Die plumpste Frage gleich zu Beginn: Seid ihr immer noch dabei, den Indierock zu retten?
Nein, nein (lacht). In gewisser Weise sind wir zwar wirklich oldschool, aber das hat nichts mit Rettung oder irgendeiner Intention nicht zu tun. Wir haben einfach nie einen großen Ansatz darin gesehen, uns ändern zu wollen. Ein Indiz dafür ist eigentlich, dass wir immer schon versucht haben, weitgehend unabhängig zu bleiben. Das betrifft eigentlich alle Menschen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, das waren immer Idealisten, Leute aus dem Freundeskreis.
Also Indie mehr in des Wortes ursprünglicher Bedeutung und losgelöst vom Musikstil?
Genau, das Ganze ist eher eine Art Lebenseinstellung. Und es ist auch so etwas wie das große Dogma von Pelzig, dass man nicht auf ein vermeintliches Ziel, auf den Erfolg schielt, sondern lieber mit Leuten zu tun hat, die einem nahestehen oder dieselbe Denke haben wie wir. Auch heute ist das noch so – es passiert einfach. Wir wissen, dass ein Masterplan, ein Zeitfenster bei uns nicht funktioniert aufgrund diverser Verquickungen und so sucht man sich halt diejenigen aus, die ähnlich ticken wie man selbst. Das fängt mit Oliver Zülch an, der die Platte gemischt hat und den wir schon von Slut gut kennen, der ja auch „Alientransistor“ von The Notwist oder auch „Zaun“ von Kofelgschroa gemischt hat, auch wenn er wahrscheinlich kein Wort von denen verstanden hat. Dann natürlich die Leute von Cargo Records, die in Wiesbaden einfach in aller Ruhe arbeiten und total liebevoll mit unseren Sachen umgehen. Und am Ende natürlich auch Kai Blankenberg aus Düsseldorf, der die Platte gemastert hat, mit dem wir nun schon seit über zwanzig Jahren zusammenarbeiten und der ja mittlerweile die richtig großen Acts produziert. Der Unterschied zu uns ist wohl, dass wir ihm genügend Zeit geben, weil wir selbst auch keinerlei Druck mehr haben wollen.
Dazu passt natürlich die Anschlußfrage: Weshalb hat es denn ganze elf Jahre bis zu diesem neuen Album gedauert, wo doch die ersten relativ kurz hintereinander erschienen sind?
Das hängt schon auch mit der räumlichen Trennung zusammen, dass also René (Arbeithuber, d.Red.) und ich vor einigen Jahren von Ingolstadt nach München gezogen sind und wir dort über lange Zeit keinen passenden Proberaum gefunden haben. Dann kam noch die doch relativ lange Produktionszeit mit Slut dazwischen, und schon war die Zeit rum.
Man hört der Platte die lange Pause auch an – nachdem die ersten drei Alben doch recht homogen klingen, fällt diese vierte jetzt angenehm aus dem Rahmen?
Für „Medium Cool World“ gab es eigentlich drei Stationen, die quasi sinnbildlich für unsere bisherige Geschichte stehen. Zwei oder drei Songs stammen tatsächlich noch aus unserer „Hippie-Schloß-Zeit“ (Wohngemeinschaft in Schloß Westerhofen, d.Red.), die haben wir auch so roh und unbearbeitet für das Album belassen. Wir hätten da schon noch mal drübergehen, also neuen Farben auf die längst ausgetrockneten malen können, das wäre durchaus legitim gewesen, am Ende wollten wir das aber nicht. Der Rest stammt dann aus der Ingolstädter und der Münchner Zeit. Genau das macht dann den besonderen Status der Platte aus.
Diese unterschiedlichen Phasen hört man der Platte so aber kaum an.
Das liegt dann wahrscheinlich doch an der Abmischung, die ja komplett in der Jetztzeit stattgefunden hat und es freut mich eher, dass Außenstehende die Unterschiede nicht wahrnehmen. Bei einem dieser frühen Stücke, dem Titelsong „My Medium Cool World“, kann ich mich noch gut erinnern, wie es tagelang aus dem Studio unseres Mischers und WG-Kollegen schepperte und ich dachte: „Um Gottes Willen, wann hört das endlich auf?!“
Okay, der ist dann doch etwas spezieller mit diesem grummelnden Rezitativ und so ganz ohne die üblichen, liedhaften Strukturen.
Genau, der Song drückt eigentlich am besten aus, wieviel Zeit wir in unsrer Anfangszeit doch hatten – der Track dauert über fünf Minuten und es passiert eigentlich nichts, wirklich gar nichts. Christian (Schulmeyr, d.Red.), unser Sänger, war damals der Einzige, der in der WG einen 9to5-Job hatte, und der kam dann, nachdem die anderen tagelang an dem Beat herumgeschraubt hatten, eines Abends von der Arbeit und sollte auf die Spuren draufsingen. Er hat dann ganz spontan Satzfetzen wie „I’m on the top, ‘cause it’s my job“, natürlich eher zynisch gemeint, dazugesprochen – das haben wir wirklich unbearbeitet bei diesem ersten Take belassen.
Du bist wie René auch Mitglied bei Slut – sind die ständigen Vergleiche und das Nebeneinander, also hier die doch sehr bekannte Band und dann Pelzig als das unscheinbare Nebenprojekt, eigentlich störend?
Also für mich und René gar nicht, für die anderen stellt es sich nur in Situationen so dar, wenn gerade mit Pelzig mal nichts passiert. Das ist auch schon immer so ein Grundrhythmus gewesen, dass Pelzig immer dann zurücktreten mussten, wenn das ‚Projekt‘ Slut wieder aktuell wird. Wir haben das auch nie parallel betrieben, sondern immer nacheinander für die eine oder andere Band gearbeitet.
Und für die beiden (Christian Schulmeyr, Christian Schaller) war das kein Problem?
Problem nicht, aber ich glaube, dass es in ihnen schon insgeheim gearbeitet hat – das ist so, als wenn deine Frau ausgeht und danach erzählt, sie habe sich mit einem total interessanten Typen unterhalten und natürlich hast du Vertrauen in deine Frau, aber ein Restzweifel bleibt trotzdem.
Das neue Album selbst ist, wie ich finde, doch ein besonderes, nicht nur wegen der langen Wartezeit, sondern weil es nicht von Anfang bis Ende durchgerockt wird und jetzt deutlich elektronischer daherkommt. Da natürlich die Frage: Was sagt der Gitarrist dazu?
Da ich, wie der Rest der Band auch, die Elektronik selbst mache, ist das für mich eher keine große Sache. Im Gegenteil – und das ist vielleicht auch ein Vorgriff auf die Live-Auftritte: Ich empfinde es auch als Konzertbesucher eher als störend, wenn man von Anfang bis Ende nur zugeböllert wird. Ich halte straighten Rock oder Punk über eine halbe Stunde ganz gut aus, aber dann muss sich auch mal eine andere Tür auftun, muss man auch mal durchatmen können. Und genauso geht es mir auf der Bühne, da möchte ich ungern die ganze Zeit an einem Instrument verbringen, deshalb verstecke mich zuweilen gern hinterm Keyboard oder spiele, wie bei anderen Projekten, auch mal Bass oder Schlagzeug. Man ist dann eher eine Art funktionales Element, das schaut, dass die Maschine zwar weiterläuft, aber sich auch weiterentwickelt und nicht ein identisches Blechteil nach dem anderen auswirft.
Hören sich die alten Platten von Pelzig unter dem Aspekt heute anders an?
Nein, eher nicht. Ich habe da zwar schon meine Favoriten, und es gibt durchaus auch Songs, die sich aus heutiger Sicht vielleicht ein Stück weit verklemmt klingen, dass man also Sachen versucht hat aber eben nicht mit der letzten Konsequenz. Diesen „Hybridlösungen“ fehlt dann das Eindeutige und die Geradlinigkeit, was aber auch daran liegen kann, dass wir nicht genügend Zeit hatten, sie fertigzustellen. Wenn man in das Aufnahmestudio tageweise bezahlen musste, tickte natürlich die Uhr und dann fehlte vielleicht die nötige Ruhe, war der Druck möglicherweise zu groß.
Du würdest den Satz, dass „Medium Cool World“ deutlich komplexer und dichter ist, aber schon unterschreiben?
Ja, schon, wobei sich die Elektronik bei uns fast anfühlt wie eine Zone der freien Demokratie. Egal ob es jetzt der Bassist, der Gitarrist oder der Schlagzeuger ist, bei uns kann jeder auf allen Positionen etwas beisteuern und anbieten, strikte Festlegungen wie bei anderen Bands kennen wir so nicht.
Das muss ja dann ein ganz schönes Hin- und Hergewechsel auf der Bühne geben…?
Na gut, für die Konzerte werden wir uns da schon etwas überlegen müssen, da wird es doch deutlich statischer zugehen müssen. Ich habe ja, wenn René nicht vor Ort war, in der Not auch schon mal den einen oder anderen Schlagzeugpart für die Platte eingespielt, da muss dann im Schnitt schon etwas nachgeholfen werden – live würde ich das sicher nicht mehr so gerade hinbekommen. Aber Eitelkeiten gibt es bei uns da zum Glück überhaupt keine, das ist komplett raus, die Sachen werden auch im Vorfeld der Produktion nicht großartig abgestimmt, sondern einfach zusammengebaut und wenn dann keiner laut schreit und meint, das gehe gar nicht, dann bleibt das so. Die Verantwortung liegt dann letztendlich beim finalen Mix, und da hat der Oliver Zülch meines Erachtens einen ganz großartigen Job gemacht.
Täuscht eigentlich der Eindruck oder ist das neue auch Euer düsterstes Album?
Das stimmt irgendwie schon, aber wenn Du mir die Frage danach stellst, müsste ich erst überlegen, woran das genau liegen kann – ich kann’s so genau und auf die Schnelle gar nicht erklären. Ob’s am Probekeller ohne Tageslicht liegt oder ob die Platte einfach ein Zeitdokument ist, also generell alles ein weniger dunkler wird, ich weiß es nicht. Wir hatten auf den bisherigen Platten jedenfalls immer wenigstens ein Stück drauf, das – böse formuliert – in Richtung Fun-Punk ging, das gibt es auf der aktuellen tatsächlich nicht mehr.
Eigentlich eher eine Standardfrage: Welche Vorbilder könnte man aus dem aktuellen Album heraushören, gibt es da gemeinsame Favoriten?
Also vor einigen Jahren es gab mit Interpol mal eine Band, auf die sich alle haben einigen können, und ich glaube, das hört man aus einigen Stücken noch deutlich heraus, weniger, weil wir sie kopieren, sondern eher interpretieren wollten. Unser Sänger hat wohl den poppigsten Background, wofür wir auch sehr dankbar sind, mein Bruder Christian wiederum bringt viele spezielle, auch abseitige Dinge mit ein. Er ist ja der Bassist und braucht auch viel Platz – das passt dann wieder auch gut zu Pelzig, dieser basslastige Sound, wenn der nicht da wäre, würden wir gar nicht auf den Record-Knopf drücken.
Da sind ja die frühen Interpol und ihr damaliger Bassist Carlos Dengler in der Tat ein guter Bezug.
Stimmt, das ist bei mir auch ein deutliches Zeichen, dass Musik viel länger in mir drinnen bleibt, wenn ich mich zunächst erst mal an ihr reibe. Viele haben ja damals bei Interpol auch gemeint, das wäre zu gefällig, aber der Bassist hat dann immer Sachen gespielt, die so nicht zu erwarten waren. Im ersten Moment hat man sich gedacht „Hey, spinnt der, was spielt der da!?“ aber irgendwann war’s drin und dann war’s einfach genial! Das war bei The Cure übrigens auch nicht anders, diese regelrechten Bass-Hooks, die dem ganzen eine bestimmte Strukur gaben – das hat dann auch Einzug in den Sound bei Pelzig gefunden, diese wohltuende Macht des Bass.
Zum Abschluss: Habt ihr eigentlich den Bandnamen, auch im Hinblick auf den Kabarettisten Frank-Markus Barwasser, irgendwann mal bereut?
Nein, gar nicht, mit dem Verweis konnte man eigentlich immer sehr gut leben. Was der gemacht hat, war im Grunde richtig gut. Wahrscheinlich hatte er aber irgendwann genug von den ganzen Verbindlichkeiten…
Hattet ihr denn mal Kontakt miteinander?
Nein, nie – das passt wohl auch weder zu uns noch zu ihm. Lustigerweise gibt es ja noch in puncto Namen noch mehr Koinzidenzen: Mit meinem Namensvetter (Rainer Schaller, Love-Parade-Veranstalter und McFit-Gründer) geht es mir ja auch nicht anders, der hat ja die komplette Web-Präsenz übernommen, ich komme wahrscheinlich bei Google erst auf der fünften oder sechsten Seite – was mir nicht unangenehm ist.
Das mit den Namen scheint sich ja wie ein roter Faden durch Eure Geschichte zu ziehen, auch wenn man an Slut denkt.Stimmt, gerade in den Anfangstagen des Internets haben wir es Fans und Raubkopierern sicher nicht einfach gemacht. Wer sich damals mit der Übersetzung nicht so auskannte – spätestens, wenn er im Netz danach gesucht hat, wurde ihm klar, was er bedeutete …
"Medium Cool World", Pelzig, Cargo Records