Paradies für alle
Antonia Michaelis
Knaur, 2015
978-3426512708
9,99 €
Das Paradies ist machbar, glaubt der 9-jährige David. Man müsste nur das Geld ein wenig umverteilen. Oder die Kühe von nebenan freilassen, die noch nie auf der Weide waren. Dass David begonnen hat, seine oft wilden Pläne in die Tat umzusetzen, erfährt seine Mutter Lovis erst, als er nach einem Unfall im Koma liegt. Sie findet seine Aufzeichnungen und beginnt zu kämpfen: um ihren Sohn, um ihre zerrüttete Ehe und um das Paradies auf Erden, das zu scheitern droht.
Zuallererst ist da David: neun Jahre alt, aufgeweckt, etwas altklug. Er geht mit offenen Augen durch das Leben und merkt: Irgendetwas stimmt da nicht. Warum bekommt er ein neues Fahrrad, das er nicht braucht und Lotta hat keines? Wieso schmeißen andere Essen und Kleidung weg und andere haben gar keine? Er ist ein schlaues Kerlchen, benimmt sich anderen Menschen gegenüber aber nicht vorlaut. Für ihn ist jeder Mensch gleich. Die Augen eines Kindes ermöglichen einen ganz neuen Blick auf die Dinge, die geschehen.
Lotta ist seine kleine Freundin. Sie betet ihn an und mit ihren geringen Wortschatz, aber ihrer Tatkraft, ist sie immer an seiner Seite.
Seine Eltern, Louis und Claas, sind eine Sache für sich. Nicht mehr ganz ein Paar, jeder in seiner anderen Welt, steht David irgendwie außen vor. Seine Eltern versuchen gar nicht erst miteinander zu reden. Es entsteht viel Traurigkeit und viel Verzweiflung zwischen den beiden.
Ein kleine abgeschiedenes Dorf. Jeder sollte jeden kennen. Es wird mit dem Finger auf Menschen gezeigt, die mal einen Fehler begangen habe. Jemand lebt abseits im Wald und fällt überhaupt nicht auf. Mädchen stehlen sich von Zuhause fort und kommen mit neuen Kleidern wieder. Alles mysteriöse und doch menschlich.
Ein kleiner Junge hat einen Unfall. Warum war er auf einer Autobahn unterwegs? Wieso hat er Zuhause nichts gesagt? Seine Mutter und sein Vater sind erschüttert, aber nicht zusammen. Jeder brütet für sich in seinem Schmerz und geht anders damit um. Als Louis, Davids Mutter eine Ledermappe entdeckt und versteht, was ihr Sohn versucht hat, ist es fast schon zu spät. Aber Menschen können immer helfen, immer lieben und immer füreinander da sein…
Es ist keine simple Idee, die der kleine David hat. Die Welt zugunsten für alle zu verändern ist schwierig. Er nennt es Umverteilung von Glück. Dabei besteht Glück aus einfachen Dinge: ein Fahrrad oder Ruhe. Aber auch komplizierte Dinge sind dabei, wie Gesundheit und ein Zuhause, das ein Zuhause bleiben kann. Die Grundidee finde ich wirklich schön. Antonia Michaelis versucht in ihren Romanen immer Botschaften zu verstecken. Es ist nicht der erhobene Zeigefinger, den der Leser sieht oder wahrnimmt. Das ist nicht ihr Stil. Sie setzt andere Akzente, ist ruhige bei der Sache und am Ende des Buches ist der Leser glücklich eine gute Geschichte gelesen zu haben und versteht vielleicht den Gedanken dahinter.
David ist dabei eine gute Figur, denn vieles darf er als Kind, was ein Erwachsener nicht mehr dürfte oder erst gar nicht auf die Idee gekommen wäre. Manchmal schüttelte ich natürlich den Kopf und denke: Warum haben die Eltern nicht einmal nachgefragt? Oder warum hat ihm niemand so richtig geholfen? Ganz einverstanden bin ich auch nicht damit, dass David ein verschrobenes Kind ist, ja Züge von einem sehr intelligenten, fast altklugen Menschen zeigt und manchmal das kindliche verliert. Aber es macht ihn auch weich und formbar und sonst hätte sich die Umverteilung niemand zugetraut.
Es ist kein einfaches Ende, das verrate ich euch. Es ist kein perfektes Ende – aber ein fast perfektes Buch. Ich war mitgerissen, habe fast geweint, wenn Louis trauerte und bin mit David und Lotta, seiner kleinen Freundin, zusammen zur Tarzanschaukel gegangen.
Ich habe mich ganz schnell in das Cover verliebt. Die Pastellfarben, die Seifenblasen – es strahlt einfach eine ganz tolle Stimmung aus, die mich das ganze Buch über begleitet hat. Wenn ich das Buch geschlossen habe, habe ich mich trotzdem gefreut, denn dann habe ich das Cover gesehen.
Es ist ein wundervoller Roman, der mich in seinen Bann gezogen hat. Die Geschichte von David ist voller Hoffnung, Verzweiflung und Philosophie. Es schenkt den Lesern ein Lächeln, Tränen und viele schöne Sätze.