Wie das so ist mit Büchern von mir unbekannten Bestsellerautoren: ich bin erst einmal sehr vorsichtig damit. Nicht oft ist das, was Vielen gefällt auch das, was mir gefällt. Und so bin ich auch bei diesem Buch etwas zwiespältig.
Paulo Coelho gehört zu den wenigen brasilianischen Schriftstellern, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind. Er schrieb so bekannte Romane wie “Der Alchimist” und sein jüngstes Werk “Aleph”, das hier im Blog bereits rezensiert wurde.
Der hier vorliegende Roman “Elf Minuten” gehört auch zu denen, die zu Weltbestsellern wurden. Also war ich gespannt, was mich erwartet.
Es ist das die Geschichte einer jungen Frau, Maria, die in einer Kleinstadt im Norden Brasiliens heranwächst. Genervt von dem einfachen Leben dort träumt sie vom Glück der “großen, weiten Welt” und bekommt in unwahrscheinlich erscheinender Weise die Möglichkeit, den Traum wahrzumachen. Sie reist in die Schweiz um dort als Tänzerin zu arbeiten. Natürlich (warum eigentlich natürlich?), natürlich endet das in Fronarbeit – und letztlich wird sie Prostituierte.
Andere Rezensenten sprechen davon, dass das Buch in die dunklen Seiten der Liebe führt. Den Leser mit nimmt auf eine Reise am Rande des Abgrunds. Von all dem habe ich nichts verspürt beim Lesen. Dazu ist meiner Meinung nach die Distanz, die Coelho seiner Hauptfigur gegenüber wahrt, zu groß.
Es gibt ein paar Bemerkungen über die Heruntergekommenen des “Gewerbes” – es gibt ein paar Hinweise darauf, dass es schwer ist, diesen Weg wieder zu verlassen. Aber Abgrund? Der Abgrund eines Edelbordells? Ich weiß nicht.
Insgesamt ist das alles eher eine Variante eines modernen Märchens; “Pretty Woman” ein wenig anders erzählt.
Im Nachwort schreibt Paulo Coelho: “Um über die heilige Seite des Sex schreiben zu können, mußte ich begreifen, warum Sex so herabgewürdigt worden war.” [Seite 284]
Mir scheint jedoch, dass ihm das nicht so ganz gelungen ist. Zumal die “dunkle” Seite des Sex – der käufliche Sex – zu wenig reflektiert wird. Weder vom Autor noch von seiner Hauptfigur. Auch der Versuch, etwas über die Spielart “Masochismus” zu schreiben, scheitert, weil er nicht konsequent beschrieben wird.
Insgesamt wird für mich zu wenig von Marias Gedanken und Gefühlen deutlich. Jemand, der naiv in die Ferne geht um sich dann in einer Situation wiederfindet, wie sie nicht geplant und erwartet war, wird sich nicht fröhlichen Herzens prostituieren. Und selbst wenn; es ist nicht erklärt, wie. Nur, dass es Maria gelingt, die Gefühle von ihrem Körper zu trennen. (Und auch das wird nur geschrieben, nicht nachfühlbar erzählt.)
Deshalb sind auch Marias Tagebucheinträge, die den Wandel vom “geschäftlichen Umgang” mit dem Kunden Ralf zum gegenseitigen Verlieben eher ein wenig oberflächlich geblieben.
Maria wird beschrieben als junge, schöne und kluge Frau, die sich aus freien Stücken dazu entschließt, als Prostituierte Geld zu verdienen. Anfangs allein, um das Ticket für den Rückflug nach Brasilien zu verdienen; später, um sich (und/oder ihren Eltern) eine Farm zu kaufen. Ihr gelingt bewusst der “Ausstieg” als das notwendige Geld verdient ist.
Für mich jedoch ist das alles mit zu großer Distanz erzählt. Es gibt Ansätze von psychologischen Erklärungen; es gibt ein paar Dialoge, in denen zu ahnen ist, was im Innenleben der Protagonistin passiert. Doch immer dann, wenn es zu inneren Konflikten kommen müsste, geht der Autor wieder in den Plauderton über.
Einer der zentralsten Dialoge des Buches steht ziemlich am Ende des Buches: Marias Gespräch mit der befreundeten Bibliothekarin. Diese erklärt – fast wie im Bio-Unterricht – die Anatomie der weiblichen Geschlechtsorgane. Das – durch die Art, wie es geschrieben wurde – klingt fast wie ein Aufklären mit hochrotem Gesicht. Allerdings gehe ich davon aus, dass seit dem Kinsey-Report zumindest in der westlichen Hemisphäre, all das kein Geheimnis mehr ist.
Oder irre ich mich?
Fazit:
Ein gut geschriebenes und teilweise sogar fesselndes Buch. Es hat Schwächen, die meiner Meinung nach darin bestehen, dass die Figuren nur ansatzweise psychologisch logisch handeln und fühlen. Und es hat Stärken, weil es ein Märchen erzählt, von dem wohl viele der Frauen träumen, die in diversen Clubs und Bordellen arbeiten müssen – nach Mitteleuropa gelockt mit Versprechungen, die nicht ansatzweise zu erfüllen geplant ist.
Nic
PS: Über das “Happy-End” des Buches schweigt der Rezensent…
PS für Insider: Das Beste daran ist die Widmung darin