„Ich habe so viel von diesen Bären gelernt. Aber ich frage mich, was wenn überhaupt etwas, sie von mir gelernt haben“, sinniert in Paddington‘s Vorspann der Forscher und Bärenentdecker Montgomery Clyde. Gefragt sind indirekt natürlich die Zuschauer, insbesondere die kleinen, die sich spätestens wenn Clydes Worte zum Filmende wiederholt werden, erinnern sollen, was sie gemeinsam mit dem unbedarften Titelheld von dessen Ziehfamilie Brown (-Bear, get it?) gelernt haben.
Dieser Instruktionismus ist einer gewissen Altklugheit in Michael Bonds Vorlage nicht fern, dennoch wünscht man Regisseur Paul King hätte aus seiner Filmversion des Kinderbuchklassikers mehr herausgeholt. Reichlich Potential dazu bieten die Abenteuer des Waisen-Bären (im Original gesprochen von Ben Wishaw) aus dem „Dunkelsten Peru“. Dort lebt er bei Onkel Pastuzo (Michael Gambon) und Tante Lucy (Imelda Staunton), doch sie schickt ihn nach einem Unglück in Erinnerung an Clydes einst ausgesprochene Einladung ins sichere London. Der tierische Culture-Clash ist vorprogrammiert, als die herzensgute Mrs. Brown (Sally Hawkins) den verlorenen Bären mit dem roten Schlapphut bei sich aufnimmt.
Mr. Brown (Hugh Bonneville), die Kinder und Haushälterin Mrs. Bird (Julie Walters) sind über den tollpatschigen Hausgast anfangs wenig begeistert, doch wer konnte seinem Teddy-Bär je ernsthaft böse sein? Im Nu erfüllt sich für Paddington, wie Mrs. Brown den Titelcharakter nach seiner Ankunfts-Bahnstation tauft, Tante Lucys Hoffnung auf ein besseres Leben im Ausland. Würde ein Flüchtlingskind, wie es der alte Antiquar Mr. Gruber (Jim Broadbent) einst war, ebenfalls sofort seinen Weg in ein wunderschönes Heim zu einer liebevollen Familie finden? Vor der spannenden Frage drückt sich der Familienfilm mit einer Abblende, doch Mr. Grubers Worte zu Paddington legen nah, dass Integrationshürden an der falschen Einstellung des Immigranten liegen.
Bei Mr. Gruber klappte in der Vergangenheit alles offenbar tadellos und in der Gegenwart (die sehr nach 60er Jahre aussieht) ist es bei Paddington schon fast zu viel des Guten. Abhilfe schaffen soll Nicole Kidman als die fiese Taxidermistin Millicent. Die willkürliche Bosheit der Cruella-de-Vil-Kopie zementiert zusätzlich die filmische Vision einer undifferenzierten Mary-Poppins-Welt, die nur Gutmenschen und Bösewichte bevölkern. King übernahm neben der Inszenierung auch das Drehbuch, doch harmonischer gerät sein Kinderspaß dadurch nicht. Die Unebenheiten beginnen bei der Kombination von Realfilm und Animationen, die Paddington aussehen lassen wie eines der übergroßen Stoff-Tiere, die in weihnachtlichen Schaufenstern Kindern zu Kauf-mir-das!-Terror anstiften.
Ob dahinter eine geheime Übereinkunft zwischen Spielzeug- und Filmindustrie steckt, bleibt ein Rätsel. Auf der Leinwand jedenfalls nimmt man Paddington weniger als Protagonist denn als Gimmick wahr. Genauso behandelt ihn King, wenn er statt auf Charakterisierung auf Putzigkeit setzt. Wer hätte nicht gern ein knuddeliges Bärenjunges, dass sprechen kann und Marmeladengläser statt Honigtöpfe ausschleckt? Paddingtons Aufnahme in der Brown-Familie wirkt so unwillkürlich wie die Anschaffung eines Haustiers. Zuerst heißt es, es könne nicht bleiben, aber wenn es einmal da ist, finden es alle so niedlich, dass am Ende … Nun, wie es ausgeht ist nicht nur aufgrund der Bekanntheit der Vorlage keine Überraschung.
Statt die verborgeneren Qualitäten der einfach gestrickten Vorlage aufzuzeigen, simplifiziert die quirlige Adaption noch mehr. Paddington besitzt wunderbare Momente, wie das „FOUND“ in einem „LOST & FOUND“-Schild, das aufblinkt, als die Browns Paddington auf dem Bahnhof auflesen oder die Spießigkeit, die mit der Geburt des ersten Kindes unverzüglich eintritt.
Schade, dass auf jede gelungene Szene mindestens ein flacher Gag kommt, wie jeder tolerante Subtext durch konservative oder gar reaktionäre Elemente unterwandert wird. Zeitgemäß sein ist etwas, was Paddington zugleich herbeisehnt und fürchtet. Anders als Paddington es tut öffnet der Plot nicht sein Herz dem Unbekannten – und erweist sich selbst und seinem Helden somit einen Bärendienst.
Regie: Paul King, Drehbuch: Paul King, Hamish McColl
Darsteller: Nicole Kidman, Ben Whishaw, Michael Gambon, Sally Hawkins, Imelda Staunton
Filmlänge: 95 Minuten, Kinostart: 04.12.2014, www.paddington.com/de/home/