Pecunia non olet

Ein Gastbeitrag von Stefan Rose.

Auf der Grundschule war ich, soweit ich mich erinnere, während der ganzen vier Jahre nur ein oder zwei Mal auf dem Schulklo. Ansonsten habe ich das nach Möglichkeit vermieden. Die Toiletten befanden sich in einem abseits gelegenen Pavillon an der Schulhofmauer und stammten, wie die ganze Schule, noch aus der Kaiserzeit. Die Glastüren im Hauptgebäude ließen auf eine notdürftige Renovierung in den Fünfzigern schließen. Apropos Notdurft: In der Toilettenbaracke war gar nichts renoviert. Im Sommer stank es zuweilen so gewaltig, dass man in den Klassenzimmern, die in Richtung der Klos lagen, die Fenster besser nicht öffnete.

Später, auf dem Gymnasium, wurde die Situation dann ein wenig erträglicher. Als Mitte der Achtziger ein Neubau fertig gestellt war, hatte ich angesichts nagelneuen Sanitärs zum ersten Mal das Gefühl, in der Zivilisation angekommen zu sein. Vielleicht war ich ja verwöhnt. Vielleicht ekeln sich Kinder aber auch leichter. Viele Kinder hassen zum Beispiel Lebensmittel, die sie später als Erwachsene durchaus gern essen. Ich war in Hygienefragen nie sonderlich heikel: In Jugendherbergen, Gemeindehäusern, auf Campingplätzen und in Zeltlagern habe ich nie ein Problem gehabt – zumindest kein größeres als die anderen.

Einige Schulen gehen seit einiger Zeit einen neuen Weg, benutzbare Schultoiletten anzubieten: Sie knöpfen Schülern Geld für das Verrichten ihres Geschäfts ab. An einer Bielefelder Gesamtschule kostet einmal Austreten zehn Cent, zwanzig Mal pro Jahr sind gratis. Wenn das kein Angebot ist! Aus den Einnahmen werden die laufenden Kosten bestritten wie Seife, Papierhandtücher, Damenbinden, Reinigungsmittel etc. sowie zwei Ein-Euro-Kräfte bezahlt. Die Damen fungieren nicht nur als Toilettenfrauen, sind also für kassieren, saubermachen und aufpassen zuständig, sondern müssen auch namentlich Buch über die zwanzig Gratisgeschäfte führen.

Sind wir so tief gesunken? Aber iwo, zwitschert es bei Spiegel Online! Dort ist zu lesen, wie cool die Mädchen vor allem die beiden Ein-Euro-Damen fänden und wie dolle kichernd sie sich immer mit ihnen abklatschen würden. Die Schulleitung meint, es habe sich noch nie jemand über die kostenpflichtigen Klos beschwert.

Im zuständigen Ministerium gibt man sich pflichtschuldigst entsetzt. Man weist darauf hin dass es auf keinen Fall eine Zweiklassengesellschaft geben dürfe und dass der Schulträger laut Gesetz "die für einen ordnungsgemäßen Unterricht erforderlichen Schulanlagen, Gebäude, Einrichtungen bereitzustellen und zu unterhalten" habe. Das zuständige Schulamt wiederum wäscht seine Hände in Unschuld und weist darauf hin, dass an der besagten Schule selbstverständlich dem Gesetz genüge getan sei, weil dort schließlich auch frei zu benutzende Toilettenanlagen existierten. Das stimmt zwar, nur seien diese Toiletten nach Angaben von Schülern oft völlig verdreckt und Beschwerden darüber stießen auf taube Ohren. Außerdem seien sie während des Unterrichts grundsätzlich verschlossen. Und wenn die Zustände nicht mehr zu ertragen seien, dann würden die Klos auch ganz zugesperrt.

Ja, man könnte sich empören, aber warum immer so negativ? Wie könnte man Kinder und Jugendliche besser vorbereiten auf das, was sie im späteren Leben erwarten wird? Darauf, dass es nun einmal leider, leider Gewinner und Verlierer gibt und dass alles, wirklich alles, immer nur eine Frage des Geldes ist. Eigentlich müsste man der Schule eine Auszeichnung verleihen.

Die Preise für die Benutzung einer durchschnittlichen öffentlichen Toilette in den Städten sind eh mittlerweile so, dass ein Hartz IV-Empfänger es sich spätestens ab der zweiten Monatshälfte drei Mal überlegt, sicherheitshalber zu Hause Pipi zu machen, ehe er sich in die Öffentlichkeit traut. Männer mögen den anatomischen Vorteil haben, sich mit weniger Aufhebens im Gebüsch erleichtern zu können als Frauen, aber auch da sind oft schon die Ordnungsämter mit ihren Patrouillen vor. Überhaupt, man stelle sich den Kulturschock vor, den die jungen Menschen erleiden könnten, wenn sie zum ersten Mal die kommunistische Kuschelecke verlassen, in der sie die wertvollsten Jahre ihres Lebens einfach so für lau gestrullt haben.

Ich hätte da noch eine Menge anderer Ideen: Warum bei den Toiletten aufhören? Wie wäre es zum Beispiel in Zeiten der Ganztagsschule mit einer Premium-Mensa? Hier die Economy Class, wo es nach wie vor Industrie- und Fertigpapp zu Jedermannpreisen gibt, dort eine Art Senator Lounge ("Eat smarter – learn better!"), in der in schickem Ambiente von Sterneköchen zubereitete Gourmetkreationen serviert werden. Und damit wirklich kein notorischer Nörgler mehr von Zweiklassengesellschaft herumjammern kann, gibt es einmal im Halbjahr eine Probieraktion, wo die Economy-Kunden ein Degustationsangebot zum verbilligten Preis erhalten können.

Oder warum nicht einzelne Schulräume an private Nachhilfeinstitute verpachten? Privatisierung ist doch immer gut, stimmt's? Da darf es auch keine Denkverbote geben. Zweiklassengesellschaft? Soziale Segregation? Blödsinn! Wohl neidisch, wie? Selbstverständlich würden auch weiterhin kostenfreie Förderangebote vorgehalten, die von Studenten und Hilfskräften auf Minijob-Basis durchgeführt werden.

Und was sich alles aus Klassenfahrten machen ließe! Fünfzig lärmende Gören, die in einem Reisebus in ein schmuddeliges Schullandheim verfrachtet werden? Das muss nicht sein! Buchen Sie unser Happy Kids-Bonuspaket: Der Limousinenservice bringt ihre Kinder sicher und komfortabel ans Ziel. Die Unterbringung erfolgt in einem exklusiven Country Resort mit vielfältigen Angeboten (Wellness, Sauna, Massage, Yoga, Tai Chi, Ayurveda, Personal Trainer). Selbstverständlich kommen auch der Spaß und das soziale Lernen nicht zu kurz: Ihre Kinder haben die Möglichkeit, an der Nachtwanderung und am Bunten Abend der anderen Kinder teilzunehmen (Transfer per Limousine und Begleitung durch Bodyguards inklusive).

Ich denke, es ist deutlich geworden, dass die Möglichkeiten, unseren Kindern ein anständiges Weltbild zu vermitteln, quasi unendlich sind. Zweiklassenkacken ist da schon mal ein guter Anfang. Alles andere wäre doch sozialistische Gleichmacherei.


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