Papandreous Griechen-Referendum: Deutsche Regierung und Systemmedien sprachlos

"Der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou hat ein Referendum über das europäische Hilfspaket von 130 Milliarden Euro sowie den in Aussicht gestellten Teilerlass griechischer Staatsschulden und damit über den unpopulären Sanierungskurs seiner Regierung angekündigt"
meldet aus Athen FAZ-Mitarbeiter Rainer Hermann (eigentlich  "Korrespondent für Wirtschaft und Politik in der arabischen Welt mit Sitz in Abu Dhabi") in dem Artikel "Griechenland. Papandreou kündigt Referendum über Hilfspaket an" vom 31.10.2011. 
Und natürlich berichten auch sämtliche anderen Medien breit über diese neueste Wendung in der griechischen Schuldenkrise. So z. B. die Neue Zürcher Zeitung unter "Griechischer Paukenschlag stellt EU-Rettungsplan in Frage Ankündigung einer Volksabstimmung verunsichert Märkte und Politik" vom 31.10.2011. (Nicht direkt das Referendum behandelt der gleichzeitige Bericht "In Griechenland wächst die Angst" über Details bzw. Auswirkungen des mit den Banken vereinbarten "freiwilligen" Schuldenschnitts und Meinungsumfragen über die Stimmung in Griechenland:
"Nur 16,9% erhoffen sich vom Schuldenschnitt eine Überwindung der Krise, die Mehrheit der Befragten spüren Resignation (21%), Angst (20%) und Wut (19%). Ausserdem lehnen 48,8% der Griechen die Entscheidung des Gipfels, «für die Dauer des Programms eine Überwachungskapazität vor Ort aufzubauen», als Einschränkung der Souveränität ab. Dennoch wollen 72% der Griechen den Euro behalten." [Also wie üblich: unsere Kohle wollen die, im Übrigen aber weiter wirtschaften wie bisher! Obwohl es durchaus auch einsichtige Einzelpersonen gibt; einige Beispiele in dem taz-Bericht "Die Wut-Griechen über ihre Krise. Ein Land hat sich ruiniert" vom 20.10.2011]
(Einen interessanten Aspekt der Umschuldung behandelt auch die FAZ v. 28.10.2011 "Markt spekuliert über Behandlung privat gehaltener Griechen-Anleihen".)
Sehr ausführlich über das Referendum und dessen Hintergründe auch das Handelsblatt vom 01.11.2011 unter "Referendumsplan: Papandreou erwischt die EU eiskalt" (darin ein hübscher Begriff: "Leih-Wohlstand").
Auch über Reaktionen auf die überraschende griechische Ankündigung eines Referendums wird in  unserer Presse breit referiert, z. B. im Manager Magazin vom 01.11.2011 unter "Reaktionen zu Griechen-Referendum. 'Eine Ablehnung wäre Selbstmord' ". Ebenso in der WELT vom  01.11.2011 u. d. T. "Griechisches Referendum . 'Im Prinzip wird über Euro-Mitgliedschaft'  abgestimmt".
Das österreichische Wirtschaftsblatt meldet: "Griechenland-Schock: Sarkozy und Merkel telefonieren"; eine Stellungnahme der Bundesregierung zur beabsichtigten Volksabstimmung in Griechenland gibt es nicht.
Sehr ausführlich zitiert heute das österreichische Wirtschaftsblatt Stellungnahmen von (insbesondere) Bank-Analysten: "Es war ein Riesenfehler, Griechenland nicht gleich aus der Eurozone zu werfen" (hier besonders hervorzuheben die Meinung von JANWILLEM ACKET, CHEFVOLKSWIRT JULIUS BÄR).
Besonders aber wird überall über die Reaktion der Finanzmärkte informiert, z. B. im Handelsblatt vom 01.11.2011 unter "Börsen auf Talfahrt: Papandreou bringt die Märkte ins Wanken" und "Turbulente Finanzmärkte: Euro-Angst erschüttert Börsen" vom gleichen Tag (Autor Jörg Hackhausen). Ebenso in der WELT unter "Dax fällt um 5,6 Prozent. Griechenland-Referendum schockiert die Märkte".
 
Auffällig ist aber, dass die Journalisten in den Medien (mit den u. a. Ausnahmen) den Sachverhalt noch nicht mit Meinungskommentaren begleitet haben (bzw., während ich diesen Blog-Eintrag schreibend weiter recherchiere: dass sie sich allenfalls langsam eine Meinung bilden).  Ist ja auch verständlich, wenn jene, die bei uns auf dem Willen des Volkes herumtrampeln, Probleme damit haben, das Griechenland darüber abstimmt, ob es fremde Gelder annehmen will, während in den Geberländern die Politiker dem Volk das Geld just für diesen Zweck abnehmen, ohne es zu fragen - und das großenteils ohne von den Medien dafür kritisiert zu werden.
Der Athener Handelsblatt-Korrespondent Gert Höhler kommentierte am 31.10.2011 u. d. T. "Stunde Null in Athen". Aber dieser Kommentar enthält weniger eine eigene Bewertung der Ankündigung, als vielmehr weitere (und sehr interessante) Informationen: Dass die griechische Verfassung eine Abstimmung über Finanzfragen eigentlich verbietet, dass Papandreou im Parlament die Vertrauensfrage stellen will (und im Falle seines Unterliegens Neuwahlen anstehen, das Referendum also hinfällig wäre). Weiter informiert Höhler über die Stimmungslage in der griechischen Bevölkerung: gegen weitere Sparmaßnahmen (was eine Ablehnung des Hilfspaketes wegen der damit verbundenen weiteren Sparauflagen wahrscheinlich macht) und gegen die etablierten Parteien (was im Falle von Neuwahlen die Regierungsbildung schwer machen würde).
Ausgerechnet in Hamburg, der medialen Lobbyzentrale der Anleihebesitzer,  hat sich die Rettungsjournaille als erstes gefangen. Während die ZEIT-Kommentatoren noch schweigen, titelt Sven Clausen in der Financial Times Deutschland den wohl allerersten echten Meinungs-Kommentar der deutschen Presse zu diesem Thema mit "Volksabstimmung zum Sparpaket: Starkes Signal aus Athen" (01.11.11, 7:12 h). Er begrüßt die Abstimmung in der Hoffnung auf einen positiven Ausgang: "An das Gegenteil mag man deswegen lieber nicht glauben". Naiv ist freilich seine Einschätzung "Stimmen die Griechen zu und geben Papandreou damit das Mandat zur schmerzhaften Sanierung des Landes, haben die Investoren keinen wirklichen Grund mehr zum Zweifel" (und noch mehr: "dass sich auch die Gegner an das Votum halten würden"). Wenn die Griechen (wofür trotz der aktuell scheinbar entgegen stehenden Meinungsumfragen ihr objektives Interesse spricht) im Referendum mit "ja" stimmen würden, würden sie aus ihrer Sicht wohl weniger die Sparauflagen legitimieren, als vielmehr sich eine Fortsetzung der Hilfszahlungen der bekloppten Nordeuropäer sichern. (Das wäre für uns ärgerlich, objektiv aber durchaus clever.)
Nicht ganz so zuversichtlich über den Ausgang, aber sehr positiv eingestellt zum Referendum, ist Sven Böll in seinem Spiegel-Online-Kommentar "Volksabstimmung über Euro. Bravo, Herr Papandreou!" von heute. Zwar glaubt auch er: "Würde sich die Mehrheit der Bevölkerung zum eingeschlagenen Weg aus der Krise bekennen, könnte dieser Gruselmodus noch am ehesten beendet werden. Streiks wären dann wohl delegitimiert." Aber: "Zumindest hat es jeder Grieche selbst in der Hand und kann nicht mehr auf die Regierung schimpfen, die sich dem internationalen Diktat beugt. Und selbst wenn die Griechen am Ende nein sagen und das Land im Extremfall die Euro-Zone verlässt, scheinen die Konsequenzen weniger brenzlig als noch vor einem Jahr."
Dass Böll für Deutschland keine Volksabstimmung fordert, versteht sich von selbst.
(Überhaupt scheint der einzige Rufer von Gewicht nach einem deutschen Referendum der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler zu sein, über den wir lesen: F. S. "begrüßte die Volksabstimmung. Man könne nicht andauernd Politik gegen die eigene Bevölkerung machen, sagte der erklärte Gegner des Euro-Kurses der Bundesregierung. 'In Deutschland und in Griechenland macht man den großen Fehler, dass man die Bevölkerung nicht ausreichend mitnimmt'."
Erwähnt sei auch noch der heutige WELT-Kommentar des Rettungsschirm-Gegners Jan Dams "Europa braucht für Griechenland einen Plan B": "Europa braucht einen Plan B. Der Rest der Euro-Zone muss am Tag der Abstimmung in der Lage sein, das Land vom Rest der Währungsunion zu isolieren. Athen muss dann raus aus dem Euro – nicht, weil das die ökonomischste Lösung ist, sondern weil es dem Wähler in den Geberländer kaum zu vermitteln wäre, dass ein Land Reformen ablehnt und trotzdem EU-Hilfen will."
Für mich selbst beweist der Plan des griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou wieder einmal, was ich schon zuvor positiv bewertet hatte: dass es in Griechenland trotz aller gesellschaftlichen Probleme doch wenigstens noch eine Demokratie gibt. Die ist bei uns - unter teils aktiver, teils passiver Mithilfe zahlreicher Meinungsmacher in der Systempresse - weitgehend den Parteien-Bach runtergegangen. 
Was auf uns zukommt in Sachen Eurozonen-Bailout, sagt uns wieder einmal in einer völlig ungeschminckten Form nur ein Wirtschaftswissenschaftler: "Die Euro-Krise beginnt jetzt von vorne" - Interview von Dorothea Siems mit Prof. Dr. Hans-Werner Sinn in der WELT vom 29.10.2011 (vor Bekanntwerden der Referendumspläne).
Nachdem unsere Politik zu feige ist, weitere Hilfsmaßnahmen (sprich: Veruntreuungen deutscher Steuergelder zu Gunsten der Kapitalbesitzer und der Bürger fremder Länder!) zu stoppen, können wir nur hoffen und beten, dass sich die Griechen selbst aus der Eurozone, oder zumindest den Rettungsmechanismen, herauskatapultieren.
Ausgemacht ist das freilich ganz und gar nicht. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle jedenfalls bewertet das Referendum als einen Versuch, Druck auf die Europäer für laxere Sparvorgaben zu machen. Vgl. dazu in dem Artikel "Athen überrascht mit Referendum über Hilfspaket" der WELT von heute:
"Brüderle bemängelte das griechische Vorgehen: „Das klingt danach, dass man irgendwie sich raus da rauswinden will aus dem, was man jetzt verhandelt hat“.
Selbstverständlich bedient Brüderle seine FDP-Wählerschaft auch mit jenen starken Sprüchen, die von ihm erwartet werden :
"Lehne das griechische Volk die erzielten Vereinbarungen ab, sei der Punkt erreicht, „wo es dann kein Geld mehr gibt (für Griechenland) aus meinem Verständnis hinaus“. Dann müsse es darum gehen, die Ansteckungsgefahren eines griechischen Staatsbankrotts zu bannen."
Das Wallstreet Journal ist da in seinem Bericht "Greek Vote Threatens Bailout. Premier Calls for Surprise Referendum Days After European Leaders OK Aid Deal", ebenfalls von heute, vorsichtiger:
"A binding voter rejection of Europe's terms for a bailout would leave euro-zone leaders such as German Chancellor Angela Merkel and French President Nicolas Sarkozy with a bitter choice. Either they let Greece default on its €355 billion of public debt, risking panic throughout Europe's government-bond markets and banking sectors; or they cave in and offer Greece more generous bailout terms."
Trotz aller Schwierigkeiten (WSJ: "Relaxing Greece's bailout terms would anger voters in Germany and other countries who are already resentful of having to subsidize Greece ..... . It could also prompt other recipients of rescue loans—Ireland and Portugal—to demand similarly generous treatment") stehen die Chancen leider gar nicht so schlecht, dass unsere Politik wieder einmal nachgeben wird ("cave in"). Markige Sprüche von FDP-Politikern werden sich dabei auch in Zukunft - wie schon bisher - als heiße Luft erweisen. (Und ebenso die Parolen von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.)
Langsam findet auch unsere Politik findet die Sprache wieder: siehe z. B. Artikel "Referendum in Griechenland. Grüne finden Griechen mutig" in der Berliner Morgenpost vom 1. November 2011, 15:52 h. Nicht verwunderlich (da man ohnehin keinen Einfluss nehmen kann), begrüßt man das Referendum (oder kritisiert es zumindest nicht), obwohl unsere Kartellparteien den eigenen Volkswillen weiterhin missachten.
Was man aber wirklich von der Einschaltung des Volkes hält, bringt, in der ihm eigenen Naivität, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zum Ausdruck: "SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die konservative Opposition in Griechenland zu einer Aufgabe ihres Blockadekurses zu bewegen. „Jetzt ist auch Frau Merkel gefragt“, erklärte Gabriel in Berlin. 'Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten'."
ceterum censeo
Der Wundbrand zerfrisst das alte Europa, weil es zu feige ist ein krankes Glied zu amputieren!
POPULISTISCHES MANIFEST(für die Rettung von ? Billionen Steuereuronen!):Ein Gespenst geht um in Deutschland - das Gespenst einer europäischen Transferunion und Haftungsunion.Im Herzland des alten Europa haben sich die Finanzinteressen mit sämtlichen Parteien des Bundestages zu einer unheiligen Hatz auf die Geldbörsen des Volkes verbündet: ·   Die Schwarzen Wendehälse (die unserem Bundesadler den Hals zum Pleitegeier wenden werden),·   Die Roten Schafsnasen (vertrauensvoll-gutgläubig, wie wir Proletarier halt sind), ·   Die Grünen Postmaterialisten (Entmaterialisierer unserer Steuergelder wie unserer Wirtschaftskraft),·   Die machtbesoffenen Blauen (gelb vor Feigheit und griechisch vor Klientelismus), und selbstverständlich auch·   Die Blutroten (welch letztere die Steuergroschen unserer Witwen, Waisen und Arbeiter gerne auflagenlos, also in noch größerer Menge, gen Süden senden möchten).Wo ist die Opposition im Volke, die nicht von unseren Regierenden wie von deren scheinoppositionellen Komplizen als Stammtischschwätzer verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, welche sich der Verschleuderung der dem Volke abgepressten Tribute an die europäischen Verschwendungsbrüder wie an die unersättlichen Finanzmärkte widersetzt hätte?Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor:Das Volk wird von fast keinem einzigen Politiker als Macht anerkannt.Es ist hohe Zeit, dass wir, das Volk, unsere Anschauungsweise, den Zweck unserer Besteuerung und unsere Tendenzen gegen die fortgesetzte Ausplünderung durch das Finanzkapital bzw. durch die Bewohner anderer Länder und durch seine/deren politische Helfershelfer vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen von dem grenzenlosen Langmut der Deutschen den Zorn des Volkes selbst entgegenstellen.
Textstand vom 01.11.2011. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm. Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

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