Paralleluniversen

Von Stefan Sasse
DGB-Chef Sommer hat eine Steuererhöhung für extrem gut Verdienende auf 39% und die Wiedereinführung der Vermögensteuer vorgeschlagen. Die Reaktionen fielen erwartbar harsch aus; von der FDP kam die Nachfrage, "in welchem Universum" Sommer lebe. Nun, die Frage stellt sich tatsächlich, aber mehr für FDP-Generalsekretär Döring, von dem das Zitat stammt. Er hat prinzipiell Recht, wenn er darauf verweist, dass die Steuereinnahmen des Staates so hoch wie nie zuvor sind. Auch das darin mitschwingende Vorurteil, dass der Staat nicht einfach Geld einsammeln sollte, nur weil er es kann, hat eine gewisse Berechtigung. Tatsächlich ist ein Moloch, der nach allen Ecken und Enden finanzierend die Keule schwingt kaum begehrenswert. Das Universum, in dem Döring lebt, ist aber nicht das, in dem gerade die Vermögenden, die er zu beschützen wünscht, in den letzten Jahren und Jahrzehnten exorbitante Vermögenssteigerungen auf die Kosten der Allgemeinheit erwirtschaftet haben. Alle Kürzungen, die der Staat in dieser Zeit vorgenommen hat, trafen die Armen stets härter als die Reichen und brachten ihnen deutlich weniger. Sie profitierten nicht von der Senkung des Spitzensteuersatzes um elf Prozentpunkte durch die Schröder-Regierung, aber sie litten unter der Anhebung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte, mit der das gegenfinanziert wurde, und sie werden unter der Anhebung des Rentenalters mehr leiden. Dörings Frage nach dem Wohnort Sommers impliziert deswegen nur die halbe Wahrheit. 
Denn die aktuelle Euro-Krise mag vielleicht, wie besonders Neoliberale gerne anführen, nichts mit der Finanzkrise zu tun haben. Die Finanzkrise aber ist trotzdem passiert, und sie hat die Verschuldung Deutschlands von rund 60% auf rund 80% des BIP getrieben, womit Deutschland noch relativ gut wegkam. Gerade die Vermögenden aber haben starke Zuwächse in den diese Krise verursachenden entfesselten Finanzmärkten gemacht. Sie stärker zu belasten ist nicht einfach nur Spaß, sondern gerecht und richtig. Wenn der Staat seine jetztigen Rekordeinnahmen (denen auch Rekordausgaben gegenüberstehen, was angesichts der Verwendung absoluter Zahlen ohnehin keine Kunst ist) dadurch weiter steigerte wären zwei Dinge möglich: an anderer Stelle zu kürzen, was Freunde des schlanken Staats erfreuen dürfte (man könnte beispielsweise tatsächlich einmal ernsthaft die kalte Progression angehen), oder aber das Geld ausgeben und damit Umverteilung betreiben. In diesem Fall bin ich, was vermutlich nicht viele überraschen dürfte, explizit für Umverteilung. Sommers Vorschläge werden praktisch garantiert noch als "Umverteilung" gebrandmarkt, ganz schlicht, weil "Umverteilung" zu einem ebenso unreflektierten Schimpfwort degeneriert ist wie "neoliberal". 
Dabei ist das unangemessen. Umverteilung ist nicht per se schlecht. Die Umverteilung von den Vermögenden zu den Habenichtsen gibt es, seit es menschliche Gesellschaften gibt. Sumerische Könige annulierten regelmäßig Schulden, ebenso wie Fürsten des Mittelalters. Römische Kaiser gaben das Geld des Staates für Brot und Spiele aus, frühneuzeitliche Fürsten errichteten Armenhäuser. Wahrscheinlich haben bereits die Höhlenbewohner dafür gesorgt, dass nicht aller Besitz der Sippe in den Händen weniger Personen verbleibt. Das macht Sinn, denn es ist für keine Gesellschaft gesund, wenn sich der Reichtum in wenigen Händen allein konzentriert. Und es gäbe viel sinnvolle Dinge, die man mit dem Geld aus einer solchen Umverteilung finanzieren könnte: allein das Bildungssystem braucht eigentlich viele Milliarden, um auf den Stand gebracht werden zu können, von dem man nicht erst seit PISA weiß, dass er gut wäre. Es braucht den Mut zu einer Umverteilung, und zwar einer anderen, als bisher betrieben wird. Der Verzicht auf eine aktive Umverteilung durch die Politik führt nicht zu keiner Umverteilung, sondern von einer von unten nach oben. Eine neue, aktivere Umverteilung muss offen diskutiert und politisch legitimiert sein. Es kann nicht sein, dass staatliche Stellen in paternalistischem Alleinvertretungs- und Besser-wissen-Anspruch selbstherrlich Gelder einziehen und verwalten. Das ist weder richtig noch zeitgemäß. Für die Rolle der Politik, wie Herr Döring sie sich vorstellt, gilt das allerdings auch.

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