Peter Singer, die Diskussion nimmt kein Ende…

Peter Singer. Foto: Joel Travis Sage

Peter Singer. Foto: Joel Travis Sage

Ich bin noch immer nicht mit seiner „Praktischen Ethik“ am Ende. Aber das, was ich da in einem Artikel von Birgit Kelle im European lese, kann sogar ich bereits nach nur der gelesenen Hälfte des Buches widerlegen.

Es zeigt sich einmal mehr, dass Frau Kelle weder das Buch gelesen noch verstanden hat, worum es Singer in seiner Moralphilosophie überhaupt geht.

Davon ausgehend, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei (und dabei mit dem Grundgesetz wedelnd) ist sie der Meinung, dass Singer ein Kindermörder sei. Allerdings entlarvt sie sich, wenn sie sich auf den Widerstand gegen Abtreibungen und PID auf die sog. „Lebensschützer“ beruft. Eigentlich könnte ich an dieser Stelle jeden weiteren Kommentar zum Artikel abbrechen. Da dieser Blödsinn jedoch in vielen Köpfen wohnt (man schaue sich einen Großteil der Kommentare zu dem Artikel an), sollte etwas genauer darauf eingegangen werden.

„Speziesismus“ nennt er die in seinen Augen falsche und willkürliche Einteilung in Lebewesen mit und ohne Menschenrechte nur auf Grund ihrer biologischen Art. Ein Anrecht auf Leben ergibt sich für ihn aus anderen, utilitaristischen Eigenschaften: der Fähigkeit, Schmerz und Glück zu empfinden und sich seiner selbst bewusst zu sein. Diese Fähigkeiten hätten auch manche Tiere, manche Menschen haben sie seiner Meinung nach jedoch nicht.

Leider „vergisst“ Frau Kelle, ihre eigene Definition dagegen zu stellen. Sie geht auch nicht darauf ein, dass Singer der Auffassung ist, dass zum Beispiel Babys erwiesenermaßen weniger von ihrer Umwelt erfassen (können) als ein erwachsener Hund. Und das sind die Menschen, die seiner Meinung nach kaum in der Fähigkeit sind, Schmerz oder Glück zu empfinden. Denn dazu braucht jeden Tier – also auch der Mensch – vergleichende Erfahrungen.

Auch kommen wieder diese unsäglichen und bereits mehrfach widerlegten Unterstellungen, dass Peter Singer behinderten Menschen das Lebensrecht abspricht. Das ist einfach eine Lüge.

Singer ist Verfechter der Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer Rasse, ihres IQ’s – und ihrer körperlichen Verfassung.

…die Tatsache, dass eine spezielle Behinderung jemanden für eine bestimmte Position nicht in Frage kommen läßt, bedeutet nicht, daß die Interessen des Betreffenden weniger sorgfältig abzuwägen sind als die eines jeden anderen. Sie rechtfertigt auch keinerlei Diskriminierung gegen Behinderte … (Peter Singer, „Praktische Ethik“, zweite, erweiterte Auflage, 1994, Seite 77)

Und – weil er immer wieder kommt – hinsichtlich des Vorwurfs, Singer unterstütze nationalsozialistische Gedanken:

Unter dem Deckmantel eines sogenannten Euthanasie-Programms wurden von den Nazis Zehntausende geistig Behinderte ermordet, die durchaus fähig waren, ein Weiterleben zu wünschen und ihr Leben zu genießen. (ebenda Seite 78)

Zugegeben; Singer lotet die Grenzen dessen aus, was wir als ethisch (oder moralisch) verstehen. Dabei provoziert er auch und stellt unsere Denk-Grenzen in Frage. Das jedoch bedeutet keinesfalls, dass er unethisch handelt oder denkt.

Für die Autorin, die einen Zellklumpen („Vier-Zeller“ nennt sie dieses Gebilde) offenbar bereits für menschliches Leben hält, ist es vermutlich jeseits ihrer Vorstellungskraft, dass man anders darüber nachdenken kann und muss. Insbesondere, weil der technische und medizinische Fortschritt uns dazu zwingen. Für Birgit Kelle (und etliche der Kommentatoren) – so mein Eindruck – soll sich die Welt nicht verändern. Und Fragen verbietet der Pfarrer.

All dies ist kein gutes Omen für eine vernünftige Diskussion neuer ethischer Streitfragen… (ebenda, Anhang)

Nic


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