Pädagogischer Dienstag: Muss Strafe sein?

2015-10-20 11.32.28

“Wenn du mich jetzt noch einmal anlügst, wird es Konsequenzen haben! Ich weiss noch nicht welche, aber ich denke mir etwas aus!”

Es mag überraschen, aber diese furchterregende Drohung konnte den perfekten Sohn nicht davon überzeugen, mir die Wahrheit zu sagen.

Die Situation war diese: Er hatte ganz offensichtlich zwei Spielsachen seiner Schwester versteckt und wollte dies weder zugeben noch ihr verraten, wo sie waren. Sie verzweifelte, und ich fand sein Spielchen so blöd, dass ich mich einmischte. Schliesslich gab er ihr einen Tipp, wo sie waren, behauptete aber immer noch, sie nicht versteckt zu haben. Da stiess ich meine in dem Moment wenig erfolgreiche Drohung aus.

Später konsultierte ich den perfekten Ehemann bezüglich einer Konsequenz. Respektive einer Strafe, denn Konsequenzen sind ja logische, möglichst unmittelbare Folgen einer Handlung, und den Moment für eine solche hatte ich definitiv verpasst. Und doch – anlügen lassen will ich mich nicht, und ich wollte, dass der perfekte Sohn dies spürt.

“Wir streichen ihm diese Woche das Taschengeld!”, meinte der perfekte Ehemann.

“Ja?”, zweifelte ich, “aber Taschengeld soll bedingungslos sein, finde ich, und es hat so gar nichts mit dem Lügen zu tun, und ich habe Angst vor seinem Geschrei, wenn er es nicht kriegt, und – ja, das machen wir, gute Idee!”

Beim Nachtessen sagte ich zum perfekten Sohn: “Ich gebe dir noch eine Chance, die Wahrheit zu sagen: Gibst du zu, die Sachen der perfekten Tochter versteckt zu haben?”

“Nein. Ich habe sie nicht versteckt!” Das Funkeln in seinen Augen hätte ihn verraten, wenn es nicht sowieso schon klar gewesen wäre.

“Ich weiss, dass du es getan hast. Und ich will nicht, dass du mich anlügst.”

“Ich war es nicht.”

Da habe ich es ihm gesagt mit dem Taschengeld. Das Drama war massiv! Wutgeschrei, Verzweiflung, Widerstand. Und die felsenfeste Überzeugung: “Du kannst es nicht wissen! Du hast es nicht gesehen!”

Wir haben es durchgezogen, und es gab am Sonntag – dem Taschengeldtag – noch einmal ein massives Drama. Als es vorüber war, erklärte ich ihm noch einmal, worum es mir ging:

“Für Papi und mich ist es ganz wichtig, dass ihr uns nicht anlügt. Ihr dürft Fehler machen, es dürfen blöde Sachen passieren, aber wir möchten, dass ihr dazu steht. Und weil es uns so wichtig ist, dass ihr uns die Wahrheit sagt, haben wir dich jetzt bestraft mit dem Taschengeld. Vielleicht hast du ja gelernt, dass es besser ist, uns nicht anzulügen.”

Und nun! Er hat tatsächlich etwas gelernt! Gegen die auch von mir vertretene pädagogische Meinung, dass der Lerneffekt von Strafen gering ist, hat der perfekte Sohn ganz offensichtlich zwei Dinge verstanden anhand der leidigen Taschengeldgeschichte.

  • Es kommt bei den Eltern besser an, Verfehlungen zuzugeben, als sie zu leugnen.

“Wo sind meine Armbändeli? Hast du die versteckt?”, schrie die perfekte Tochter eines Abends vor nicht allzu langer Zeit. Der perfekte Sohn bekam ein Funkeln in den Augen, überlegte einen Moment und sagte dann: “Ja.” Holte die Bändeli aus seinem Kissenbezug und gab sie ihr.

  • Wenn Mami von “Konsequenzen” spricht, sagt sie das nicht nur so, sondern macht es auch.

“Ich trockne heute nicht ab”, verkündete der perfekte Sohn eines Morgens in den Ferien, ganz entgegen der familieninternen Abmachung. Nach ein wenig Hin und Her sagte ich: “Okay, dann trocknest du nicht ab. Dann schaust du später aber auch nicht den Film mit uns.” Er trocknete ab, ganz ohne weitere Widerrede.

Auch ich habe gelernt aus dieser Episode mit der Taschengeld-Strafe:

  • Diese Idee “wir bestrafen jetzt das Kind kraft unseres Amtes für eine Handlung und ziehen das stur durch” liegt mir nicht.  Für mich hat es sich gelohnt, grundsätzlich aus den Machtkämpfen mit meinen Kindern auszusteigen, und ich komme in Theorie und Praxis viel besser klar mit Ideen wie Jesper Juuls Kooperation oder Heinz Etters Join-Up (Vertrauenspädagogik).
  • Auch wenn es mir nicht liegt, hat es sich dieses Mal richtig angefühlt. Weil es nicht irgendeine Handlung des Kindes war, sondern einen wichtigen Familienwert betraf, für den ich bereit war, einen “Sondereinsatz” zu leisten.
  • Ich bin überzeugt, dass der Lerneffekt für den perfekten Sohn hauptsächlich deshalb erfolgte, weil wir eine überraschende und ungewöhnliche Massnahme ergriffen. Würden wir ihm jede zweite Woche das Taschengeld streichen, wäre der Effekt schnell verpufft.
  • Auch wenn sich Machtkämpfe nicht lohnen, lohnt es sich, eine klare Haltung einzunehmen, diese dem Kind mitzuteilen und dafür einzustehen. “Ich will nicht, dass du mich anlügst.” – “Wenn du einen Mist gemacht hast, bringst du ihn wieder in Ordnung.” – “In den Ferien helfen alle in der Küche mit.”
  • Zwar nicht neu gelernt, aber einmal mehr gemerkt: Ich finde Erziehung eine grosse Herausforderung!


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