Pädagogischer Dienstag: Blogparade #Einschulung

Der Pädagogische Dienstag erscheint diese Woche aus ferienplanerischen Gründen bereits am Montag. 

“Mama notes” schrieb vorletzte Woche über die kommende Einschulung ihrer Tochter und über ihre Vorbehalte gegenüber der Schule. In dem Zusammenhang rief sie dazu auf, im Rahmen einer Blogparade zum Thema #Einschulung die eigenen Gedanken zum Schulsystem zu formulieren. Ich habe im Januar einen “Pädagogischen Dienstag-Text” verfasst mit dem Titel “Der Sinn der Schule”, den ich gern in die Blogparade einfüge und aus diesem Anlass hier noch einmal veröffentliche. Da seither doch acht Monate vergangen sind, in denen ich weitere Erfahrungen gemacht habe mit dem System Schule, ergänze ich den Text am Schluss mit ein paar neuen Gedanken.

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Warum muss ich in die Schule?

“Warum muss ich eigentlich in die Schule?”, fragte die perfekte Tochter vor gut einem Monat. Sie war ein paar Tage krank gewesen, und nun fehlte ihr die Motivation, sich wieder auf die Schule einzulassen.

“Weil du dort viel lernst”, antwortete ich wenig phantasievoll.

“Aber das kannst du mir doch alles zeigen!”, nörgelte sie, und ich gab zu, dass ich dies vorläufig gut könnte.

“Weil du dort mit anderen Kindern zusammen bist und auch von ihnen lernst. Weil deine Lehrerinnen dir Dinge auf eine andere Art zeigen können, als ich es kann. Weil es dir gut tut, nicht immer nur mit mir zusammen zu sein. Weil du musst.”

“Ich muss?! Warum?”

“Weil in der Schweiz jedes Kind in die Schule gehen muss. In die Schule gehen darf! Du, es ist super, dass das so ist. Vorher war es mega unfair: Einige Kinder durften lernen und andere nicht. Weil ihre Eltern keine Zeit hatten, es ihnen zu zeigen, oder weil sie selber nicht so viel wussten. Jetzt ist es viel besser: Alle können lernen, egal aus welcher Familie sie kommen. So haben alle die gleichen Chancen, viel zu wissen, und später eine gute Arbeit zu finden.”

Praktische und soziale Argumente leuchten der perfekten Tochter ein. Sie ging in die Schule. Und geht seither täglich ohne weitere Fragen.

Es gibt die Möglichkeit von Bildung ohne Schule

Die Fragen blieben bei mir. Ich glaube alles, was ich meiner Tochter gesagt habe, jedenfalls im Grundsatz. Ich weiss aber auch, dass die Chancengleichheit leider nicht so gross ist, wie ich sie geschildert habe. Ich weiss, dass der Schulbesuch für viele Kinder kein Dürfen, sondern tatsächlich ein Müssen, ist. Ich weiss, dass viele Kinder tagtäglich viel Zeit an einem Ort verbringen müssen, an dem sie sich nicht wohlfühlen, und dass sie darunter leiden. Ich weiss von Eltern solcher Kinder, die fast verzweifeln an der Situation. Ich weiss von Lehrpersonen, die ihrerseits fast an Kindern und Eltern verzweifeln.

Macht das wirklich Sinn?

Macht es Sinn, dass wir alle unsere Kinder in ein System drängen, das nur einem Teil von ihnen entspricht? Macht es Sinn, dass sie alle mehr oder weniger zur selben Zeit aufstehen, frühstücken, aus dem Haus gehen müssen? Dass sie sich alle zur selben Zeit mit dem Lesenlernen, der Uhrzeit, der englischen Sprache, den Römern und dem politischen System der Schweiz herumschlagen müssen? Dass sie sich alle stundenlang konzentrieren und stillsitzen und danach noch länger sitzen und Hausaufgaben machen müssen? Dass sie sich ungeachtet ihres Charakters auf Gruppen von zwanzig Kindern und mehr einlassen müssen?

Das scheint wenig Sinn zu machen.

Letzte Woche, während der Grundsatzdiskussion mit meiner Freundin, habe ich den Gedanken das erste Mal richtig zu Ende gedacht:

Wenn das System nicht zu den Kindern passt, dann nehmen wir sie doch einfach heraus!

Dann behalten wir sie zu Hause. Machen Homeschooling (Infos z.B. auf www.bildungzuhause.ch) oder verzichten auf die ganze Pädagogik und machen Unschooling (Infos z.B. auf www.pro-lernen.ch). Organisieren die Familie so, wie es am besten geht. Schlafen am Morgen aus und arbeiten am Lernstoff zu der Zeit und so lange, wie es uns liegt. Fahren in Urlaub, wenn das Wetter gut ist. Pflegen die sozialen Kontakte in der Nachbarschaft und mit Freizeitaktivitäten. Erledigen den Haushalt gemeinsam und lehren die Kinder Selbstständigkeit. Verzichten auf Ärger mit Lehrpersonen, Schulpsychologen, Noten, Pausenplatzschlägereien, Schulwegmobbing, Stundenplänen und Hausaufgaben.

Warum nicht? Möglich wäre es, bei uns im Kanton Aargau sogar relativ einfach, und der Familienalltag wäre auf einen Schlag weniger fremdbestimmt!

Gründe für den Verbleib im Schulsystem

Es war ein theoretischer Gedanke. Meine Kinder leiden nicht an der Schule, trotz der Fragen und Zweifel, die sie ab und zu äussern. Trotzdem begleitete mich der Gedanke durch die Woche, und ich fand ein paar ganz konkrete Antworten auf die Frage:

“Warum lassen wir unsere Kinder im System Schule?”

  • Weil sie grundsätzlich motiviert und zufrieden gehen.
  • Weil sie grundsätzlich zufrieden und glücklich zurückkommen.
  • Weil Struktur ihnen gut tut und es für mich sehr anstrengend wäre, ihnen diese dauernd selber geben zu müssen.
  • Weil sie problemlos aufstehen und fit sind am Morgen. Sie würden auch ohne Schulpflicht früh aufstehen, wenn wir die Bettzeit nicht massiv nach hinten verlegen würden.
  • Weil es zu unserem Familienfrieden beiträgt, dass wir manchmal getrennt sind voneinander. (Der perfekte Sohn und ich haben viel weniger Konflikte, seit er täglich im Chindsgi ist.)
  • Weil ich lieber “nur” die Mutter und nicht auch die Lehrerin meiner Kinder bin.
  • Weil ihre Lehrerinnen sie auf eine andere Art wahrnehmen als ich.
  • Weil sie Kontakte haben, die ich ihnen nicht ermöglichen würde.
  • Weil sie die Möglichkeit haben, ausserhalb der Familie Erfahrungen zu machen.
  • Weil wir in der Familie die Möglichkeit haben, über diese Erfahrungen zu reden, und sie in unser Wertesystem einzuordnen.
  • Weil sie für bestimmte Lernerfahrungen die Gruppe brauchen.
  • Weil sie auf Menschen treffen, die sie für Themen motivieren, die in unserer Familie keinen oder nur wenig Platz einnehmen.

Ich stellte also hauptsächlich zweierlei fest:

  1. Offenbar passen wir ziemlich gut in dieses System, das ich so gern kritisiere.
  2. Ich messe den Erfahrungen, die die Kinder ausserhalb der Familie machen, einen hohen Stellenwert bei.

Lehrpersonen und Eltern machen das System menschlich

Nach dieser Woche ist mir wieder klar:

Ich stehe hinter der Idee, systematisch Bildung anzubieten, kostenlos und für alle. Ich stehe hinter dem Bildungssystem.

Aber ich spüre auch: “System” und “Kind” passen irgendwie nicht zusammen. Während das eine starr und schwerfällig ist, ist das andere höchst lebendig. Es scheint klar, dass es da Schwierigkeiten gibt.

Und hier sind die Menschen hinter dem System gefordert. Die Lehrerinnen und Lehrer, die die Möglichkeit haben, das System den Kindern anzupassen anstatt umgekehrt, und die Eltern, die ihre Kinder für deren Weg durchs System stärken können.

Zu viel Verantwortung für Lehrpersonen und Eltern? Ich meine nicht.

Ich meine, dass es nur mit Hilfe von Menschen und Beziehungen funktionieren kann, wenn das System unsere Kinder nicht erdrücken, sondern ihnen eine gute Grundlage für ihren Lebensweg mitgeben soll.

(Kommentare zu diesem Text finden sich hier unter dem Originaltext.)

Weiterführende Gedanken vom September 2015:

Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass die Sparmassnahmen, die unser Kanton seit Jahren im Bildungswesen vollzieht, Früchte tragen. Negative Früchte natürlich. Ich denke an Lehrkräfte, die an Stellen unterrichten, für die sie nicht ausgebildet sind. An die schulische Integration, die sehr schnell eingeführt wurde, ohne obligatorische Weiterbildung für die Lehrkräfte. Die zudem mit viel zu wenigen zusätzlichen Stunden für die integrierten Schülerinnen und Schüler auskommen muss. Zusätzlich werden nun die Einschulungsklassen aufgelöst und damit weitere Kinder integriert. Ich denke an die tieferen Lehrerlöhne im Vergleich zu anderen Kantonen, an die drohenden weiteren Sparmassnahmen und die klugen Sprüche einiger Politiker dazu und frage mich, wie sich dies wohl auf die Motivation der Lehrpersonen auswirkt.

Ich habe in den letzten Monaten einige happige Geschichten gehört von Eltern über ihre Erfahrungen mit Schule. Haarsträubende Kommunikation, eindeutiges Missachten der Bedürfnisse des Kindes, Kompetenzüberschreitungen,… Ich habe eine sehr grosse Solidarität mit meinen Lehrerkolleginnen- und kollegen, und ich weiss, dass Eltern nur einen Teil des Ganzen sehen und  ihren Blick (zu Recht) auf die Bedürfnisse ihres eigenen Kindes lenken. Und doch – ich habe Geschichten gehört, die die Grenzen meiner Solidarität überschritten haben. Unprofessionalität und Inkompetenz, die es nicht geben darf.

Deshalb ergänze ich mein Fazit vom Januar und sage heute:

Ich stehe hinter der Idee, systematisch Bildung anzubieten, kostenlos und für alle. Ich stehe hinter dem Bildungssystem, wenn dessen Qualität gesichert ist. Ich stehe nur hinter einem Bildungssystem, in dem qualifizierte Fachleute unter realistischen Bedingungen arbeiten. Ich erwarte von den “Machern” des Systems und von der Allgemeinheit, dass die Arbeit in der Schule wertgeschätzt und entsprechend in Ausbildung, Löhne und Arbeitsbedingungen investiert wird.

Ansonsten behalte ich mir vor, bei Bedarf das System links liegen zu lassen und meinen Kindern ihre Bildung ausserhalb des vom Kanton vorgesehenen Rahmens zukommen zu lassen.

Ich wünsche mir, dass dies nicht nötig sein wird, und meine Kinder auch in Zukunft gut klar kommen in dem Teil des Systems, in dem sie sich bewegen.

Denn was ich auch vermehrt festgestellt habe in den letzten Monaten: Unsere Kinder sind ganz fest gewachsen an den sozialen Erfahrungen, die sie in der Schule und im Kindergarten machten! An positiven sozialen Erfahrungen und an negativen, auf jeden Fall an solchen, die sie ausserhalb des elterlichen Einflusses und Schutzes machten.

Das Thema bleibt spannend und ein Spannungsfeld!

Weitere Beiträge zur Blogparade #Einschulung finden sich auf dem bereits oben erwähnten Link bei “Mama notes”.



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