Meine Reihe “Frühzeitige Einschulung ja oder nein” geht heute in die dritte Runde. Die beiden ersten Teile finden sich hier:
Frühzeitige Einschulung ja oder nein, Einführung
Frühzeitige Einschulung ja oder nein, JA
Im dritten Teil antwortet eine Familie auf meine Fragen, die sich gegen eine frühzeitige Einschulung ihres Sohnes entschieden hat.
Es sind meine Antworten, es ging um die frühzeitige Einschulung des perfekten Sohnes.
Anstoss
- Aus welchen Gründen wurde die frühzeitige Einschulung eures Kindes ein Thema?
Weil er bereits im 1. Kindergartenjahr lesen und im Zahlenraum bis 100 sicher rechnen konnte.
- Wer hat das Thema zuerst angesprochen (Eltern, Kindergärtnerin, Kind, aussenstehende Person, Fachperson wie Schulpsychologe, Heilpädagogin,…)?
Obwohl wir Eltern uns der Thematik bewusst waren, wurde die frühzeitige Einschulung erst ein Thema, als die Lehrerin der grossen Schwester uns darauf ansprach (nachdem sie ihn am Besuchstag hatte lesen und rechnen sehen). Auf ihre Aussage hin begannen wir, uns dem Thema zu stellen und es nicht mehr vor uns herzuschieben.
- Zu welchem Zeitpunkt wurde die frühere Einschulung ein Thema?
In der zweiten Hälfte des ersten Kigajahres.
Entscheidungsfindung
- Welche Aspekte habt ihr bei der Entscheidung berücksichtigt (z.B. in den Bereichen Entwicklung, Umfeld, Zeitpunkt,…)?
Die kognitive, motorische und sprachliche Entwicklung. Den Umgang mit Emotionen und mit anderen Kindern. Das soziale Umfeld im Kindergarten.
Die Befindlichkeit des Kindes. Das Bauchgefühl der Eltern. Die Meinung der Kindergärtnerin.
5. Wer wurde alles in die Entscheidungsfindung miteinbezogen?
Eltern und Kindergärtnerin.
- Bei wem habt ihr euch Rat geholt?
In erster Linie bei der Kindergärtnerin. Bei Fachpersonen aus dem persönlichen Umfeld (Lehrpersonen, Psychologe, Therapeutin) und bei anderen Eltern.
- Habt ihr das Kind in die Entscheidungsfindung miteinbezogen? Wenn ja, wie?
Wir sagten ihm, worüber wir mit seiner Kindergärtnerin sprechen wollten und fragten ihn nach seiner Meinung (er wollte in die Schule). Wir sagten ihm aber auch, dass die Entscheidung bei den Erwachsenen liegen würde.
- Was sprach aus eurer Sicht für eine frühzeitige Einschulung?
Seine kognitive Reife und seine schulischen Fähigkeiten.
Unsere Angst, er wäre unterfordert, wenn er regulär in die Schule gehen würde.
Das Wissen, dass er im zweiten Jahr eine andere Kindergärtnerin bekommen würde und die Angst davor, es könnte jemand sein, der schlecht mit Heterogenität umgehen kann.
Meine Erfahrung und Überzeugung, dass man mit dem Fördern der Stärken eines Kindes nicht warten muss, bis es seine Defizite aufgeholt hat, sondern dass sich Defizite auflösen können, wenn die Stärken gefördert werden.
- Was sprach dagegen?
Seine emotionale (Un)Reife. Feinmotorik und Sprachentwicklung, die durchaus noch ein Jahr Reifung vor Schulbeginn zu vertragen schienen.
Dass er, der eher ein Einzelgänger war, einen allerbesten Freund gefunden hatte im Kindergarten.
Dass es ihm wohl war im Kindergarten und er sich nie negativ darüber äusserte.
- Wir wurdet ihr unterstützt durch Kindergarten und Schule?
Die Kindergärtnerin lud uns innert kurzer Frist zu einem Gespräch ein, nahm unsere Bedenken ernst und unterstützte uns in der Entscheidungsfindung.
- Habt ihr etwas vermisst, das euch die Entscheidung leichter gemacht hätte?
Nein.
Die Entscheidung
- Gab es ein bestimmtes Kriterium, das den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hat? Wenn ja, welches?
Letztlich unser Vertrauen in die Kindergärtnerin, die sich klar für einen Verbleib im Kiga aussprach. Wir gingen mit ihr einig, dass das „Gesamtpaket“ stimmen muss und der kognitive Vorsprung allein nicht genügt für eine vorzeitige Einschulung.
- Falls es kein bestimmtes Kriterium gegeben hat: Welche Summe an Kriterien haben zum Entscheid geführt?
–
- Wart ihr euch als Eltern einig?
Im Endeffekt ja :-).
- Waren Eltern, Kindergärtnerin und andere Fachpersonen sich einig?
Ja.
- Wer hat den definitiven Entscheid gefällt?
Die Eltern.
Nach der Entscheidung
- Wie geht es eurem Kind jetzt?
Er ist jetzt bald in der Mitte des zweiten Kigajahres und es geht ihm sehr gut! Seine neue Kindergärtnerin nimmt ihn sehr positiv wahr, sieht seine Stärken und freut sich, dass er noch im Kiga ist.
- Welche positiven Auswirkungen seht ihr aufgrund des Verbleibs im Kindergarten?
Es tut ihm gut, zu den „Grossen“ zu gehören. Er ist in der Familie, der Verwandtschaft und der Nachbarschaft der Jüngste und geniesst es, nun im Kindergarten eine andere Rolle zu haben.
Die Freundschaft zu seinem besten Freund hat sich noch intensiviert, und er wird langsam auch offener für weitere Freundschaften.
Es ist schön zu sehen, wie er emotional, motorisch und in der Aussprache Fortschritte macht und auch in diesen Bereichen schulreif wird.
- Welche negativen Auswirkungen seht ihr?
Sein Wissensdurst ist ungetrübt, sein Können in schulischen Fertigkeiten wächst weiterhin. Das hat im Moment keine negativen Auswirkungen, doch die Frage „wie wird seine Erstklass-Lehrerin wohl damit umgehen?“ beschäftigt uns manchmal schon.
- Das Thema „frühzeitige Einschulung“ wurde aus bestimmten Gründen aktuell (s. Punkt 1). Hat sich in diesen Punkten etwas geändert?
Dass er besser lesen und rechnen kann als die meisten Gleichaltrigen hat sich nicht geändert. Seine emotionale Reife ist allerdings stark gewachsen im letzten halben Jahr und wir glauben, dass ihm dies dabei helfen wird, in der Schule mit seiner “Andersartigkeit” umzugehen.
Für mich ist es hilfreich, dass wir das Thema angesprochen haben, und die Kindergärtnerin darauf achtet, ihn auch mal kognitiv herauszufordern.
Dass wir uns mit dem Thema befasst haben, hat mir auch geholfen zu akzeptieren, dass mein Kind sich nicht in allen Bereichen synchron entwickelt und dass das bei aller Herausforderung okay ist.
- Wenn ihr zurückschaut: Gibt es einen Aspekt, den ihr aus heutiger Sicht stärker berücksichtigen würdet?
Ich würde den Aspekt „Freundschaft“ noch stärker gewichten.
- Gab es im Gegenzug Aspekte, denen ihr zu viel Gewicht eingeräumt habt?
Ich bin versucht zu schreiben „den mütterlichen Ängsten“. Aber ich weiss, dass es wichtig war, diese ernst zu nehmen und ihnen Gewicht einzuräumen.
Verschiedenes
- Ist euer Kind ein Mädchen oder ein Junge?
Ein Junge.
- Wo steht das Kind in der Geschwisterfolge?
Der jüngere Bruder einer älteren Schwester.
- Waren eine frühere Einschulung oder das Überspringen einer Klasse ein Thema während der Schulzeit von einem oder beiden Elternteilen?
Nein. Die Mutter hat als Primarschülerin allerdings eine Mehrklassenschule besucht und viel bei den älteren Klassen zugehört und mitgedacht :-).
- Habt ihr in eurem Umfeld Kinder, die übersprungen haben?
Im Freundeskreis ja, im engen Umfeld nein.
- Wir reagierte euer Umfeld auf das Thema?
Die meisten Bekannten – auch Fachpersonen – rieten uns eher von einer frühzeitigen Einschulung ab und begrüssten unseren Entscheid. Die Aussage „schön, dass ihr ihn noch Kind sein lasst“ fand ich allerdings irritierend. Geholfen haben Begründungen aufgrund von Beobachtungen, da ich diese oft als objektiver wahrnahm als unsere eigenen.
- Was möchtet ihr unbedingt noch sagen?
Ich finde es wichtig, dass man für den Moment entscheidet und nicht meint, man müsse eine Entscheidung fällen, die die nächsten zehn Jahre Gültigkeit hat.
Sich seinen Ängsten als Eltern zu stellen, finde ich sinnvoll, sich von ihnen leiten zu lassen nicht.