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Man hat ja so seine Erfahrungen: vor einigen Jahren hat die Barmer GEK schon einmal die von ihr gespeicherten Daten genutzt, um Leistungserbringer im Bereich der Orthopädieschutechnik mit Rückforderungen in existenzgefährdender Höhe zu überziehen. Nur durch eine schnelle und konsequente Intervention des Zentralverbandes für Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) konnte damals das Schlimmste – und nicht zuletzt auch eine Prozesswelle – vermieden werden, trotzdem mussten einige Betriebe erst vor den Sozialgerichten ihr Recht erkämpfen – und rechtskräftig abgeschlossen ist die „Affäre Schaleneinlagen“ bis heute nicht.
Wer sich darüber noch ein wenig informieren will, der kann dies Hier und Hier nachlesen.
Aber warum kam die Barmer GEK damals auf die Idee, einen solchen riesigen Streit vom Zaun zu brechen? Nun ja, es steht zu vermuten, dass die moderne Technik und die damit einhergehende umfangreiche Datenerfassung das Ganze erst ins Rollen gebracht hat: immerhin räumte die Krankenkasse ein, dass ein einfacher Datenabgleich in ihrem Rechenzentrum der Ausgangspunkt der Kampagne gewesen sei, man habe einfach die Abrechnungsposition „Schaleneinlage“ mit dem Geburtsdatum der Versicherten verknüpft und schon habe man für alle Betriebe Übersichten der verordneten Schaleneinlagen für Erwachsene gehabt – und zusammen mit ein bisschen Vertragsinterpretation sah die Rückforderungskampagne zunächst wie ein Kinderspiel aus…
Und warum ist der Aktion letztendlich der durchschlagende Erfolg versagt geblieben? Richtig, es fehlte am „Feintuning“ bei der Anspruchsgrundlage der Rückforderung, wie das Sozialgericht Rostock und das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (bisher durchgängig) festgestellt haben.
Also kann Entwarnung für die Betriebe gegeben werden? Fehlt es jetzt endgültig an Anspruchsgrundlagen für ähnliche Rückforderungen? Mitnichten, wenn Sie mich fragen:
Gut, meine kritische Einstellung zum OT1-Vertrag dürfte inzwischen deutlich sein, aber ich bin ja nicht allein mit meiner Einstellung, und je tiefer man in diesen Vertrag einsteigt, umso bedenklicher findet man ihn. Schauen wir uns dazu mal einen etwas versteckten Passus dieses Vertrages an:
In Zusatz A, Absatz 5 des Vertrages (also nicht etwa an sehr exponierter Stelle, muss Sie mir zugeben) ist geregelt, dass die Auslieferung jeder genehmigten Versorgung per eKV-Schnittstelle zu melden ist. Die Barmer GEK erhält also nicht nur durch den eKV selbst das Datum der Genehmigung samt Eingang beim Leistungserbringer, sondern durch den Leistungserbringer selbst das Datum der Auslieferung – alles ohne eigene Arbeit und datenverarbeitungstechnisch zur Auswertung aufbereitet.
Kein Problem, meinen Sie, schliesslich macht Ihnen der OT1-Vertrag schon genug bürokratischen Aufwand, da ist die Weitergabe des Abgabedatums per eKV-Schnittstelle auch nicht mehr kriegsentscheidend, notfalls erledigen Sie dies zusammen mit der Rechnungslegung. Und Daten übertragen Sie ja schon genug, da kommt es auf die eine oder andere Angabe auch nicht mehr an…
Aber hoffentlich haben Sie da nicht zu kurz gedacht, denn immerhin enthält der OT1-Vertrag ja auch eine festgelegte Frist für die Abgabe des Hilfsmittels, und zwar gerechnet ab dem – in der Datenverarbeitung der Krankenkasse erfassten – Daum der Genehmigung. Und der Vertrag enthält Vertragsstrafen zu Lasten der Leistungserbringer bei Vertragsverstössen (natürlich nicht zu Lasten der Krankenkassen, denn das sind ja Körperschaften des öffentlichen Rechts, die begehen keine Vertragsverstösse….). Und was ist zB. ein solcher Vertragsverstoss, für den die Kasse einseitig Vertragsstrafen festsetzen kann? Richtig, die Überschreitung der vertraglich festgelegten Lieferzeit.
Da haben wir sie, die fehlende Anspruchsgrundlage: der OT1-Vertrag gibt sie her, diesem ist der Betrieb „freiwillig“ beigetreten und hat damit diese Vertragsstrafenregelung akzeptiert. Und dies ist noch nicht einmal eine kassenfreundliche Auslegung, ich finde nicht viele Möglichkeiten, diese Argumentation zu Gunsten eines Betriebes „umzudeuten“.
Damit die Sache dann endgültig „rund“ ist, liefert der Leistungserbringer dann noch die letzte notwendige Information in elektronische Form, nämlich das Abgabedatum, und ermöglicht der Krankenkasse damit die Möglichkeit zu einem fast automatischen Vollzug der Vertragsstrafe – oder halten sie Folgendes für völlig abwegig:
- Die EDV der Barmer GEK erkennt automatisch die Überschreitung der vertraglichen Frist zur Abgabe – alle Daten sind ihr ja geliefert worden.
- Bei Überschreitung überprüft die Software, ob eine Ausnahme erfasst ist, zB. Krankenhausaufenthalt, Kur etc. – das ist auch alles in der EDV hinterlegt.
- Liegt keine Ausnahme vor, wird die Vertragsstrafe angedroht zusammen mit der Aufforderung zur Stellungnahme – ganz „sauber“ nach Vertrag.
- Trotz eingehender Stellungnahme des Betriebes wird die Vertragsstrafe einseitig von der Krankenkasse verhängt und von ihr im Wege der Verrechnung mit laufenden Forderungen eingezogen – die Anspruchsgrundlage ergibt sich ebenfalls aus dem Vertrag, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme lässt sich durch den Betrieb nicht prüfen.
Das dann sich für den Betrieb anschliessende Klageverfahren zur Überprüfung der Rechtmässigkeit der einseitig durch die Krankenkasse verhängten Vertragsstrafe findet vor den Sozialgerichten statt – und hat im Falle der Schaleneinlagen von Anfang des Jahres 2007 begonnen und war – erstinstanzlich – im Oktober 2010 abgeschlossen. Also alles eine Frage des (wirtschaftlichen) Durchhaltevermögens des betroffenen Betriebes.