15.1.2012 – In Zeiten täglicher Koch-Shows im TV ist man beinahe versucht, Pfefferspray für ein kulinarisches Highlight aus der anspruchsvollen Küche zu halten. Die verharmlosende Wirkung des Begriffs gehört hier durchaus zum beabsichtigten Programm: Im Kontrast zu Reizgas, Nervengas oder Tränengas löst die Bezeichnung Pfefferspray in der Öffentlichkeit kaum bedrohliche Assoziationen aus.
Einsatz von Pfefferspray
Seit dem Jahr 2000 wurden Reizstoffsprühgeräte auf der Basis des Wirkstoffs „Oleoresin Capsicum“ (Pfefferspray) bei der deutschen Polizei als Einsatzmittel eingeführt, um „unmittelbaren Zwang“ auszuüben. Die Anwendung von Pfefferspray durch Polizeivollzugsbeamte ist mittlerweile weit verbreitet. Es kommt zunehmend bei Blockaden, Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit Fußballfans zum Einsatz.
Die Polizei setzt dabei überwiegend das sogenannte „RSG-4“ ein. Hierbei handelt es sich um ein Reizstoffsprühgerät mit einer Füllmenge von 30 ml und einer Sprühreichweite von bis zu fünf Metern. Darüber hinaus nutzt die Polizei das größere „RSG-8“, das mit einer Füllmenge von 400 ml und einer Reichweite von bis zu sieben Metern auf den Einsatz gegen größere Gruppen von Menschen optimiert wurde.
Während Pfefferspray als Kampfmittel in internationalen Konflikten durch das „Abkommen über biologische Waffen“ von 1972 verboten ist, wurde sein Einsatz im Inneren gestattet. Im Sinne des Waffengesetzes handelt es sich bei den Sprühgeräten um Waffen. Der Einsatz gegen Menschen wird, wenn er nicht durch die Polizei erfolgt, als gefährliche Körperverletzung geahndet und ist strafbar.
Entsprechend befüllte Sprühgeräte sind in Deutschland frei erhältlich, obwohl der im Pfefferspray enthaltene Wirkstoff „Oleoresin Capsicum“ hierzulande nicht zugelassen ist. Hersteller und Verkäufer umgehen das Erfordernis der Zulassung, indem sie entsprechende Produkte als „Tierabwehrsprays“ kennzeichnen.
Sowohl für den polizeilichen als auch für den zivilen Einsatz werden Reizstoffsprühgeräte in Deutschland von der privaten Firma Hoernecke angeboten. Privatkunden haben die Möglichkeit, zivile Entsprechungen zu den von der Polizei eingesetzten Modellen „RSG-4“ und „RSG-8“ frei zu erwerben.
Beobachter gehen davon aus, dass der polizeiliche Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten in den vergangenen Jahren exzessiv zugenommen hat. So wurden alleine bei einer Demonstration gegen Stuttgart 21 am 30.9.2010 über einhundert Menschen durch den Wirkstoff verletzt. Im Anschluss an den Castor-Transport 2010 bestellte die Polizei insgesamt 2.190 Sprühgeräte nach, was ebenfalls für einen verstärkten Einsatz spricht.
Die Wirkung von Pfefferspray kann mit erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden sein, die bis zum Tod der Betroffenen führen.
Gesundheitliche Risiken
Bereits die polizeilich erwünschte Wirkung von Pfefferspray ist bedrohlich: Oleoresin Capsicum wirkt hauptsächlich auf die Augen, die Haut und die Atemwege. Im Auge führt das Pfefferspray aufgrund heftiger Schmerzen zum sofortigen Lidschluss. Die Bindehaut schwillt an, es kommt zu starkem Tränenfluss und der Betroffene erleidet eine temporäre Erblindung, die bis zu 30 Minuten anhalten kann. Gelangt der Wirkstoff zwischen die Hornhaut und eine Kontaktlinse, dann entsteht dort ein Reizstoffdepot und es kommt zu erweiterten Reaktionen.
Auf der Haut löst Oleoresin Capsicum Entzündungsreaktionen mit intensiven Rötungen und Schwellungen aus, die bis zu 60 Minuten anhalten. In Bezug auf die Atemwege verursacht das Pfefferspray unkontrollierbare Hustenanfälle, Atemnot und Sprechschwierigkeiten über einen Zeitraum von bis zu 15 Minuten. Zusätzlich zwingen Krämpfe im Oberkörper den Betroffenen dazu, sich nach vorne zu krümmen.
Noch weitaus dramatischer fällt die Wirkung von Pfefferspray aus, wenn der Betroffene unter bestimmten Vorerkrankungen leidet, Medikamente eingenommen hat oder unter dem Einfluss von Drogen steht. So können Menschen mit Asthma eine Verkrampfung des Bronchialsystems oder einen Stimmritzenkrampf erleiden. Dies kann unter Umständen zum Tod führen.
Bei Betroffenen mit einem labilen Blutdruck oder arteriellen Bluthochdruck kann es zu massiven Kreislaufbeschwerden bis hin zu einer hypertensiven Krise kommen. Stehen Menschen unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln oder anderen Psychopharmaka, dann besteht das Risiko, dass die Wirkung von Pfefferspray tödlich ist. Gleiches gilt für Personen, die zum Zeitpunkt des Einsatzes unter Drogen stehen.
Nach bestätigten Berichten der US-Bürgerrechtsbewegung „ACLU“ sind seit 1993 alleine in Kalifornien 26 Menschen in der Folge von polizeilichen Einsätzen mit Pfefferspray gestorben. In Deutschland zählt man in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt sechs Todesfälle, die in Zusammenhang mit Polizeieinsätzen mit Pfefferspray stehen.
Im November 2010 beschäftigte sich der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages mit den gesundheitlichen Gefahren von Pfeffersprays. In dem Gutachten (Nr. 83/10) heißt es unter anderem:
„Beim Einsatz mittels Pfefferspray kann Capsaicin bleibende Schädigungen der Hornhaut jedenfalls dann verursachen, wenn der Abschuss aus kurzer Distanz und mit einer hohen Austreibungswucht vorgenommen wird.“
„Indirekte gesundheitliche Gefahren beim Einsatz von Pfefferspray bestehen insbesondere für solche Personen, die unter Drogeneinfluss stehen oder Psychopharmaka eingenommen haben.“
„Eine erhöhte Gefahr indirekter gesundheitlicher Folgen besteht schließlich für Asthmatiker, Allergiker und blutdrucklabile Personen bzw. bei arterieller Hypertonie.“
Pfefferspray gegen Menschen verbieten
Am 12. Juli 2011 hat die Fraktion DIE LINKE im Landtag von Nordrhein-Westfalen den Antrag gestellt, den Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen zu verbieten.
In der Begründung des Antrages (Drucksache Nr. 15/2354) wird zunächst auf den verstärkten Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten und Fußballfans aufmerksam gemacht. Die Fraktion verweist darüber hinaus auf die gesundheitlichen Gefahren, vor allem für Personen mit Erkrankungen und Menschen die unter dem Einfluss von Medikamenten oder Drogen stehen.
Es wird weiterhin kritisiert, dass im Rahmen typischer Einsätze kaum Möglichkeiten bestehen, gegenüber Betroffenen die erforderlichen Erste-Hilfe-Maßnahmen durchzuführen. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die dramatischen Gesundheitsgefährdungen im Widerspruch zu dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit polizeilicher Einsatzmaßnahmen stehen. Dies gilt umso mehr, wenn Pfefferspray nicht zum Eigenschutz der Vollzugsbeamten angewandt wird sondern zur Disziplinierung von Menschenmassen.
Wörtlich heißt es in dem Antrag unter anderem:
„Selbst wenn man der Meinung wäre, die Teilnehmer der Proteste in Stuttgart und im Wendland hätten Rechtsverletzungen begangen, so kann die Beendigung einer Versammlung, einer Sitzblockade oder auch einer anderen Aktion kein Anlass sein, der den extensiven Einsatz von Pfefferspray und damit die Inkaufnahme eines Todesrisikos für die betroffenen Demonstranten rechtfertigt.
Die ungehinderte Durchführung von Bauvorhaben oder die rasche Durchführung eines Atomtransportes wiegen längst nicht so schwer wie das Leben von Menschen, so dass die Polizei hier unbedingt zu minder gefährlichen Mitteln greifen muss.“
Am vergangenen Donnerstag (12. Januar 2012) war der Antrag der Linkspartei Gegenstand im Innenausschuss des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Hier verteidigte unter anderem Arnold Plickert, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), den Einsatz von Pfefferspray und begründete dessen Zunahme mit vermehrter Gewalt gegen Polizisten.
Die GdP bestätigte zwar die erheblichen gesundheitlichen Gefahren:
„Wie bei jedem polizeilichen Einsatzmittel können Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden. Diese können schlimmstenfalls zum Tode führen“.
Verzichten will man künftig dennoch nicht auf den Einsatz von Pfefferspray. Der Sprecher der Polizeigewerkschaft, Stephan Hegger, machte in der Anhörung darauf aufmerksam, dass die Verletzungsgefahr ungleich höher wäre, wenn die Polizei stattdessen Gebrauch von Schlagstock und Schusswaffe machen würde und verwies auf den Vorteil für die Beamten, Angreifer mit Pfefferspray auf Distanz halten zu können.
Joachim Rahmann, Experte für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International, setzte sich für einen verhältnismäßigeren Einsatz von Pfefferspray ein und bezeichnete es im Zusammenhang mit den Demonstrationen der Stuttgart-21-Gegner als unverhältnismäßig, wenn die Polizei eine friedliche Sitzblockade mit Hilfe von Pfefferspray auflösen würde.
Das nordrhein-westfälische Innenministerium informierte im Anschluss an die Sitzung des Innenausschusses darüber, dass der Antrag der Linkspartei keine Erfolgschancen habe.
Verhältnismäßigkeit wahren
Ohne Zweifel müssen Polizeibeamte die Möglichkeit haben, sich gegen Angreifer zu schützen. Hierbei muss allerdings die Verhältnismäßigkeit zwischen den Einsatzmitteln und der tatsächlichen Gefährdung gewahrt bleiben. Im Falle des Pfeffersprays kann es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen, die bis zum Tod des Betroffenen führen. Für den einzelnen Polizeibeamten ist es dabei nicht erkennbar, ob sein Gegenüber zu einer Risikogruppe gehört, Medikamente eingenommen hat oder unter Drogen steht.
Wird Pfefferspray gegen eine demonstrierende oder blockierende Menschenmenge eingesetzt, dann besteht im Moment des Einsatzes weder eine konkrete Gefährdung für die Polizeibeamten noch können diese verlässlich einschätzen, welche gesundheitlichen Folgen das Pfefferspray für den einzelnen Betroffenen hat. Auch die Durchführung von notwendigen Erste-Hilfe-Maßnahmen ist in solchen Situationen kaum möglich.
Es ist bedenklich, wenn in Deutschland eine deutliche Zunahme des Einsatzes von Pfefferspray gegen Menschen, die sich an einer Demonstration oder einer Blockade beteiligen, zu verzeichnen ist. Die Furcht vor gesundheitlichen Folgen hält viele Bürger davon ab, an Protesten und Demonstrationen teilzunehmen und schränkt somit faktisch das Demonstrationsrecht ein.
Ein Polizeibeamter soll sich mit angemessenen Mitteln gegen einen gefährlichen Angriff auf sein eigenes Leben wehren können. Werden jedoch Waffen, zu denen das Pfefferspray zählt, zur Disziplinierung von Menschenmengen eingesetzt, dann verstößt dies sowohl gegen Grundrechte als auch gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit.