„Ostern feiern?“ fragt der bedeutende Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) in einem Brief vom 27. März 1944. Ostern feiern? Diese Frage stelle sicherlich nicht nur ich mir am 27./28. März 2016: Wie soll das möglich sein, das freudige Fest des Lebens zu begehen in Zeiten des Terrors, im Angesicht der schlammigen Verrottung von Flüchtlingen in Idomeni, vor durch Stacheldraht verschlossenen Grenzen, in der Erschütterung über so viel Ich-besoffenem Hass und verrohender Menschenverfeindung in den europäischen Gesellschaften?
Bonhoeffer schreibt weiter:
„Unser Blick fällt mehr auf das Sterben als auf den Tod. Wie wir mit dem Sterben fertig werden, ist uns wichtiger, als wie wir den Tod besiegen.“
Ja, mit dem Sterben versuchen wir zunehmend kurzen Prozess zu machen – auf sehr unterschiedliche, in sich widersprüchliche Weise: Zum einen soll das Sterben so lange es geht hinausgeschoben und dann so schmerzfrei und kurz wie möglich gehalten werden; zum andern bauen wir militärische und digitale Überwachungs- und Sicherheitsapparate auf und aus und führen Kriege, um den Terror von uns fern zu halten. Aber kann dadurch der Tod überwunden werden? Das gerade nicht.
Todesmächte gebären Tod; Hass gebiert Hass, allerdings als Todgeburt; schließlich: Tod frisst Tod. In diesem Selbstzerfleischungsprozess ist kein Raum für Leben – jedenfalls nicht für das Leben, welches durch die Auferstehung Jesu von Toten zum Durchbruch kommen soll: menschenwürdiges Dasein, das seine Kraft aus der Aussicht auf Gottes neue Welt speist: Es kann alles anders werden. Doch davor steht die zunächst bittere Erkenntnis, derer wir unter dem Kreuz Jesu gewahr werden.
Denn das Kreuz ist die Endstufe eines verzweifelt-brutalen Kampfes einer Menschheit, die in der tödlichen Spirale des Nichtsterbenwollens gefangen ist. Wir können es auch anders sagen: Der Terror, der derzeit unsere Lebensbalance so erschüttert, ist keine Naturkatastrophe aus wenig heiterem Himmel. Der Terror ist Teil der Todesmächte, gezeugt von Krieg, Verfeindung und Gewalt. Der Terror ist – leider nicht das schwächste – Glied in der Kette, mit dem Sterben fertig werden zu wollen.
Ketten aber bedeuten immer Gefangenschaft, Unfreiheit. Darum kommt Bonhoeffer – in seiner Gefängniszelle dem Nazi-Terror ausgesetzt – zu der Einsicht: „Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten (und ich möchte ergänzen: auch menschlicher Unmöglichkeiten), die Überwindung des Todes heißt Auferstehung.“ Nur von daher „kann ein neuer reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen.“
Wenn wir Ostern in Zeiten terroristischer Gewalt und mitten in Trauer, Schmerz, Wut über so viel tödlichem Versagen von uns Menschen feiern, dann geht das nur, wenn wir die Auferstehung Jesu von den Toten zum Anlass nehmen uns zu fragen: Woher leben wir? Wo ist der Punkt, an dem wir ansetzen können in dem Bemühen, unser Leben aus den Klauen des Todes zu befreien? Bonhoeffer zitiert in dem Brief den griechischen Mathematiker Archimedes: Gib mir einen festen Punkt, und ich werde die Erde bewegen.
Ostern, Jesu Überwindung des Todes, ist so ein Punkt, ein neuer Ansatzpunkt, von dem aus wir Kraft entwickeln können, die zu Naturgesetzen erhobenen Unvermeidlichkeit des Tötens aus den Angeln zu heben. Das beginnt damit, dass wir uns nicht auf die Ebene des „Tod frisst Tod“, Terror braucht Antiterror, ziehen lassen und so die Selbstunterwanderung unserer besten Absichten beenden. Wer Ostern feiert, der sollte sich von dem Zuspruch anstecken lassen: Christus hat dem Tod die Macht genommen.
Das ist nicht nur ein frommer, ein hoffnungsvoller Spruch. Es ist auch ein subversiver Antrieb für den „reinigenden Wind“, den wir dringend nötig haben, um dem Leben zu dienen. Wir sollten jedenfalls nach wie vor darüber staunen und uns daran freuen, dass von denen, die wie Jesus selbst den Todesmächten zum Opfer gefallen sind, mehr Bewegung für das Leben, mehr Lebensbejahung ausgeht als von allen, die Tod nur mit Tod beantworten und darum einen Dietrich Bonhoeffer, einen Martin Luther King, einen Mahatma Gandhi oder eben vier Nonnen und ihre acht Mitarbeiter/innen nicht ertragen können.
Letztere wurden im Jemen von Dschihadisten ermordet. Warum? Weil sie an alten und behinderten Menschen österlich handelten. Durch ihren Glauben wurden sie im Sinne Bonhoeffers nicht mit dem Sterben, aber mit dem Tod fertig. Sie hatten den festen Punkt gefunden, die Welt zu bewegen. Hoffentlich finden wir ihn bei unserer Suche nach Halt und Haltung an Ostern auch.
Hinweis: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, München 1970, S. 269ff – Evelyn Finger, Jesus oder Pilatus?, DIE ZEIT Nr. 14/23. März 2016, S. 52