Pfiffikus im 3D-Dschungel
Tim schlendert über einen Brüsseler Flohmarkt und dabei lässt er sich nicht nur von güldenem Sonnenschein bescheinen, sondern spaziert auch noch in 3D daher: Jedes Härchen, jede Sommersprosse des Reporters in Knickerbockern tritt kristallklar hervor. Jeder Schatten sitzt perfekt, die Textur der Materialien, ihr Gewicht – in Steven Spielbergs neuem Film Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn fährt das Animationsteam alles auf, was heute machbar ist.
Für den Vorspann hat sich Spielberg allerdings für einen Kniefall vor den Comics des Autoren und Zeichners Hergé entschieden: Da turnt Tim mit Foxterrier Struppi noch zweidimensional über die Leinwand, bis zu Silhouetten abstrahiert. Sobald der letzte Name der Filmemacher abgearbeitet ist, stürzt sich der Film kopfüber in einen visuellen Jahrmarkt.
Nicht nur in technischer Hinsicht wird hier geprotzt. Unter der Regie von Steven Spielberg stürzen sich Tim und Terrier in ein atemberaubendes Abenteuer: Tim ersteht auf dem Markt das Modell eines Schiffs, das offensichtlich viele Begehrlichkeiten weckt. Die Interessenten wedeln erst mit Geldscheinen und brechen dann in seine Wohnung ein – die legendäre Neugier des Reporters ist geweckt. Er gerät an Deck eines Schiffs und trifft dort seinen späteren Wegbegleiter: Käpt’n Haddock. Die drei Helden begeben sich auf Schatzsuche und hechten dabei von einer brenzligen Situation in die nächste.
Mutiger Reporter trifft versoffenen Kapitän
Mit den Comics hat der Film nicht viel gemeinsam, außer, dass er sich seiner Figuren und Ästhetik bedient. Den etwas distanzierten und behäbigen Erzählduktus, der die Tim-und-Struppi-Hefte so einzigartig macht hat Spielberg entrümpelt. Wenn man sich aber von vorneherein damit abgefunden hat, dass ein Film nicht die gleiche Faszination der Comics hervorrufen kann, dann hat Spielberg ziemlich viel richtig gemacht.
Den Charme der Figuren fängt er kundig ein: Der blitzgescheite Tim, der zwar kein Superheld ist, aber mit Mut und Beharrlichkeit die Tugenden eines guten Reporters pflegt. Der versoffene Käpt’n Haddock, der sich von einem Schlamassel in den nächsten manövriert, dabei aber immer für einen trockenen Spruch zu haben ist. Beide verstehen es auch auf der Leinwand den Zuschauer mühelos mitzureißen.
Auch wenn Story und Figuren gelungen sind, ist die visuelle Gestaltung der Trumpf des Films. Die Charaktere verdanken ihre erstaunliche Lebendigkeit dem Motion-Capturering-Verfahren: Jamie Bell, der den Tim spielt liefert die Mimik für die animierte Figur, die wie eine elastische Maske über sein Gesicht gelegt wird. Hinter dem bärbeißigen Käpt’n Haddock steckt Motion-Capturering-Veteran Andy Serkis, der schon Gollum im Der Herr der Ringe, King Kong und dem Schimpansen Cesar in Planet der Affen: Prevolution seine Mimik lieh. Daniel Craig steckt unter der Fassade des Schurken Ivanovich Sakharine.
Klar, protzen die Macher hier auch: Das Kameraauge schlawenzelt um eine Lupe herum, um zu zeigen, wie realistisch sich darin der Raum verzerrt und in 3D gibt das ohnehin einen verlässlichen «Boah»-Effekt. In der Wüste gibt es beinahe abstrakte Szenen, die an die schrägen Szenen aus Fluch der Karibik – Am Ende der Welt erinnert, in der Käpt’n Jack Sparrow mit seinem Schiff in einem weißen Nichts strandet. Auch auf dem Schiff, dessen Geheimnis Tim, Struppi und der andere Käpt’n lösen wollen, spielen sich Szenen ab, die an die Piratenfilmreihe erinnern.
Wunsch nach der Pausentaste
Von der Gemächlichkeit der Comicvorlage hat Spielbergs Film selbstverständlich nichts. Er hetzt seinen Tim vom Flohmarkt auf das Deck eines Schiffes, von dort in eine orientalische Stadt, in die Wüste und wieder zurück. All diese Ort sind liebevoll und detailverliebt ausgestattet, doch der Regisseur lässt ihnen nicht die Zeit, zu wirken. In der Sorge, der Zuschauer könnte sich langweilen hangelt er sich von einem pfiffigen Kniff zum nächsten. Das ist natürlich unterhaltsam, aber hin und wieder wünscht man sich eine Pausentaste oder Zeitlupe, um ausgiebig darüber staunen zu können, wie sich das Licht sich in Tims kupferner Stirnlocke bricht oder die Wellen auf hoher See so herrlich bedrohlich wogen.
Dafür gibt es rasante Actionszenen: Eine halsbrecherische Verfolgungsjagd zwischen Struppi und einer Katze bei der Tims Mobiliar arg in Mitleidenschaft gezogen wird, eine ereignisreiche wie gelungene Bruchlandung, bei der dann Tims Stirnlocke eine kleine Rasur erleidet. Die Filmemacher arbeiten außerdem sehr geschickt mit den physikalischen Gesetzen: Dafür bemühen sie Gummibänder, die Kettenreaktionen auslösen oder lassen Tim und Struppi einen Balanceakt zwischen schwankenden Stockbetten vollführen.
Die Zutaten, aus denen Spielberg seinen Film fabriziert, sind allesamt sorgsam ausgewählt. Auch die Story kann mit Spannung, Tempo und viel Situationskomik überzeugen.
Wenn mit so viel Tamtam ein zweidimensionaler Comic in Szene gesetzt wird, dann ist das auch ein Muskelspiel der Kinoindustrie. Mit allem, was die neueste Technik hergibt drängelt sich das Medium hier in den Vordergrund und ruft mit geschwellter Brust: «Seht her, was ich kann.» Auch wenn das ein spektakulärer Auftritt ist, den ganz besonderen Charme der Comics, die mit so viel reduzierteren Mitteln auskommen, kann dieser Film damit dennoch nicht ausstechen.
Titel: Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn
Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Jamie Bell, Andy Serkis, Daniel Craig, Simon Pegg, Nick Frost
Filmlänge: 107 Minuten
FSK: ab sechs Jahren
Verleih: Sony
Kinostart: 27. Oktober 2011
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«Tim & Struppi» – Pfiffikus im 3D-Dschungel
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