“Paradies: Hoffnung” von Ulrich Seidl

© Die Mädchen im Abmagerungscamp in Ulrich Seidls

© Die Mädchen im Abmagerungscamp in Ulrich Seidls “Paradies: Hoffnung”.

Säuberlich symmetrisch aufgestellt stehen bei Ulrich Seidls Abschlussfilm seiner Paradies-Trilogie zwei Doppelbetten in einem eher schmal bemessenen Zimmer. In der Mitte, hinten an der Wand, ein Fenster zur Freiheit, aber immer verschlossen, so dass die buchstäblichen Insassen dieses ‘Jugendknasts’, der eigentlich eine Abmagerungsfarm ist, ihrem Trainingsprogramm nicht entgehen können. Die Ästhetik gleicht Bildern der vorangegangenen Werke. Das hauchdünne Mückennetz, das einen nebelartigen Schleier über das Bett legte, in dem Margarethe Tiesel als Teresa in „Paradies: Liebe“ auf ihren gekauften Liebhaber wartete. Das in “Paradies: Glaube” an eine Wand gerückte Bett Anna Marias, gespielt von Maria Hofstätter, über dem ein symbolträchtiges Kruzifix prangerte, welches von der manisch gläubigen Frau zum Liebesspiel an sich selbst genutzt wurde. Nun rücken die Betten an die Seiten der Bildkompositionen von Regisseur Seidl, der sich nach Mutter Teresa und Tante Anna Maria nun der Tochter Melanie zuwendet, die sich bisher nur als etwas dickliche, sich hinter ihrem Handy versteckende Randerscheinung zu erkennen gab.

In „Paradies: Hoffnung“, Wettbewerbsbeitrag auf der 2013er Berlinale, geht das jüngste Mitglied der von Seidl vorgeführten Familienidylle auf die Suche nach ihrem Paradies, welches sich auf dem ersten Blick stark an dem ihrer Mutter orientiert. Diese sitzt zeitgleich an der kenianischen Küste, erkauft sich die Liebe der dort einheimischen Beachboys, die nur danach gieren den Touristinnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, um ihnen Liebe vorzuspielen. Bei Melanie, der übergewichtigen Tochter, entfaltet sich die Neugier auf die erste Liebe, die immer zwischen ernstgemeinten Emotionen und dem schlichten Verlangen nach körperlicher Nähe, nach einer Bezugsperson pendelt. Mal erscheint es so, gerade in den vorpubertären Gesprächen mit den anderen Mädchen, als würde sich Melanie aus purer Liebe zu ihrem untersuchenden Arzt, namenlos von Joseph Lorenz verkörpert, hingezogen fühlen. Dann aber, wenn Melanie ihn liebevoll umarmt, es so scheint als wolle sie gar nicht mehr von ihm als diesen kurzen Moment der körperlichen Wärme, ist es wie eine Suche nach Aufmerksamkeit, nach jemanden der sich ihrer annimmt. Eine Vaterfigur, die Ulrich Seidl in seiner gesamten Trilogie nicht in Erscheinung treten lässt. Eine Mutter die schon gar nicht mehr zugegen ist, auch nicht ans Telefon geht. Eine Tante, die lieber auf Missionarswanderreisen geht als sich um Melanie zu kümmern. Abgeschoben, trauert dieses Mädchen in ihrer Einsamkeit vor sich hin. Ihr Paradies ist dementsprechend weder die Liebe, noch der Glaube. Ihr Paradies ist die Hoffnung auf Freundschaft.

Melanie Lenz und Joseph Lorenz.

Melanie Lenz und Joseph Lorenz.

Diese manifestiert sich im Miteinander mit der radikalen Verena, die sich nicht davor scheut, trotz Einweisung in das Abspeck-Camp, ihre Rundungen zu zeigen. In einem das Hinterteil betonenden Kleid, eng zusammengeschnürt, wackelt sie des Nachts durch die verbotene Küche. Mal mit einer ganzen Gang von Schokoriegel-gierigen Mädchen, vom Rückfall der Fresssucht heimgesucht. Ein anderes Mal steigt sie mit Melanie zum Fenster hinaus, unternimmt eine Flucht in ein kleines, nahegelegenes Dörfchen, wo nach einigen Schnäpschen die breiten Hüften geschwungen werden dürfen. Die Betäubung mit Alkohol kommt der Verzweiflung der Mutter gleich. Ohne es noch wirklich mitzubekommen, wird Melanie von einem Dorfjungen umtanzt, der ähnlich gierig auf ein weibliches Wesen wartet, wie die halbnackten Beachboys am Strand in Kenia. Geld soll dieses Mal aber keine Rolle spielen, hier ist es der bloße Sex. Melanie will es einfach mal erlebt haben, der Junge erfreut sich derweil an der Ganzkörper-Fummelei, die von seinem Kumpel sorgsam mitgefilmt wird, bis der Tanzclub-Besitzer die Meute vor die Tür setzt, mit einer unerbitterlichen Strafe von zwei Wochen Hausverbot.

Dieses gleichgültige Beiwohnen einer fast-Vergewaltigung bleibt nicht die einzige Unglaublichkeit. Es sind gerade die Gespräche, die die Mädchen miteinander führen, wenn gerade einmal nicht ihr Sporttrainer in der Nähe ist, der mit all seinen Tattoos, den schmierigen Haaren und Dreitagebart, selbst wie ein waschechter Knastbruder wirkt, die in „Paradies: Hoffnung“ die Seidl-typische, dokumentarisch angehauchte Wirklichkeit zu Tage fördern. Wenn kein Erwachsener in Sicht ist, entfalten sich die absurden Gespräche über das erste Mal und Sexualpraktiken, es wird geraucht und gesoffen. Die Kinder sind dabei gerade einmal dreizehn Jahre jung, kichern noch bei jedem albernen Scherz. Der kleinste Junge ist ein Hänfling, dem man auf offener Straße bereitwillig jede Spirituose oder angezündete Zigarette aus der Hand schlagen würde, nur um ihm einen letzten Rest an Kindheit zu bewahren.

Hartes Training zum Abspecken.

Hartes Training zum Abspecken.

Es ist die Hoffnung auf ein normales Leben, welches Melanie am Ende die Tränen in die Augen treibt. Sie wird nicht nur von den Disco-Jungs vergewaltigt, sondern auch von einer dem Konsum verschriebenen Gesellschaft. Wie soll sie sich wehren, mit all den Genussmitteln in unmittelbarer Reichweite. Selbst hier, abgeschottet von der Außenwelt, ist es nicht unmöglich an Tabak, an Alkohol oder an Süßigkeiten zu gelangen. Dann aber muss einem klar werden, dass schon Melanies Mutter und ihre Tante es nicht geschafft haben, ihr jeweiliges Paradies zu erreichen. Warum sollte es nun also der Tochter gelingen?

„Paradies: Hoffnung“ ist sicherlich der konventionellste Film der Reihe. Andächtig, ein wenig erstaunt, lauscht man als Zuschauer zwar den Mädchenunterhaltungen, einen dokumentarischen Beobachtungsdrang wie noch in „Paradies: Liebe“ und „Paradies: Glaube“ ruft das aber nicht hervor. Der Film ist in seiner Wirkung abgeschwächt, was nicht als fehlender Fokus auf bisher bestehende Stilmittel geahndet werden sollte. Immerhin ist Melanie das eine Familienmitglied, dessen Probleme der Zuschauer am ehesten nachvollziehen kann.


Paradies Hoffnung_Hauptplakat

“Paradies: Hoffnung“

Originaltitel: Paradies: Hoffnung
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Produktionsland, Jahr: A / D / F, 2012
Länge: ca. 91 Minuten
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Melanie Lenz, Verena Lehbauer, Joseph Lorenz, Michael Thomas, Viviane Bartsch

Deutschlandstart: 16. Mai 2013
Im Netz: paradies-trilogie.at/paradies-hoffnung



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