Die neue spanische Partei Partido X hat soeben ihr Programm vorgestellt. Es besteht in der Essenz aus vier Punkten, die für Transparenz und intensive Bürgerbeteiligung sorgen sollen. Das Programm ist zwischen Ende Januar und Ende März als Entwurf zur Diskussion für alle Bürger freigegeben gewesen und nach intensiver Diskussion darüber veröffentlichen wir heute das Resultat in deutscher Sprache. Wenn Sie bisher noch nichts von Partido X gehört haben, lesen Sie bitte zuerst unsere beiden Artikel vom 8. Januar (hier) und vom 16. Januar (hier).
Das komplette Programm in spanischer Sprache können Sie hier einsehen: Klick – Wir beschränken uns im Folgenden auf die wichtigsten Punkte, um eine noch schlimmere “Wall of text” zu vermeiden.
“Demokratie und Punkt” lautet das Motto der Partido X und setzt sich aus den folgenden vier Punkten zusammen.
Transparenz der öffentlichen Hand
Die Essenz der Demokratie ist es, dass die Bürger Kenntnis haben von allen Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, allen Daten, Umständen und Diskussionen, die zu diesen Entscheidungen führen.
Auf der anderen Seite ist die Transparenz der öffentlichen Kassen (und nicht der Kürzungen und Streichungen) unverzichtbar, um das Vertrauen von Investoren und Märkten zurück zu gewinnen.
Transparenz der öffentlichen Hand darf keine Option sein, sondern muss als Verpflichtung für jeden Bereich angesehen werden. Das schliesst alle staatlichen und privaten Institutionen ein, die in irgendeiner Weise öffentliche Gelder erhalten, auf direkte oder indirekte Weise Finanzierung steuern, beweglichen oder unbeweglichen Staatsbesitz verwalten oder im Dienstleistungssektor für mindestens zehn Prozent der Bevölkerung tätig sind.
Transparenz ist exakte, aktualisierte und wahrhaftige Information aller Budgets, Kosten, Ausschreibungen und Kassenabschlüsse, Protokolle, Lobbyisten-Berichten und alle Informationen, die bei der Entscheidungsfindung der öffentlichen Hand eine Rolle gespielt haben. Alle Dokumente, Programme, Termine und Pläne aller Art, die in solchen Entscheidungsstrukturen eine Rolle spielen, müssen frei zugänglich sein, ebenso wie alle finanziellen und Steuerdaten physischer wie juristischer Personen, Register für Immobilieneigentum, industrielle Aktivität, Lizenzerteilung usw.
Alle diese Dokumente werden nicht gültig sein, wenn sie nicht veröffentlicht sind und dem Bürger auf digitale und analoge Weise jederzeit zur Einsicht zur Verfügung stehen – ebenso wie bisher Gesetze erst gültig sind, wenn sie im Staatsanzeiger veröffentlicht werden. Auf diese Weise wird die Bevölkerung zum Wächter über alle Entscheidungen, die sie betreffen und aller Finanztransaktionen. Dies ist der einzige Weg, mit der Korruption aufzuräumen, die unsere Demokratie in der Vergangenheit so sehr belastet hat.
Alle Sitzungen der Parlamente von Staat und Ländern und ihrer Kommissionen müssen öffentlich übertragen werden. Sie sind unsere Repräsentanten, worüber könnten sie reden müssen, ohne dass wir davon erfahren dürfen?
(Anm. d. Red.: Wir empfehlen Ihnen zu diesem Thema unbedingt die Lektüre der seit langem gängigen Praxis in Schweden: Klick)
WikiRegierung und WikiGesetzgebung
Die WikiRegierung ist das Resultat einer Demokratie, die sich auf Bürgerbeteiligung stützt, um öffentliche Aktivitäten zu schaffen und zu verwalten. Sie versetzt die Bürger in die Lage, ein Auge auf alle Initiativen der Regierung und sämtlicher staatlicher, regionaler und lokaler Institutionen zu haben. Die WikiRegierung verschafft den Bürgern ausserdem die erforderlichen Kanäle, um selbst gesetzliche Initiativen einzubringen, die sich in Regierungshandeln verwandeln.
Die WikiGesetzgebung sind Gesetze, die vor aller Augen erarbeitet werden, unter Zusammenarbeit und Transparenz für die Bürger und Regierungen. Eine WikiGesetzgebung startet niemals bei Null. Sie beginnt bei einem Entwurf, erarbeitet von Bürgern und geschulten Personen im jeweiligen Thema (auf Initiative der Regierung oder der Bevölkerung), die vorher das existierende Wissen über den anstehenden Themenkomplex zusammengetragen haben.
Dazu braucht es einen Informationszeitraum, damit jede interessierte Person die Gelegenheit hat, sich in das Thema einzuarbeiten. Sei es mit dem Ziel, am Entscheidungsprozess selbst teilzunehmen, sei es als Beobachter des Entscheidungsprozesses zu fungieren.
Reales und ständiges Wahlrecht
Ausser den beschriebenen Möglichkeiten, an allen Entscheidungsprozessen aktiv oder als Beobachter teilnehmen zu können, fordern wir ein ständiges Abstimmungsrecht, um es zu nutzen, wann immer wir das für erforderlich erachten. Manche glauben, dieses Recht bereits zu haben, doch was wir bis heute tun, ist nicht abstimmen sondern auswählen. Wir wählen alle vier Jahre diejenigen aus, die für uns abstimmen, ohne dass wir ihnen zu jeder Abstimmung unsere Meinung mitteilen können: Ein Blanko-Scheck, der keine Rechtfertigung mehr verlangt. Alle Vorschläge, die Sie unter WikiRegierung und WikiGesetzgebung aufgelistet gefunden haben, schliessen selbstverständlich die Möglichkeiten und die Werkzeuge ein, die es den Bürgern erlauben, ein ständiges Wahlrecht auszuüben.
Abstimmen bedeutet den direkten politische Willen in ein konkretes Thema einzubringen, ob als Zustimmung, Ablehnung oder als Indifferenz. Um das zu ermöglichen, wird die Möglichkeit geschaffen, über alle Gesetze abzustimmen, die im Parlament behandelt werden, sowohl per Internet mit der elektronischen Passnummer (DNI electrónico) oder wie bisher auf Papier an den Stellen, die bei Bürgermeister- und Postämtern dafür eingerichtet werden.
Die Möglichkeit, direkt über Gesetze abstimmen zu können, macht das keineswegs zur Pflicht, ersetzt auch nicht die dafür gewählten Repräsentanten, auch wenn deren Funktion gründlich modifiziert wird. Sie werden jetzt wirklich Diener des Volkes. Uns ist völlig klar, dass nicht alle ständig über alles abstimmen können oder auch nur wollen, aber Interessierte sollen jederzeit diese Möglichkeit haben. Es geht darum, die Macht wieder in unsere Hände zu bekommen und auszuüben, wann immer wir das für richtig halten. Ohne Blanko-Schecks.
(Anm. der Red.: Wenn Sie sich dafür interessieren, wie das ständige Abstimmungsrecht genau praktiziert werden soll, lesen Sie unseren Artikel über “Democracia 4.0″, denn der Ansatz von Partido X wurde von dort fast baugleich übernommen: Klick)
Verpflichtende und verbindliche Volksabstimmung
Wie das schon in anderen Ländern üblich ist, geht es um Volksbefragungen, um alle wichtigen Strukturgesetze abzusegnen, egal wo sie herkommen – ob auf Initiative aus der Bevölkerung oder von Politikern. So ein Referendum hat verbindlich zu sein. Damit müssen Gesetze vorgeschlagen, verändert, ratifiziert oder abgelehnt werden können. Verbindlich, weil der Inhalt der Volksabstimmung verpflichtend in politisches Handeln umzusetzen ist. In unserem Vorschlag “Demokratie und Punkt” können die Bürger die Gesetze zur selben Zeit wählen, in der sie im Parlament zur Abstimmung stehen. Die Volksabstimmungen werden also die grosse Ausnahme bleiben für wirklich wichtige Gesetze (Verfassungsänderung usw.) oder in den Fällen, in denen die Regierung Themen bewusst nicht behandeln will, die aber von der Bevölkerung als besonders wichtig angesehen werden.