Papst undercover

Von Newssquared @Oliver_schreibt

Der Jubel war groß, als es im April 2005 hieß: «Habemus Papam». Bei Gläubigen rund um den Globus, vor allem aber in Deutschland. Joseph Ratzinger aus Oberbayern wurde Nachfolger des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. «Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu’ mir dies nicht an», sagte Benedikt XVI. kurz nach seiner Wahl. Dennoch stellte er sich der Aufgabe. Die Bilder seiner ersten Predigt gingen um die Welt – ebenso wie die seines jüngsten Deutschlandbesuches im September.

So weit kommt es für Kardinal Melville (Michel Piccoli) im Film Habemus Papam – Ein Papst büxt aus gar nicht erst. Der Geistliche wird vom Konklave überraschend zum neuen Kirchenoberhaupt gewählt und kann es nicht fassen. Er als Papst? Melville packt die blanke Panik, noch bevor er sich dem jubelnden Volk auf dem Petersplatz in Rom zeigen kann, erleidet er einen Nervenzusammenbruch. So sehr er sich dem Willen Gottes auch beugen will, so sehr ihn die anderen Kardinäle auch dazu drängen, so lange die Pilger auch nach ihm rufen – er kann es nicht.

Ausgerechnet ein atheistischer Psychoanalytiker Brezzi (Nanni Moretti) soll ihm helfen. Als Mitwisser selbst im Vatikan gefangen, schickt er den Papst samt Pressespecher (Jerzy Stuhr) in die Praxis seiner ebenfalls therapierenden Exfrau (Margherita Buy). In Freiheit nutzt Melville die Gelegenheit zur Flucht und entdeckt Sehnsüchte, die er lange verdrängt hatte. Im Vatikan ist man folglich damit beschäftigt, die Öffentlichkeit hinzuhalten, den Papst zurückzuholen – und Volleyball zu spielen. Doch wie lange geht das gut?

«Kein Akt der Schwäche, sondern der Stärke»

Ein Papst, der keiner sein will. Dieser Ansatz hat den Film, eine Mischung aus Drama und Komödie, bereits in seinem Heimatland Italien und bei den Filmfestspielen in Cannes zum Gesprächsthema gemacht. Er wurde mit dem Globo d’Oro, dem italienischen Pendant zum Golden Globe, ausgezeichnet und in Cannes mit stehenden Ovationen gewürdigt. In katholischen Kreisen waren die Reaktionen gemischt. Die katholische Tageszeitung Avvenire etwa rief zum Boykott des Films auf und bezeichnete ihn als Beleidigung der Religion. Radio Vatikan lobte Habemus Papam hingegen als sehr menschlich.

Und das ist der Film auch. Er lässt die Black Box des Vatikans menscheln, indem er einen Mann zeigt, auf den die Wahl zum Pontifex zutiefst verstörend wirkt. Nicht, weil sein Glaube an Gott nicht stark genug ist, sondern der Glaube an sich selbst zu schwach. Ist er dieser großen Aufgabe gewachsen? Kann er die Hinterlassenschaften seiner Vorgänger fortführen? Diese Fragen lassen ihn durch die schallenden Gänge des Petersdoms und schließlich incognito durch die Straßen Roms wandeln.

Dabei schafft es der 86-jährige Schauspieler Michel Piccoli, die Zerrissenheit seiner Figur in allen ihren Facetten umzusetzen. Ohne viel sagen zu müssen, vermittelt er Angst und Verzweiflung, weil Melville nicht weiß, was mit ihm passiert, nicht weiß, was richtig und was falsch ist. Für seinen Rückzug wird ihm Schwäche, ja sogar Wahnsinn unterstellt. Doch es sei «kein Akt der Schwäche, sondern der Stärke», die eigene Fehlbarkeit einzugestehen, wie Regisseur Nanni Moretti im dpa-Interview erklärt.

Als sein Papst fernab des Drucks der Kirche in zivil alten Leidenschaften wie dem Theater frönen kann, verwandeln sich seine Augen in die eines staunenden Kindes, sind voller Sehnsucht und Erleichterung. Er, der nie wissen musste, was er will, muss nun eine mutige Entscheidung treffen. Bis zuletzt bleibt unklar, welche es sein wird.

Respektvolle Kritik an kirchlicher Strenge

Den Weg dorthin zeichnet Moretti, der selbst als Professor Brezzi in Erscheinung tritt und den Vatikan mit unkonventionellen Methoden aufmischt, sensibel nach. So ernst die innere Abwehr der Hauptfigur zu nehmen ist, entbehrt der Film aber keineswegs einer gewissen Komik. Sie gipfelt in Szenen, in denen Kardinäle im Flüsterchor darum beten, nicht zum Papst gewählt zu werden, und später bei einem vatikaninternen Volleyballturnier um Punkte feilschen. Oder in denen ein Mitglied der Schweizer Leibgarde dem Volk als Alibi-Papst hinter verschlossenen Gardinen zuwinkt und sich dabei den Bauch mit allerlei Köstlichkeiten vollschlägt.

«Alle Päpste geben nach ihrer Wahl an, sich für ungeeignet zu halten. Es liegt an uns, das zu glauben oder nicht», sagt Moretti. Seinem Filmpapst nimmt man das in jedem Fall ab. Und obwohl in dessen Darstellung so viel Kritik an der Blindheit der Kirche für die Menschen unter den schimmernden Gewändern und deren individuelle Bedürfnisse steckt und auch ein Seitenhieb auf den medialen Papsthype nicht ausgespart bleibt, verliert Habemus Papam nie den Respekt vor den Themen Religion und Glaube.

So wurden Prozedere wie das der Papstwahl akribisch nachvollzogen, Kostüme und Bauten aufwändig nachempfunden und in stimmige Bilder umgesetzt, die zeigen, wie es im Vatikan tatsächlich aussehen und zugehen könnte – mal streng formell und fast bedächtig, mal ungewohnt locker und menschlich. Ob Melville die Form doch noch wahrt oder endgültig ausbricht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Seine reale Entsprechung Papst Coelestin V. dankte 1294 nach nur fünf Monaten im Amt auf eigenen Wunsch ab – in der Kirchengeschichte ein bisher einmaliger Fall.

Bestes Zitat: «Sagen Sie, haben Sie Probleme mit dem Glauben?» (Der Psychologe im Gespräch mit dem Papst.)

Titel: Habemus Papam – Ein Papst büxt aus
Regie: Nanni Moretti
Darsteller: Michel Picolli, Jerzy Stuhr, Nanni Moretti, Margherita Buy
Filmlänge: 110 Minuten
FSK: keine Altersbeschränkung
Verleih: Prokino
Kinostart: 8. Dezember 2011

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«Habemus Papam» im Kino – Papst undercover