie Parlamentarier (USA Today). Die Pharma-Lobbyorganisation PhRMA verfügt über gut gefüllte Kassen.

Auch in der Schweiz sieht die Sache nicht besser aus: Interpharma hat direkten Zugang zum Schweizer Parlament.

Lobbying wird bei den Pharmaunternehmen wahrscheinlich unter Marketing abgebucht. Novartis hat allein im letzten Jahr 15 Mrd. USD für Marketing ausgeben (Marketing Novartis).

Hilfreiche und wirksame Gesetze werden so verhindert oder verwässert.

Verzögern von Generika («Pay for delay»)

Ein weiterer Trick der Pharmaindustrie zum Abkassieren bei den öffentlichen Gesundheitssystemen ist es den Start von Generika nach Patentabläufen zu verzögern. Wie geht es? Patente sind zeitlich begrenzte Monopole. Nach dem Patentablauf kann der Markt spielen. Generika werden daher zu viel billigeren Preisen verkauft. Die Patentinhaber haben nun Absprachen mit den Generikaherstellern gemacht, damit diese noch zuwarten mit dem Verkauf ihrer Medikamente und können dabei die Monopolgewinne untereinander aufteilen (NZZ). Eine Win-Win-Situtation für die Pharmaindustrie auf Kosten der Prämien- und Steuerzähler. Das sind Absprachen gegen den freien Markt, also ein Kartell. Das ist ein Sakrileg in einer kapitalistischen Marktordnung.

Korruption

Neben den subtileren Methoden gibt es noch die ganz plumpe Korruption, z.B. mit Kickback-Zahlungen an Ärzte. Die Ärzte bekommen im Nachhinein eine «Provision» für die Verschreibung. Je mehr Medikamente ein Arzt also verschreibt, desto mehr verdient er. Alte Patienten und chronisch kranke Patienten sind dafür besonders geeignet.

Kommentar

Die Pharmabranche präsentiert sich als grosse Wohltäterin der Menschheit. Bei genauerem Hinsehen ist vieles nicht so sauber wie es aussieht und die grossen Gewinne sind teilweise illegalem Verhalten zu verdanken. Die Bussen, obwohl sie hoch erscheinen, sind leider in keinem Verhältnis zu den Gewinnen der Pharmaunternehmen. Die Bussen werden wahrscheinlich einfach in die «Betriebskosten» miteinkalkuliert.

Die Manager der Pharmaindustrie gehören zu den bestbezahlten der Welt überhaupt. Hohe Löhne scheinen in umgekehrtem Verhältnis zu ethischem Verhalten zu stehen.

Die obigen Beispiele zeigen das grosse manipulative Verhalten der Pharmaindustrie. Die fast unerschöpflichen finanziellen Mittel der Pharmaindustrie können eine korrumpierende Wirkung entfalten. Finanzielle Beiträge sind immer und überall willkommen.

Patientenorganisationen müssen sehr vorsichtig im Umgang mit der Pharmaindustrie sein. Die Unabhängigkeit muss gewahrt werden. Gefällikeiten durch die Industrie sind gefährlich. Die Glaubwürdigkeit kann sonst schlecht aufrecht erhalten werden. Das gleiche gilt auch für Ärzte und Wissenschaftler.

Das Sponsoring muss überdacht werden. Was nützt es einem Läufer, wenn er schneller laufen kann, dafür aber in eine verkehrte Richtung? Ein Rennen wird er sicher nicht mehr gewinnen.

Bei Inseraten oder Sponsorings sollten die Mitglieder und Betroffenen auf das unrechtmässige Verhalten des Sponsors hingewiesen werden, z.B. auf die Fehlverhalten innerhalb der letzten fünf Jahre. Auch die Inseratetarife für solche Sponsoren sollten angepasst werden, z.B. 10× den ordentlichen Tarif.

Die US Bürgerorganisation Public Citizen hat eine umfassende Analyse der Justizfälle erstellt: Pharmaceutical Criminal and Civil Penalties: An Update, Public Citizen, 27. Sep. 2012. Sie haben detaillierte Auswertungen gemacht. Dieser Bericht ist eine sehr gute Quelle.


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