Paul Cassirer • Verleger ► Förderer ► Kunstmäzen

Von Renajacob @renajacob

Paul Cassirer entstammte einer renommierten, weit verzweigten jüdischen Familie, deren Mitglieder in ihren jeweiligen Generationen sich meistens um Kunst und Literatur Verdienste erwarben, auch gesellschaftlich war die Familie immer aktiv und sich ihrer Verantwortung bewußt. So war der von Paul Cassirer eingeschlagene Lebensweg für die Familie fast ‚normal’, denn der am 21. Februar 1871 in Görlitz geborene Paul studierte in München Kunstgeschichte und arbeitete anschließend bei der satirischen Wochenzeitschrift ‚Simplicissimus’. Im Herbst 1898 ging er nach Berlin und gründete zusammen mit seinem Cousin Bruno Cassirer die ‚Bruno & Paul Cassirer · Kunst- und Verlagsanstalt’. Zusammen lernten sie die Künstler Max Liebermann und Max Slevogt kennen, die ihnen viele kulturell bedeutende Persönlichkeiten Berlins vorstellten. Die Maler waren Mitglieder der am 2. Mai 1898 gegründeten Künstlervereinigung Berliner Secession, zu der die Cassirers, unter anderem auf Vorschlag des Präsidenten Liebermann, als Sekretäre berufen wurden. Dies brachte ihnen nicht nur innerhalb der Vereinigung, sondern auch auf dem Kunstmarkt eine herausgehobene Position ein. Mit anderen Worten, die Cousins Cassirer schafften es recht schnell sich in Berlin zu etablieren und ihren Platz zu finden. Berlin um 1900 ist die größte Stadt im Deutschen Kaiserreich und erfindet sich gerade, mitten in der Gründerzeit, als Weltstadt völlig neu. Alles, was Rang und Namen hat, kommt an die Spree, 1877 zählt man eine Million, 1905 schon zwei Millionen Einwohner. Die Kreativen strömen nur so in die Stadt. Gerade weil die beiden Cousins Paul und Bruno zweigleisig fahren, zum einen mit dem Verlagswesen, zum anderen mit der Kunstgalerie wird ihr Haus im Tiergarten Berlins zu einem Mittelpunkt der Kulturszene. In der Galerie zeigen und verkaufen sie deutsche und internationale Kunst ihrer Zeit. Beides gelingt ihnen mit einem schier unglaublichen Gespür für Relevanz und Qualität, aber auch dem Mut nicht den sogenannten ‚mainstream’ zu bedienen. Kein Geringerer als der aufstrebende belgische Gestalter Henry Clemens van de Velde gestaltet das Interieur der Galerie, allein dies ist eine klare Ansage das verstaubte wilhelminische Berlin. In ihren exzellent komponierten Ausstellungen zeigen die Cassirers als Erste in Deutschland Cézanne, daneben van Gogh, von ihm allein150 Werke auf einmal, Monet und Manet, Degas, später Munch, Beckmann und Kokoschka. Dazu stellen die Galeristen Werke deutscher, oft Berliner Künstler, unter ihnen Liebermann, Corinth und Slevogt aus. Auch durch die Initiativen der Cassirers kommt die Moderne der damaligen Zeit in Berlin an. Seit 1908 zieht sich Bruno Cassirer zurück, nicht immer waren die beiden einer Meinung, so nimmt sich Paul Cassirer nun auch des Buchgeschäfts an. Und auch hier geht er auf ‚Entdeckungsreise’, zum einen bringt er Buch und Malerei zusammen, in Bildbänden. Ein Novum in der damaligen Zeit, auch das wird gleich ein durchschlagender Erfolg. Bereits in der Frühphase der Verlagstätigkeit überrascht die Spannbreite der Interessen ebenso wie die Tiefe einzelner Untersuchungen, die Bildbände sind von solcher Qualität und Hintergrundinformationen, dass sie ihres gleichen suchen; hinzu kommt die Qualität der Aufnahmen, die ihrer Zeit völlig voraus sind. Gemeinsam mit Wilhelm Herzog, der zwischen 1909 und 1911 als Lektoratsleiter im Verlag tätig war, rief Cassirer 1910 das kulturpolitische Blatt ‚PAN’ ins Leben, das später von Alfred Kerr herausgegeben wurde. Zu den epochalen verlegerischen Leistungen des studierten Kunsthistorikers Paul Cassirer gehört zuvorderst die Etablierung der exklusiven Pan-Presse, in der die wichtigsten Exponenten der zeitgenössischen Kunst als Illustratoren auftreten. Für die Pan-Presse zeichnen neben anderen Max Liebermann, Max Slevogt, Ernst Barlach und Max Pechstein. Else Lasker-Schüler, die exzentrische Lyrikerin, gehört in jenen Jahren quasi zum Inventar des Hauses. Die in Auflagen von 50 bis 150 Exemplaren produzierten Edelbände des Pan sind in ihrer Entstehungszeit bereits kleine Kostbarkeiten. Heute antiquarische Sensationen. Slevogt und Barlach haben ihren Erfolg und ihre Bekanntheit in einer breiteren Öffentlichkeit zu großen Teilen dem Engagement Paul Cassirers zu verdanken. Auch die Namen der Autoren jener Phase haben bis heute Klang und Bedeutung. Neben Schriften Heinrich Manns publiziert Paul Cassirer Texte von Frank Wedekind, René Schickele oder Kasimir Edschmid. Führende Buchgestalter der Zeit sind für die Ausstattung der Bücher verantwortlich. Zu den namhaftesten Autoren im Verlag von Bruno Cassirer gehört Christian Morgenstern. Um 1910 erreicht die Arbeit Paul Cassirers als Verleger und Galerist ihren Höhepunkt – eingebettet in eine im Deutschen Kaiserreich künstlerisch äußerst fruchtbare und zugleich wirtschaftlich solider Umgebung. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete sich der Verleger mit dreiundvierzig Jahren freiwillig zum Kriegsdienst, war aber bald von seinen Erfahrungen im Lazarett und an der Westfront erschüttert. Auf Grund seiner nun kriegsfeindlichen Gesinnung war er zahlreichen, oft antisemitischen, Anfeindungen ausgesetzt und floh schließlich mit der Hilfe Harry Graf Kesslers und anderer Freunde nach Bern. Hier gründete er am 16. November 1917 mit Max Rascher die ‚Max Rascher Verlags AG’, die pazifistische Schriften von deutschen und französischen Autoren publizierte. 1922 musste das Unternehmen jedoch wieder aufgelöst werden, da Cassirer durch die Inflation in Deutschland finanziell starke Einbußen hinnehmen musste. Sein Unternehmen wurde derweilen in Deutschland von Walter Feilchenfeldt weitergeführt. Es erschienen Werke von Georg Lukács und Karl Kautsky. Eine herausragende Leistung des Verlages während der Nachkriegszeit war die Herausgabe der Lassalle-Gesamtausgabe. Cassirer kehrt schon 1918 nach Berlin zurück und nimmt dort seine früheren Aktivitäten wieder auf. Zum einen war er gespannt auf die Umwälzungen durch die Weimarer Republik, zum anderen wollte er in unruhigen Zeiten sein Haus nicht allein lassen. Nun stößt auch der russisch-jüdische Maler Marc Chagall in den Kreis der Buchkünstler im Auftrag Cassirers hervor. Chagall fertigt Radierungen zu zahlreichen Büchern des wiederbelebten Cassirer-Verlags, doch der neue, wahrlich geglückte Aufschwung mündet in einen Schicksalsschlag: Am 7. Januar 1926 richtet Paul Cassirer eine Schusswaffe auf sich. Wenig später stirbt er an den Folgen der durch den Suizidversuch verursachten Verletzungen. Hintergrund der Verzweiflungstat ist die gescheiterte zweite Ehe mit Tilla Durieux, mit der Paul Cassirer seit 1910 verheiratet war. Für die vielleicht exponierteste deutschsprachige Aktrice ihrer Zeit, Tilla Durieux, war das ein schwerer Schicksalsschlag. Nach Paul Cassirers Freitod führen die vormaligen Partner Walter Feilchenfeldt und Grete Ring den Verlag und die Kunsthandlung weiter, bis die Nationalsozialisten den ‚jüdischen’ Verlag 1933 schließen, die Galerie 1937 liquidieren. Beide Nachfolger gehen nach Holland, England und in die Schweiz, führen den Kunsthandel dort weiter, müssen das Verlagsgeschäft jedoch ruhen lassen.

Unzähligen Talenten verhalf Paul Cassirer auf den Weg und auf seine ganz eigene Art brachte er die Moderne nach Berlin – und nach Deutschland.

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Künstler die Paul Cassirer förderte + unterstützte:

➼ Else Lasker-Schüler • Ein Leben voller Bilder und Versen

Oskar Kokoschka • bewegende Bilder • bewegendes Leben

➼ George Grosz • Künstlerische Zerrissenheit mit Realitätssinn

➼ Otto Freundlich • Pionier der Abstrakten • Vergast in Majdanek

➼ Jankel Adler • Ein Maler der Avantgarde

➼ Heinrich Eduard Jacob • Vater des erzählenden Sachbuches

Bild 1: Portrai Paul Cassirer von von Kalkreuth 1912 – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Der Verlag Cassirer – Quelle: metastudies.net · Bild 3: Buchtitel Paul Cassirer – Quelle: buchfreunde.de · Bild 4: Tilla Durieux von Renoire gemalt – Quelle: metastudies.net