Österreich sollte sich schämen

Von European-Cultural-News

Österreich sollte sich schämen

Österreich sollte sich schämen

Michaela Preiner

„Schlammland Gewalt“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz) Am Stammtisch, auf dem Bau, im Wettbüro, oder an anderen männerbesetzten Orten kann man die Ansage hören, dass man einen Mann mit nur drei Dingen zufrieden stellen könne: Mit Fressen, Saufen und Beischlaf. Ferdinand Schmalz, jener Autor, der in seinen Stücken wie mit einem Brennglas in die vorzugsweise männliche österreichische Seele schaut, attestiert den Alphatieren jedoch noch ein viertes Plaisir: Macht. In seinem Stück „Schlammland Gewalt“, schon seit März 2019 am Schauspielhaus in Graz zu sehen, steht zu Beginn eine zeitgeistige Abhandlung über das Patriarchat rund um den „alten weißen Mann“. „Schlammland Gewalt“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz) Es stammt aus einem Buch von Sophie Passmann, in welchem sie die jetzige Rolle der Männer und die hereinbrechenden, gesellschaftlichen Veränderungen untersucht. Darin bezeichnet sie die Männer als jene Spezies, die es nicht glauben kann, dass sich das Blatt der Machtinhabe jemals wenden kann – schon gar nicht jetzt. Vorgetragen wird der Text von Eva Mayer und Clemens Maria Riegler, die danach in mehrere Rollen schlüpfen. Erst im Nachhinein wird man sich bewusst, dass dieses Manifest als Begründung für das herhalten kann, was in der einstündigen Aufführung erzählt wurde. Es ist die Geschichte eines Dorfes in den Alpen, in dem ein Dorfdiktator nicht nur die große Lippe schwingt, sondern alles, was sich gegen ihn aufbäumt, mit Gewalt niederringt. Dabei macht er nicht einmal vor seinem eigenen Sohn halt.

Das Publikum nimmt Platz in einem dunklen Bierzelt, das mit bunten Glühbirnen ausgestattet ist und lässt sich zu Beginn mithilfe der dort platzierten Blasmusik in Stimmung bringen. Es dauert nicht lange, bis diese angesichts der brutalen Ereignisse, die abrollen, kippt. Eine junge Frau, die im Bierzelt vor einer Naturkatastrophe warnt, wird rücksichtslos zum Schweigen gebracht. Der one-day-stand einer anderen bedeutet beinahe ihr Todesurteil und die Affäre des „Dorfprinzen“ kostet ihn letztlich tatsächlich sein Leben. Nicht, dass er von einem Nebenbuhler umgebracht worden wäre. Sein Vater erträgt es nicht, dass „sein eigen Fleisch und Blut“ sich seinem Diktat widersetzt und sich „eine von ganz unten“ genommen hat und bricht ihm in einem Wutausbruch das Genick.

„Schlammland Gewalt“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz) „Schlammland Gewalt“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz) Und schon hat Schmalz den Finger in eine aktuelle Gesellschaftswunde gelegt. „Mann“ verhält sich so, als wäre er dazu ermächtigt, die Welt und ihre Menschen darin nach seinem Gutdünken zu be- und verurteilen. Liest man die Statistik der ermordeten Frauen in Österreich, erfährt man, dass die Zahl von 19 im Jahr 2014 über die letzten 5 Jahre hinweg kontinuierlich auf die Rekordzahl von 41 im vergangenen Jahr anstieg. Österreich führt außerdem in Europa den traurigen Rekord an, dass der Anteil der weiblichen Getöteten wesentlich höher ist als der männlichen. Schmalz hat sich mit diesem Phänomen intensiv auseinandergesetzt und geht davon aus, dass diese gewalttätigen Ausbrüche viel mit der „Labilität unserer Zeit“ zu tun haben. Mit einer Verunsicherung also, der so mancher Mann nur in Gewaltausbrüchen begegnen kann.

Wie häufig in seinen Stücken, wählt Schmalz aus dem Reich der Kulinarik ein bestimmtes Lebensmittel, das er in seinem Text von mehreren Blickwinkeln her ausgiebig untersucht. In „Schlammland Gewalt“ dreht sich alles um gegrillte Hühner. In seiner ihm eigenen, kunstvollen Sprache, die zwischen Gestrigem und Heutigem changiert, umkreist er dieses Mal das Brathuhn, angefangen von der Marinade, der Abnahme von Spieß bis hin zu dessen Verwesung. Das tut er in so eindringlichen Sätzen, dass man den Grillhendelduft riechen, aber auch das Knacken der Gebeine hören kann. Selbst den Gestank einer Hühner-Verwesung fährt so ein, als würde sich dieser Vorgang direkt vor einem abspielen. Schmalz wäre sicher ein guter Gourmetkritiker, hätte er nicht weitreichendere Botschaften zu verbreiten als rein lukullische. Aber auch sein rhythmischer Textfluss wäre in einem Kulinarik-Hochglanzmagazin wahrscheinlich fehl am Platze.

Natürlich kann die Geschichte des Dorfes, das letztlich unter einer Schlammlawine zur Hälfte begraben wird, im Moment gut in der aktuellen Klimadebatte verortet werden. Man kann die Schlammlawine aber auch als Metapher deuten, welche die jetzigen Gesellschaftsverhältnisse durch äußere Gewalteinwirkung beendet. Einer brachialen Gewalt, die all jenen das „Maul stopft“, die nicht gewillt sind, sich zu verändern. Dass dabei jede Menge menschlicher Kollateralschaden entsteht, muss wohl in Kauf genommen werden.

„Schlammland Gewalt“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz) Die Besetzung der verschiedenen Rollen mit nur zwei Personen, funktioniert extrem gut. Dadurch bleibt auch das Schmalz-Diktum bestens erhalten. Die Regisseurin Christina Tscharyiski lässt ihre Protagonistinnen und Protagonisten im kleinen Raum im „Haus 3“ in ständiger Bewegung agieren – mittig, hinter oder direkt neben dem Publikum. Eva Mayer agiert dabei auch als seinem Chef höriger Schnüffler und bringt dies mehrfach in gekonnter Hunde-Imitation zum Ausdruck. Clemens Maria Riegler verwandelt sich durch unterschiedliche Kopfbedeckungen vom scheuen Studierenden hin zu einem testosteronbefeuerten, wutentbrannten Patriarchen. Dass all die unterschiedlichen Charaktere trotz der künstlichen Erzählsprache, in der sie meist zum Leben erweckt werden, so plausibel erscheinen, zeigt die schauspielerische Qualität der beiden Agierenden.

Österreich sollte sich schämen, dass es Autoren wie Ferdinand Schmalz bedarf, die Stücke wie „Schlammland Gewalt“ schreiben müssen. Und es darf sich glücklich schätzen, dass es solche Autoren hat.

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