“Wissen Sie eigentlich, dass unser Kind das zweite Kindergartenjahr übersprungen hat und frühzeitig eingeschult wurde?”
Es war beim Gespräch nach dem ersten Zeugnis, als die Eltern von A. – einer klugen, interessierten, fröhlichen Erstklässlerin – mir diese Frage stellten. Ich war eine motivierte Junglehrerin, die neu an jener Schule unterrichtete, und hatte keine Ahnung gehabt, dass ich ein Kind in der Klasse hatte, das nicht den regulären Weg in die erste Klasse gegangen war.
“Nein, das wusste ich nicht… Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie passt ja so perfekt in die Klasse und bringt so gute Leistungen!”
Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, war das Thema damit mehr oder weniger abgeschlossen. Die Eltern erzählten noch ein wenig davon, dass alles für eine frühzeitige Einschulung gesprochen hatte, sie dennoch unsicher gewesen waren und nun sehr froh seien, dass alles so gut laufe. Wir freuten uns gemeinsam darüber, und so weit ich informiert bin, lief die Schulkarriere des Mädchens auch in den folgenden Jahren gut weiter.
In der selben Klasse war T. – ein kluger, hauptsächlich naturwissenschaftlich interessierter, eher ernster Junge. Er schoss in seiner mathematischen Leistung weit über die Klasse hinaus und hatte ausser der oben erwähnten A. wenige enge Freunde. Seine Eltern und ich hatten viele Gespräche, und schliesslich fiel der Entscheid, dass T. die dritte Klasse überspringen sollte. Er blieb mathematisch ein Überflieger, kämpfte zum Teil in den anderen Fächern und hatte es nicht einfach, Anschluss zu finden in seiner neuen Klasse.
Diese Geschichten prägten lange Zeit meine Einstellung zu frühzeitiger Einschulung. “Wenn das Kind bereit ist: Ja, schickt es in die Schule! Es ist einfacher, früher in die erste Klasse zu kommen als später eine Klasse zu überspringen”, war meine Meinung. Wenn Kindergärtnerinnen davon sprachen, wie wichtig es sei, dass die Kinder zwei Jahre bei ihnen sein durften, um die Vorzüge des Kindergartens zu geniessen, zweifelte ich. So böse waren wir Unterstufenlehrerinnen ja nicht, dass man die Kinder dringend vor uns schützen musste!
Dennoch wurde ich vorsichtiger mit meinen Ratschlägen, denn ich merkte, dass es für immer mehr Eltern ein Thema wurde. Immer wieder hörte ich von Kindern, denen es langweilig sei im Kindergarten, die dringend mehr “Futter” bräuchten, die spätestens ein halbes Jahr vor der Einschulung nur noch nach der Schule quengelten. Die in der Meinung ihrer Eltern frühzeitig schulreif waren. “Ja gell”, sagte ich nun, “es passt halt nicht für alle perfekt mit dem Einschulungsdatum. Für die einen kommt es eher zu früh, für die anderen eher zu spät. Meine Erfahrung als Lehrerin ist es, dass es einfach ist für Kinder, die überreif sind als für solche, die zu früh kommen müssen. Lass dein Kind den Chindsgi geniessen, es darf dann noch lange genug in die Schule gehen!”
Kurze Zeit hegte ich die Hoffnung, dass sich das Thema in unserem Kanton erledigen würde, da wir über die Einführung der Basisstufe und damit eines flexiblen Einschulungsalters abstimmen durften. Leider konnte die Idee zu wenig Leute begeistern und wurde abgelehnt. Das Dilemma für Eltern, Kindergärtnerinnen und Kinder blieb also bestehen.
Ein Dilemma, in das ich vor einem halben Jahr plötzlich selber geriet. Ich, die anderen Eltern zu Geduld und Gelassenheit riet, stand plötzlich vor der Frage, ob unser Kind nicht besser das zweite Kindergartenjahr überspringen sollte. Spätestens da wurde mir klar, dass es keine allgemeingültige Antwort gibt und dass sich die Frage in jedem Fall ein wenig anders stellt.
Die nächsten pädagogischen Dienstage werden sich mit diesen Fragen befassen: “Sollen wir unser Kind frühzeitig einschulen? Was soll man dabei beachten? Was haben andere Eltern für Erfahrungen gemacht? Welche Auswirkungen hatte ihr Entscheid?” Ich werde keine – oder höchstens ein bisschen – Theorie liefern, sondern Eltern zu Wort kommen lassen. Eltern, die sich für eine frühzeitige Einschulung ihres Kindes entschieden haben und solche, die sich dagegen entschieden haben. Natürlich werde ich auch über meine eigenen Erfahrungen als Mutter berichten.
Habt ihr auch Erfahrungen gemacht rund ums Thema frühzeitige Einschulung? Als Eltern, als Kindergarten- oder Unterstufenlehrerin, als Kind? Möchtet ihr eure Meinung hier einbringen? Ich freue mich, wenn ihr euch bei mir meldet! (per Mail an mirjam.wicki@wictronic.ch oder als Kommentar unter diesem Beitrag)