Veröffentlicht am 26. Juni 2014 | von Nina Tatschl
0Pearl Jam live in der Wiener Stadthalle
„Es fühlt sich gut an zuhause zu sein“ – Warum Eddie Vedder mit diesen Worten beim gestrigen Pearl Jam-Konzert in der Wiener Stadthalle genau richtig lag, ist einer der Gründe, warum das kein normaler Konzertbericht werden kann – sondern eine Hommage an eine Band ist, die einem musikalischen Trend seit Jahren entwachsen ist.
Paarweise abgetragene Converse, zerrissene Jeans, Karo-Hemden und unfrisierte Haare – schon der Weg zur Stadthalle zeigte, dass der Grunge zumindest für einen Abend in Wien Einzug hielt. Kein Gedränge am Eingang, keiner an den Getränkeständen – die Stimmung bekam so erst in der Halle einen richtigen Dämpfer. Seit wann gibt es denn eigentlich eine zwei-Klassen Gesellschaft bei Konzerten? Warum muss man für die ersten Reihen ein “VIP-Ticket” ergattern und wer hatte diese Idee? Unmut zeigte sich in den Gesichtern der vor allem kleineren Besucher, denen nun bewusst wurde „Das wird ein Abend vor der Leinwand“. Kurz sah man Frauen, die mit ihren Begleitern heftig über die Wahl des besten Platzes diskutierten, Andere richteten einen sehnsüchtigen Blick auf die Sitzplätze (!), die zumindest eine freie Sicht zu garantieren schienen und wieder Andere entwickelten spontan aufkeimenden Stress und drängten ohne Rücksicht auf Verluste nach vor. So hieß es Geduld bewahren, Platz “verteidigen”, sich über die vorhandene Leinwand freuen und vor allem durchatmen, um nicht schon vor Konzertbeginn komplett die Fassung zu verlieren.
Kurz nach 20:00 Uhr ging es dann ohne Vorband, ruhig und mit leisen Tönen los, gefolgt von altbekannten Hits und Cover von Neil Young, Beatles, The Who bis hin zu PIL. Pearl Jam stellten trotz oder vielleicht auch gerade deswegen unter Beweis, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Für Gänsehaut sorgten eine Vielzahl einzelner Momente – etwa wenn Vedder rauhalsig die Zeilen „I got scratches, all over my arms / One for each day, since I fell apart“ (Footsteps) oder „I know that someday you’ll have a beautiful life/ I know you’ll be a star / In somebody else’s sky / But why, why, why can’t it be “Why can’t it be mine?” (Black) in das Mikrofon hauchte, Jeff Ament grinsend seinen Bass bearbeitete oder Mike McCready und Stone Gossard völlig in Trance verfielen und auf ihren Gitarren kreative Arrangements zauberten.
Pearl Jam
Eddie Vedder
Eddie Vedder
Stone Gossard
Eddie Vedder
Schön anzusehen war auch das Bühnenbild: Diverse Hängelampen – eine davon, an der eine GoPro befestigt war, wurde von Jeff Ament in Richtung Publikum geschwungen, auf einer anderen turnte Eddie Vedder höchstpersönlich – und eine Ast-Kreation mit vielen kleinen Lichtern, die über der Bühne schwebte, gefielen. Das Publikum tobte, schrie, sang voller Inbrunst und übertönte dabei zeitweise sogar die Band. Diese war – überraschend – von der Zuneigung völlig überwältigt. So stellte Eddie Vedder fest, dass die Stadthalle der tontechnisch “schlimmste oder zweitschlimmste Ort” ist, an dem er je gewesen sei. Erst durch die harte Arbeit seines Teams (die es tatsächlich schafften, einen akzeptablen Sound in die Mehrzweckhalle zu zaubern) und durch die Ekstase der Fans sei diese zu etwas Besonderen geworden.
Die Band bedankte sich mit einem abwechlungsreichen Mix aus alten und neuen Tracks, kurzen Dialogpausen mit den Fans (auch auf Deutsch) und über drei Stunden musikalischer Highlights. Völliger Wahnsinn brach dann – logisch – bei Alive aus, wo die Halle nicht nur zur Gänze ausgeleuchtet war, sondern vor allem die Gesänge der Besucher die Band komplett übertönten. Den Musikern sah man die Freude und Überwältigung an – und während sich Eddie Vedder mit einem „Oh Fuck!“ lachend auf den Kopf griff, öffnete Jeff Ament vor Begeisterung schon die Champagnerflasche.
Nach dem Auftritt stellt der Fan dann überraschend fest, dass er seit mehr als 16 Jahren mit einer Band verbringt, die einen nach wie vor zu begeistern versteht. Die Grunge-Schuhe haben Pearl Jam, die mittlerweile facettenreichen Rock’n’Roll darbieten, schon lange an den Nagel gehängt; ein Auftritt der Band ist letztendlich kein simples Konzert, sondern eher ein Abend unter Gleichgesinnten, eine Feier zwischen Freunden. Es fühlt sich an, als ob man nach Hause kommt.
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Über den Autor
Nina Tatschl Aufgabenbereich selbst definiert: Redakteurin mit Harmonie versprühenden (Frauenquoten-) Charme. Findet die Formulierung “Words and Music – My only Tools” (Wood) prägend.