Das zweite Gastspiel in diesem Jahr wurde am Samstag vor Ostern präsentiert: Sasha Waltz & Guests mit "Sacre - ein Abend in drei Teilen". Dem namengebenden Stück nach "Sacre du Printemps" mit der Musik von Strawinsky wurden zwei weitere vorangestellt: "L'après-midi d'un Faune" nach der Musik von Debussy und "Scène d' Amour" zu Musik von Hector Berlioz. In dieser Zusammenstellung wurden die Choreographien zum ersten Mal im Dezember 2014 dargeboten.
"Der Nachmittag eines Fauns": Der Abend begann mit schläfrigem Erwachen des Fauns und anderer mythischer Gestalten aus dem Mittagsschlaf vor einer grün-gelb-roten Wand. Die elf Tänzerinnen und Tänzer sind über die ganze Bühne verteilt und bewegen sich auf verschiedenste Weise - es sind Gesten des Begehrens und des Genießens. Ein Paar findet sich (im Hintergrund vielleicht auch weitere, ich verliere den Überblick), es wird sehr erotisch, in der ausklingenden Phase mit Bodypainting: er malt ihr zärtlich Figuren auf das Bein.
Es geschieht sehr viel auf der Bühne - zu viel; ich weiß gar nicht, wohin ich gucken soll, kann mich nicht konzentrieren.
Beim zweiten Stück nach der Musik von Berlioz fällt die Konzentration sehr viel leichter, denn es sind nur zwei Personen auf der Bühne, ein Paar, und auch Kulissen und Kostüme lenken nicht ab. Die "Liebesszene", Scène d'Amour, ist ein Ausschnitt aus "Roméo et Juliette" (Romeo und Julia) von Berlioz: ein stark verbundenes und hamonisches Paar also, das kommt hier zum Ausdruck, verstärkt durch die schlicht bräunliche Kleidung. - Dieser Teil sagt mir von allen dreien noch am ehesten zu.
Dann nach einer Pause also Le Sacre du Printemps - übersetzt mit "Das Frühlingsopfer" oder "Frühlingsweihe" - mit all der Wuchtigkeit und Rhythmusbetonung, die schon die Musik ausstrahlt, choreographisch umgesetzt mit 26 Tänzerinnen und Tänzern von Sasha Waltz. Bei dem archaischen Ritus zur Erneuerung des Lebens soll eine Frau geopfert werden, die dazu bereit ist. "In der Dramaturgie Strawinskys diente das Frühlingsopfer der Wiederbelebung der vom Winter leblos erstarrten Erde. Bei Sasha Waltz gilt es nicht nur, das Leben wiederzuerwecken, sondern die Zerstörung der Natur zu sühnen. Gewaltige Kräfte wirken auf die versehrte und brüchige Erde. Die verdrängte Natur manifestiert sich in einer Entfesselung der Triebe des Einzelnen und der Gruppe" (aus einem Pressetext).
Sasha Waltz nimmt die archaische Geschichte sehr ernst, sie lässt das Gewaltpotenzial in allen Varianten - Folterung, Selbstaggression, massive Unterdrückung der Frau, Sadismus usw. - gänzlich ausspielen. Für mich als Zuschauer war das alles unerträglich, mich hat es nur so geschüttelt vor Ekel und Widerwillen. Sogar ein Blutopfer wird dargestellt! Umgebremste Gewalt wird als Ritus verbrämt, das haben die Nazis auch schon getan. Nun mag das ja eine hohe Kunst sein, das alles so herauszuarbeiten, dass es "überspringt" - dennoch, liebe Frau Waltz, Sie sollten sich anderen Themen zuwenden!
Abschließend ein Zitat von Sasha Waltz: "In unserer heutigen hochtechnisierten Welt erscheinen Naturgewalten fast nur noch in Form von Katastrophen. Rituale hingegen bilden die zyklische Struktur der Natur ab und thematisieren das Verhältnis des Menschen zu seinen Ursprüngen. Der Glaube und Bezug zu einer höheren Ordnung werden gestärkt, der Einzelne opfert sich zum Wohle der Gemeinschaft."
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bild: Bernd Uhlig