Für viele Tierrechtsaktivisten ist die minimale Vergrößerung des “Kreises der Gleichen” 1 aufgrund der genetisch nahen Verwandtschaft 2 keine ernstzunehmende Maßnahme sondern vielmehr Elfenbeinturm-Gerede.
Genetische Ähnlichkeit ist natürlich kein ausreichendes Argument, aber doch ein Indiz für einen möglichen Phänotyp, den wir nachempfinden und daher auch in irgendeiner Form bewerten können. Es gibt aber auch Arten auf diesem Planeten, deren letzter gemeinsamer Vorfahre mit uns bereits vor 100 Mio Jahren lebte (also im Zeitalter der Dinosauerier; man nennt die Gruppe Boreoeutheria), dessen physischer Lebensraum dem unseren sehr fern ist und dessen Verhalten dem unseren doch so sehr ähnelt und auf eine komplexe (und somit leidensfähige) Psyche weist: Wale und Delfine.
Karsten Brensing studierte Meeresbiologie in Kiel und wollte in seiner Diplomarbeit herausfinden, ob Delfintherapie tatsächlich funktioniert. Seine Erkenntnis war niederschmetternd, denn er fand nicht nur heraus, dass es sich um Betrug und Pseudowissenschaft handelt, sondern auch, dass die Tiere ausgebeutet und gequält werden. Seine Doktorarbeit an der FU Berlin widmete er daher der Erforschung des Sozialverhaltens dieser intelligenten Tiere.
In seinem aktuellem Buch “Persönlichkeitsrechte für Tiere” fasst der engagierte Umweltschützer Studien aus 50 Jahren Delfinforschung auf sehr unterhaltsame Weise zusammen und überlässt es dem Leser am Ende, eine Entscheidung zu treffen: Sind Wale und Delfine Personen, haben sie „Personalität“ und stehen ihnen damit bestimmte Rechte zu?
Das Buch gibt einem eine gute philosophische und naturwissenschaftliche Basis an die Hand, um sich besser zu positionieren.
Das Buch ist trotz aller persönlicher Anekdoten und dem fiktionalen (vielleicht überflüssigem) ersten Kapitel sehr wissenschaftlich, da jede Erkenntnis mit einer Studie belegt ist, die man sehr schnell nachrecherchieren kann. Brensing argumentiert auf Basis dieser Forschungsergebnisse, dass sich Delphine durch individuelle Pfiffe erkennen und durch Imitation dieser untereinander kommunizieren. Eine wahrhaft einmalige Leistung im bisher erforschten nicht-menschlichen Tierreich. Auch andere Tests zu Konzepten der Bewusstseinsforschung scheinen die Tiere zu bestehen: Spiegeltest, Theory of Mind, Bildung von Allianzen, Ordnung und Kulturen.
Im Bonusmaterial unter walrecht.de erörtert er die Begriffe “Tradition und Kultur” und macht deutlich, dass soziales Imitieren schon bei einfachen Korallenfischen zu finden ist. So richtig nachvollziehen lässt sich nach dieser Ernüchterung dann der Sprung zu delfinischer Kultur mit seiner Argumentation aber nicht. Dazu sollte man dann nochmal in die Original-Publikationen schauen.
In dem Buch geht es übrigens nicht nur um Meeressäuger, sondern auch um Elefanten, Krähen, Papageien, Hunde und Große Menschenaffen. In einer kleinen spitzen Bemerkung kann man auch lesen, dass er den Glauben an gewisse Propheten mit dem Glauben an den Weihnachtsmann gleichsetzt. Man hat so viel zu lachen und staunen, dass man über das falsch geschriebene „Borka-Areal“ (eigentlich Broca) getrost hinweglesen kann.
Karsten Brensing engagiert sich bei der “Whale and Dolphin Conservation” (WDC) für den Schutz der Tiere. In seinem Buch klärt er über die Probleme der Fischerei, Delfintherapie und Delfinarien auf. Verankerte Grundrechte für Wale und Delfine wären ein extremes aber wirksames Mittel für den Artenschutz. Aus dem gleichen Grund wird ja auch bei Großen Menschenaffen über Grundrechte diskutiert: Sie sind vom Aussterben durch den Menschen bedroht.
Das Vorwort für das Buch steuerte übrigens der prominente Naturschützer Hannes Jaenicke bei. Vielleicht hilft es ja beim Verkauf. Aber auch ohne dieses, ist das Buch sehr empfehlenswert.
Adriana Schatton
Karsten Brensing: Persönlichkeitsrechte für Tiere: Die nächste Stufe der moralischen Evolution; Verlag Herder 2013, ISBN: 978-3451305139, 17,99 Euro.
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[Erstveröffentlichung: hpd]