9.1.2012 – Heute hat Papst Benedikt XVI die 179 im Vatikan vertretenen Diplomaten zur traditionellen Neujahrsansprache empfangen. Das katholische Kirchenoberhaupt nutzte seine Rede nicht nur, um über die Religionsfreiheit und die Wirtschaftskrise zu sprechen sondern äußerte sich auch ungewohnt deutlich zum Thema Homosexualität.
Die menschliche Würde
In der Ansprache des Papstes heißt es unter anderem, dass die Politik von Ländern, die die traditionelle Familie auf Basis der Verbindung zwischen Mann und Frau in Frage stelle, eine „Bedrohung für die menschliche Würde und sogar für die Zukunft der Menschheit“ sei.
Bei der heterosexuellen Familie handle es sich „nicht um eine bloße gesellschaftliche Konvention, sondern um die Grundzelle der ganzen Gesellschaft“ setzt das Kirchenoberhaupt seine Rede fort. Die Staaten der Welt fordert der Papst dementsprechend auf, eine Politik zu betreiben, die den „Wert der Familie“ betont, da sonst die weitere Entwicklung der Staaten gefährdet sei.
In dem Gesagten spiegelt sich nicht nur eine unverfrorene Feindseligkeit gegenüber Homosexuellen wider sondern auch eine höchst eigenartige Vorstellung darüber, wie sich gleichgeschlechtlich orientierte Menschen unter einer restriktiven Gesetzgebung verhalten. So scheint der Papst ernsthaft davon auszugehen, dass Homosexuelle Menschen dazu übergehen würden, Kinder zu zeugen, wenn man ihnen nur verbietet, ihre ursprüngliche Sexualität auszuleben.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, was Benedikt genau mit der „Zukunft der Menschheit“ meint. Angesichts von rund sieben Milliarden Weltbürgern davon zu sprechen, dass der Fortbestand der Menschen dadurch gefährdet ist, dass Homosexuelle sich dem göttlich-biologischen Auftrag entziehen, ist lächerlich. Nachvollziehbar wäre diese Auffassung nur dann, wenn der Papst die Menschheit als weiß, westlich und heterosexuell definiert.
Unerwähnt bleibt in diesem Zusammenhang, dass innerhalb der katholischen Kirche insgesamt rund 1,2 Millionen Priester und Ordensleute organisiert sind, die sich dem Fortpflanzungsgebot ebenfalls verweigern, wenn sie sich an den Zölibat halten.
Homosexuelle haben noch heute in 76 Ländern strafrechtliche Sanktionen zu fürchten, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wird. In sieben Ländern wird für homosexuelle Handlungen die Todesstrafe verhängt.
Anstatt seine Definition von Würde anhand dieser beschämenden und alarmierenden Bilanz neu auszurichten, setzt sich Benedikt in seiner Ansprache lieber für die Religionsfreiheit der Christen in aller Welt ein
Das erste Menschenrecht
Die Religionsfreiheit ist für den Papst das „erste der Menschenrechte“, weil sie die „tiefste Realität der Person“ betrifft. Er bemängelt in seiner Neujahrsansprache die Tendenz in einigen Ländern, die Rolle der Religionen in der Gesellschaft zurückzudrängen. Als Grund für die distanzierte Einstellung zu den Religionen führt Benedikt an:
“Als ob sie Grund für Intoleranz wären und nicht vielmehr ein schätzenswerter Beitrag zur Erziehung zum Respekt für menschliche Würde, Gerechtigkeit und Frieden”.
Vor dem Hintergrund dessen, was der Papst in derselben Ansprache über Homosexuelle sagt, kommt man nicht umhin, eine gewaltige Kluft zwischen dem hohen moralischen Anspruch auf der einen und der menschenverachtenden Realität auf der anderen Seite festzustellen.
Für seine Glaubensbrüder fordert der Papst genau die Würde, Gerechtigkeit und Toleranz, die er Millionen von Schwulen und Lesben auf der ganzen Welt verweigert.
Das Kirchenoberhaupt will scheinbar nicht bemerken, dass seine wohl abgewogenen Äußerungen der fortgesetzten Diskriminierung, Verfolgung und sogar Ermordung Homosexueller Vorschub leisten und vielen Rassisten und Hetzern die offizielle Absolution für ihre feindselige Haltung gegenüber gleichgeschlechtlich l(i)ebenden Menschen verleihen.
Es mag vielleicht vom Oberhaupt der katholischen Kirche zu viel verlangt sein, Homosexualität gutzuheißen. Sich allerdings für Toleranz gegenüber Homosexuellen einzusetzen und sie ausdrücklich in seine Forderung nach Würde, Gerechtigkeit und Frieden einzubeziehen, sollte gerade dem geistigen Führer der Katholiken, wenn schon nicht eine Herzensangelegenheit, dann doch zumindest eine Selbstverständlichkeit sein.
Stattdessen macht sich das vatikanische Staatsoberhaupt, das wir im Bundestag sprechen lassen und dessen Empfängen unsere Diplomaten bereitwillig beiwohnen, selber zum Auslöser von Hass, Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. In Bezug auf die moralische Bewertung der katholischen Kirche muss sich vor diesem Hintergrund jeder sein eigenes Urteil bilden.