Die Chronik eines Konfliktes in den südamerikanischen Anden, der vor 500 Jahren begann
Von Anne Grit Bernhardt (jW)
Seit mehr als einem Monat streikt die gesamte Region Cajamarca im Norden Perus gegen die geplante Gold- und Kupfermine Conga. Am Dienstag vergangener Woche verhängte die Regierung in dem Gebiet den Ausnahmezustand, nachdem es in der Stadt Celendín zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen war. Am Donnerstag wurde von fünf Toten berichtet. Der Konflikt ist das Resultat aus heutiger Armut, sozialer Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung, seine Vorgeschichte ist aber Jahrhunderte alt.
Der Schatz der Inkas
Als im April des Jahres 1532 die spanischen Eroberer unter Führung von Francisco Pizarro an der heutigen nordperuanischen Küste landeten, stießen sie auf das Reich der Inkas. Es erstreckte sich vom jetzigen Ecuador im Norden über Peru und Bolivien bis nach Chile und Argentinien. Am 16. November 1532 trafen die Konquistadoren auf den Inka-Herrscher Atahualpa in Cajamarca und nahmen ihn bei einer Schlacht gefangen. Angesichts der Gier der Fremden nach Gold bot er ihnen ein gigantisches Lösegeld: Rund 16 Tonnen Gold und 180 Tonnen Silber. Die Schätze wurden geliefert, aber die Spanier hielten sich nicht an die Vereinbarung, sondern ermordeten ihn am 26. Juli 1533. Damit begannen der Untergang des Inka-Reiches und die endlose Ausplünderung durch die Eroberer.
Die politische Unabhängigkeit Perus 1821 bedeutete von Anfang an nicht die ökonomische von transnationalen Unternehmen. In den 1990er Jahren siedelte sich die Bergbaufirma Minera Yanacocha in Cajamarca an. Sie gehört zu 51,35 Prozent dem US-amerikanischen Konzern Newmont Mining Corporation, zu 43,65 Prozent der peruanischen Firma Minas Buenaventura und zu fünf Prozent der Weltbank. Ihr erstes Bergbauvorhaben war die Goldmine Yanacocha, die sich 48 Kilometer nördlich der Stadt Cajamarca im gleichnamigen Departement befindet. Es ist die größte Goldmine Lateinamerikas und die zweitgrößte der Welt. Sie besteht aus fünf offenen Tagebauen, in denen per Zyanidverfahren Gold gewonnen wird. Den Namen hat die Mine von einem Bergsee – Yanacocha ist quechua und bedeutet »schwarzer See« – den es heute nicht mehr gibt.
Umweltvergiftung
Die Folgen von 20 Jahren Goldförderung sind verheerend: Beim Goldabbau im offenen Tagebau kommt es zu gravierendem Landschaftsverbrauch, werden ganze Berge abgebaggert, Ökosysteme irreversibel zerstört, das Mikroklima verändert. Der intensive Wasserverbrauch führt zu Wassermangel in den umliegenden Gemeinden. Chemikalien wie Zyanid vergiften Wasser, Luft und Boden. Auch auf den Abraumhalden befindet sich schwermetall- und arsenbelastetes Gestein, das mit der Zeit vom Regen ausgewaschen wird. Im Jahr 2007 wies eine Studie der Biologischen Fakultät der Staatlichen Universität von Cajamarca nach, daß das Arsen über das Trinkwasser in die Körper der Bewohner gelangt.
Der größte Umweltskandal ereignete sich im Jahr 2000 im kleinen Dorf Choropampa. Auf dem Weg von der Goldmine nach Lima verlor am 2. Juni 2000 ein Lkw rund 151 Kilogramm Quecksilber und vergiftete die Umwelt und über 1200 Menschen. Dies war der bisher größte Quecksilberunfall weltweit. Das Bergbauunternehmen machte die Bevölkerung nicht nur nicht auf die Gefahr aufmerksam, sondern forderte sie sogar auf, das giftige Quecksilber gegen ein Trinkgeld mit der Hand einzusammeln. Bis heute haben die Betroffenen keine angemessene Entschädigung erhalten. Minera Yanacocha spielt auf Zeit, etliche Vergiftete sind bereits gestorben. Konzern und Regierung sind der Auffassung, die Bevölkerung Cajamarcas solle all das auf sich nehmen zum Wohle der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.
Im Jahr 2005 wurden nach offiziellen Angaben 3333088 Unzen Gold (rund 95 Tonnen) in der Mine gefördert. Der Goldpreis und damit die Gewinne des Unternehmens stiegen in den letzten Jahren stetig. Doch von diesem Reichtum hat die Region nichts gesehen. Das Nationale Statistische Institut (INEI) Perusd informierte im Mai dieses Jahres, daß Cajamarca das zweitärmste Departement des Landes sei. Gerade mal die Hälfte der Bevölkerung könne ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Nach Daten aus dem Jahr 2010 leiden 32 Prozent der unter fünfjährigen Kinder an chronischer Unterernährung. 44 Prozent der Bevölkerung müssen ohne Wasseranschluß im Haus leben, 55 Prozent haben keinen Strom.
Protest und Repression
Seit Anfang August 2011 investiert Minera Yanacocha nun in das Gold- und Kupferbergbauprojekt »Minas Conga«. Im selben Monat begannen die Auseinandersetzungen mit den betroffenen Dorfgemeinden. Ein Fisch- und Tiersterben sowie die gewaltsame Vertreibung von Bauernfamilien aus dem Einzugsbereich der Mine, wirkten wie eine Initialzündung für Widerstand. Im Jahr 2014 soll die Förderung von Gold, Kupfer und Silber beginnen. 92000 Tonnen Gestein sollen ab diesem Zeitpunkt täglich verarbeitet werden. Dafür sollen fünf Bergseen zerstört, das Grundwasser abgepumpt, 260 Hektar Sumpf trockengelegt und zahlreiche sensible Hochlandökosysteme vernichtet werden.
Der Protest begann mit kleinen Mahnwachen am Hauptplatz Cajamarcas. Aus Anfangs 20 Teilnehmern wurden 50, schließlich Hunderte und ab dem 24. November 2011 gab es einen unbefristeten Generalstreik. Tausende Menschen demonstrierten zwölf Tage lang, Straßen wurden gesperrt, Geschäfte, Schulen und alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen. Den Höhepunkt der Proteste erlebte die Region am 30. November, als rund 50000 Menschen allein in Cajamarca demonstrierten. Tausende protestierten außerdem in Celendín, Bambamarca, Jaen und anderen Orten des Departements. Die peruanische Regierung reagierte mit Repression, einschließlich Schußwaffengebrauch, und verhängte am 4. Dezember den Ausnahmezustand über die Region. Aus Protest trat daraufhin das halbe Kabinett von Präsident Ollanta Humala zurück.
Nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes folgten weitere Demonstrationen und ein zehntägiger nationaler Wassermarsch im Februar 2012 mit einer eindrucksvollen Abschlußkundgebung in der Hauptstadt Lima mit rund 30000 Teilnehmern aus dem ganzen Land. Doch die Regierung zeigte sich unnachgiebig. Erneut begannen Bauern einzelne Landstriche zu besetzen, hielten Mahnwachen ab und riefen zu einem neuen unbefristeten Streik ab dem 31. Mai dieses Jahres auf. Seit einem Monat streikt nun die gesamte Region; trotz brutaler Polizeiübergriffe finden täglich Demonstrationen statt. Mehr als hundert Verletzte und Dutzende Verhaftete, seit vergangener Woche auch Tote, wurden inzwischen gezählt. Die Fronten sind verhärtet. Während für die Mehrheit der Demonstranten »Minas Conga« auf jeden Fall verhindert werden muß, beharrt die Regierung auf der Realisierung. Am 3. Juli verhängte die Regierung den Ausnahmezustand in den Provinzen Cajamarca, Celendín und Hualgayoc.
Bauernwehr
In einem Staat, in dem ein großer Teil der Bevölkerung auf sich selbst angewiesen ist, entwickeln sich unabhängige politische Organisationsformen. Die Bauernwehr (»Ronda Campesina«) in den 13 Provinzen von Cajamarca ist dafür ein Beispiel. Seit den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen in Peru in den 1980er und 1990er Jahren existiert sie legal. Damals bewaffnete die Regierung Bauern im Kampf gegen die Guerilla »Leuchtender Pfad«. Die Rondas besitzen mehr moralische Autorität als Bürgermeister, Richter und Polizei zusammen, gelten als nicht korrupt und sind basisdemokratisch organisiert, fungieren auch als Gerichtsbarkeit. Sie spielten bei der Organisation der Proteste und Streiks in Cajamarca eine grundlegende Rolle. Dank der Bauernwehr blieben die Proteste Ende 2011 weitgehend friedlich.
Seit Beginn des zweiten Generalstreiks befinden sich z.B. rund 2000 Personen aus Bambamarca und Celendín – zwei der am stärksten von »Minas Conga« betroffenen Orte – in Cajamarca, wo sie die Nächte in den Einrichtungen der Kirche San Francisco verbringen. Alle drei bis vier Tage werden die Gruppen ausgetauscht. So sind die Demonstranten immer »frisch« für den Streik – eine Art des Kampfes, die von den Rondas schon in den Jahren vor dem Krieg gegen den »Leuchtenden Pfad« entwickelt wurde.
Trotz der zunehmenden Konflikte im Land, bei denen es zu über 60 Prozent um den Erhalt der natürlichen Umwelt geht, hat die peruanische Regierung keine Lösungsstrategie. Humala glaubt, Soldaten und Polizei könnten die »Ordnung« in den betreffenden Regionen wiederherstellen. Auch deswegen wurde die Präsenz des Militärs in Cajamarca am 25. Juni für einen weiteren Monat verlängert. Auf einen erneuten Dialogversuch der Regionalregierung ist Lima bisher nicht eingegangen.siehe auch: Cajamarca verdurstet