Peer Review

Von Oeffingerfreidenker
Von Stefan Sasse
Glaubt man den aktuell kursierenden Vorabmeldungen, so hat die SPD-Führung sich entschieden: Steinbrück ist Kanzlerkandidat. Man fragt sich jetzt schon, über was die armen Journalisten künftig berichten sollen, wo die Troika keine mehr ist - Inhalte etwa? An dieser Stelle kann man ein Lachen aus dem Hintergrund einblenden. Tatsächlich hat die Partei das Maximale aus der Ankündigung herausgeholt, indem sie ihn noch flugs ein scharfes Bankenpapier veröffentlichen ließ, das ihn als "the brain" etablierte. Es war ein Versuch, die Deutungshoheit zurückzuerobern, und man kann es als taktischen Erfolg werten. Es verdeckt für einen Moment, dass die SPD in der Debatte lange Zeit die Getriebene war. Ursprünglich hatte die Partei die Entscheidung bis 2013 aufschieben und so lange die Bälle in der Troika hin- und herschieben wollen, was auch eine clevere Idee war. Nur, der mediale Blätterwald sagte kollektiv "Nö!" und berichtete in einem atemberaubend selbstreferentiellen Karussell nur noch über selbst geschaffene Gerüchte darüber, wer denn nun SPD-Kanzlerkandidat werden würde - eine Personalie, die ultimativ so viel Eintrittswahrscheinlichkeit wie ein SPD-Kandidat für den Papststuhl haben wird, denn wenn nicht ein Wunder geschieht, wird die SPD als Juniorpartner in eine Große Koalition gehen. Was also ist von dieser Entscheidung zu halten, und welche Folgen hält sie bereit?
Zuerst einmal ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Kandidatur natürlich für den Wahlkampf große Bedeutung besitzt, denn der muss ja für den Kandidaten maßgeschneidert werden. Sowohl Steinmeier als auch Steinbrück aber, die einzig realistischen Kandidaten für die sichere Wahlniederlage (der eine unempfindlich und der andere im Dauergrößenwahn), sind Protagonisten der Agenda-Politik. Mit ihnen ist eine Revision nicht zu machen; Armutsbericht hin oder her. Die SPD ist damit thematisch und programmatisch auf ein "Weiter so, aber anders" festgenagelt. Sie wird ständig die unpopulären Agenda-Politiken verteidigen müssen und nur ein mageres "aber die anderen sind noch schlimmer" zur Verteidigung haben. Das funktioniert als Strategie aber nicht; man muss nur über den Großen Teich blicken, wo Obamas Wahlkampftaktik anfangs ähnlich aussah und ihm furchtbare Umfragewerte bescherte. Peer Steinbrück wird nicht Kanzler werden. Seine einzige Chance ist ein Wunder, ein dramatisches Ereignis, das Merkel völlig desavouiert. Wahrscheinlich ist das, man muss sagen: glücklicherweise, nicht. Man kann Steinbrück und Steinmeier aber unterstellen, dass ihnen das nicht viel ausmacht. Sie sind glücklich damit, in der Großen Koalition die Fäden ziehen zu dürfen. Gabriel indessen wartet vermutlich auf 2017 - bis dahin dürften die Stones endgültig aus dem Rennen sein.
Die Nominierung Steinbrücks bietet allerdings auch Chancen. Sein Verhältnis zur Wahrheit von kausalen Zusammenhängen war schon immer eher lose, und im Gegensatz zu Steinmeier ist ihm problemlos zuzutrauen, seine eigene Bankenregulierungspolitik von 2005 in Bausch und Bogen zu verdammen und dem politischen Gegner vor die Füße zu werfen - in seinem Bankenpapier hat er etwas Ähnliches ja bereits getan. Einfach so zu tun, als sei die SPD von 2005 eine andere als die SPD von 2013 und Kanzlerkandidat Steinbrück eine völlig andere Person als Finanzminister Steinbrück - das sollte ihm nicht schwerfallen. Es ist außerdem durchaus wahrscheinlich, dass Steinbrück mit der Tradition bricht, das Außenministeramt zu besetzen und stattdessen das Finanzministerium fordert. Das Außenministerium ist ohnehin spätestens seit Westerwelle zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken, während das Finanzministerium entscheidende Kompetenzen gerade auch für die Außenpolitik besitzt, ESM sei Dank. Insgesamt aber kann man kaum damit rechnen, dass die Nominierung Steinbrücks für eine Abwendung von der bisherigen Politik stehen wird; allenfalls kleine, dem Wahlkalkül geschuldete Korrekturen dürften drin sein. Steinbrück wird sich hauptsächlich auf das eigene Genie verlassen, dem er bekanntlich kaum Grenzen setzt. Ob der Wähler das genauso sieht, bleibt abzuwarten.