Ostertanztage 2017 Hannover: Wenige Bewegungen (ein Solotänzer beginnt), ein paar Takte Musik - noch nie habe ich das so erlebt, dass nach wenigen Sekunden klar ist: hier ist höchste Qualität zu erwarten! Die Spitze an den Anfang zu setzen, das kriegen nur die Ostertanztage hin.
Drei Stücke werden an diesem Abend geboten: "The Seasons", "Céo cinzento", "Gnawa". "The Seasons" ist von Vivaldis Musik "Vier Jahreszeiten" inspiriert; Vivaldi lässt sich wiedererkennen, doch wurden die berühmten Violinkonzerte von Gavin Bryars für ein fünfköpfiges Streichorchester bearbeitet und neu komponiert, sie klingen jetzt dunkler und geheimnisvoller. Die zwölf Sätze, die für die zwölf Monate stehen, wurden aber beibehalten. Die Bühne ist dunkel, Scheinwerfer verschiedener Größe und Stärke tanzen gewissermaßen mit, es gibt etwa 600 Lichtwechsel - nicht einfach für die Tänzerinnen und Tänzer. Die Lichtkegel "lassen die Tänzer verschwinden, überschneiden sich in mysteriösen Symmetrien oder tauchen urplötzlich dÉdouard Lock, ttie gesamte Bühne in helles Licht. Wichtig sind nicht nur die Lichtkegel, sondern auch die Tiefen der Dunkelheit, die sie umgeben ..."
In rasender Geschwindigkeit bewegen sich die Tänzer*innen alleine, zu zweit, zu dritt oder alle 14 zusammen. "Jede Bewegung der Tänzer scheint sich in einer Bewegung des Lichts widerzuspiegeln". Die Gruppendynamik löst sich auf zur Paardynamik - Frühling, Sommer, Herbst und Winter: Es geht um die Liebe in allen Schattierungen. Der Choreograph Édouard Lock konzentriert sich auf die vertikale Achse: Kann die Liebe aufrecht erhalten werden, übersteht sie alle Stürme?
Édouard Lock, Choreograph, Filmregisseur und Fotograf wurde 1954 in Marokko geboren und kam als Kind nach Kanada. 1980 gründete er seine eigene Kompanie La La La Human Steps, die er vor zwei Jahren wegen mangelnder finanzieller Unterstützung aufgab; seitdem ist er ein weltweit begehrter freier Choreograph.
Einen ganz anderen Stil zeigt der Brasilianer Clébio Oliveira in dem zweiten Stück "Céu Cinzento" (Grauer Himmel). Er konzentriert sich hier auf ein Duett - nach Shakespeares "Romeo und Julia", aber mit einer pfiffigen Veränderung: Was wäre, wenn die beiden Liebenden nur erblinden, statt zu sterben? "Das Paar verliert sich in einer Art Labyrinth und versucht verzweifelt, den Weg zueinander zu finden. Mein Stück weist auf die Notwendigkeit hin, die Bewegung wieder als integrativen Teil unserer Sinne zu betrachten", sagt Oliveira. Zwischen Erschöpfung und Ekstase findet sich das Paar auch dann, wenn die anderen Sinne die Augen ersetzen, sie ertasten einander, sie lauschen auf einander; immer wieder fallen sie ins Leere, fangen sich aber gegenseitig auf. Empfindungen sind eine eigene Galaxie, nicht nur bei blinden Menschen.
Das dritte Stück, "Gnawa", widmet sich wiederum einer Gruppendynamik, doch in rituell gleichmachenden Weise. Die Gnawa sind eine mystische islamische Gemeinschaft. Nacho Duato, den spanischen Choreographen dieses Stücks, interessiert der Solotanz in all seiner Tiefe als Schlüsselelement auch in Gruppenbewegungen - die hier zusammen mit der Musik einen rituellen, tranceartigen Charakter bekommen. Zuletzt verstärkt Kerzenlicht auf der Bühne (Bild) den mystischen Eindruck. Duato wurde 1957 in Valencia geboren; er arbeitet heute als Intendant und Chef-Choreograph des Berliner Staatsballetts.
Weitere Vorstellungen der Ostertanztage: Ein Konzert und eine Lesung sind die Neuerungen in diesem Jahr. Das Konzert am Mittwoch haben Sie nun verpasst: südamerikanische Klänge mit Carlos Corona, Gitarre, und Giovanna Piazza, Gesang. Heute die Lesung mit Musikbegleitung "Tanzverbot": Die spanische Tänzerin Cassia Lopez wird aus ihrem Erfolgsbuch "Tanz Körper Seele" lesen. Karsamstag ein weiteres Gastspiel mit viel Hiphop: "Opus 14", Ostersonntag Hannovers Eigenproduktion "Gefährliche Liebschaften" und Ostermontag die Ergebnisse der Workshops "Dance and the City". Nähere Informationen auf der Seite der Staatsoper.
Bildrechte: © Alceu Bett; Text: Dr. Helge Mücke, Hannover, unter Verwendung des Informationsmaterials.
