Zwei junge Frauen ein paar Reihen hinter mir im Bus:
“Dem Tom geht’s ja voll mies.”
“Ja, habe ich auch bemerkt. Der Arme sieht voll schlecht aus.”
“Manchmal denkt man ja, das kann nicht mehr lange so weitergehen. Er tut mir so schrecklich leid.”
“Mir auch. Ich hoffe einfach, er überlebt das.”
Man denkt, wie furchtbar es doch ist, wenn junge Menschen schon so schlimme Erfahrungen machen müssen, doch die Zwei reden weiter:
“Also ich denke schon. Die werden ihn doch jetzt nicht einfach sterben lassen.”
“Ja, ich glaube, du hast recht. Er kann jetzt nicht einfach wegsterben.”
Man will schon denken, wie wunderbar dieses jugendliche Vertrauen in die rettende Kraft der Medizin doch ist, aber das Gespräch geht weiter und man hat keine Zeit zum Denken:
“Nein, der ist viel zu wichtig für die Handlung. So eine tragende Rolle können sie ja nicht einfach verschwinden lassen.”
Und jetzt endlich versteht man, dass Toms Leben nicht durch eine bösartige Krankheit, sondern durch einen böswilligen Drehbuchautor bedroht ist.
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Wieder zwei Frauen, diesmal mittleren Alters:
“Man fragt sich ja, wie sie das alles schafft.”
“Ja, und dann noch mit den vielen Kindern, die sie hat.”
“Sie sagt ja, sie müsse arbeiten. Anders gehe es nicht.”
“Oh ja, genau, sie muss! Wer’s glaubt.”
Und wenn ich in der Lage wäre, die Blicke zu beschreiben, die sie einander bei diesem letzten Satz zuwerfen, dann wüsstet ihr jetzt, dass eine Mutter von vielen Kindern nur berufstätig sein darf, wenn ihr Mann bei einem Schiffsunglück ertrunken ist, keine Lebensversicherung hinterlassen hat, die Familie ein undichtes Dach über dem Kopf hat, keiner in der Verwandtschaft auch nur einen müden Rappen springen lässt und das Sozialamt auch nichts rausrücken will.
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Und dann ist da noch die jüngere Frau neben mir, die mit dem Handy am Ohr eine ganze Busfahrt lang versucht, sich mithilfe ihrer sehr geduldigen Gesprächspartnerin eine aufkeimende Beziehung schönzureden. Da ich nur die eine Seite des Gesprächs mithören kann, bekomme ich leider nicht ganz alles mit, aber wenn ich richtig kombiniert habe, hat der Kerl geschworen, mit der Verflossenen sei nichts mehr und jetzt bandelt er doch wieder mit ihr an und behandelt meine arme Sitznachbarin mit einer unerträglichen Kälte und das tut natürlich furchtbar weh und mit der vorletzten Freundin hat er es ja schon genau gleich gemacht. Aber meine Sitznachbarin hat halt so ein gutes Gefühl bei ihm und es war ja auch so furchtbar romantisch, dieses eine Mal, als sie sich ein wenig näher gekommen sind und darum möchte sie doch unbedingt von ihrer Freundin wissen, wie sie den Kerl jetzt ganz an sich binden kann und sei es nur, um die Halskette wieder zurückzubekommen, die er noch bei sich zu Hause hat. Ich würde mich ja so gerne einmischen und ihr sagen, sie solle ihre Halskette vergessen und ihre manikürten Fingerchen von dem Kerl lassen, aber mich fragt natürlich mal wieder keiner.