Oster-Tanz-Tage 2018 Hannover: "Der Besuch" am Mittwoch, 28. März 2018

Opernhaus_8812

Bild: © Marek Kruszewski

In die Ostertanztage wird immer eine Eigenproduktion der hannoverschen Staatsoper einbezogen - dieses Jahr war es "Der Besuch" in der Choreografie von Ballettdirektor Jörg Mannes selbst, nach dem Theaterstück "Der Besuch der alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt. Gar nicht so einfach, so ein Schauspiel in Bewegung umzusetzen und dabei ganz auf Worte zu verzichten - das verdeutlicht Jörg Mannes in dem diesmal besonders erhellenden Publikumsgespräch nach der Vorstellung. Geld zum Beispiel sei mit Tanz nicht darstellbar. Und die Schlussvariante, die in der Verfilmung eingesetzt wird, nämlich dass Ill am Leben bleibt und künftig mit seiner Schuld und dem Verrat der Mitbürger*innen leben muss, die ist schon gar nicht darstellbar; deshalb muss er in dieser Tanzversion sterben.

Dem Inhalt (der aber gut bekannt ist) habe ich damit vorgegriffen: Claire kommt als immer noch attraktive, inzwischen mächtig reich gewordene ältere Frau in ihren Heimatort zurück. Der ist inzwischen recht heruntergekommen, Geld fehlt an allen Ecken und Kanten. Claire verspricht die Rettung, sie bietet eine Million - unter einer Bedingung: Jemand soll ihren früheren Geliebten Ill töten, der sie damals trotz Schwangerschaft verlassen hat. Großartig, bewundernswert, wie Jörg Mannes die Geschichte mit Unterstützung durch Kostüme und Ausstattung in ein Tanzstück verwandelt.
Als zum Beispiel die vom ganzen Ort erwartete Besucherin endlich eintrifft, schreitet sie in ihrem roten Prachtkleid von ganz oben eine fahrbare Treppe herunter (ähnlich den Treppen, die auf den Flughäfen üblich sind). Dieses Requisit wird immer wieder eingesetzt. Claire ist allen überlegen; kommt sie herunter, wird sie sofort von ihren schwarz gekleideten 3 Sicherheitsleuten in Empfang genommen. Irgendwann später haben alle Frauen ein rotes Kleid - das ist eine anschauliche symbolische Darstellung der Folgen des Geldes und Korruption, die ohne Worte verständlich ist.

Ein guter Einfall war es auch, Claire (Kläri) von zwei Personen darstellen zu lassen:  Cássia Lopez (die zurückgekehrte ältere Frau) und Giada Zanotti (die jugendliche Frau, die in den Szenen der Erinnerung auftaucht).

 ((Gerne hätte ich an dieser Stelle ein paar Szenenbilder gezeigt, aber die "Pressebilder" von Gert Weigelt sind honorarpflichtig. Das Bild der Oper oben ist als symbolischer Ersatz gedacht.))

"Demonstrativ führt die exzentrische Claire ihren Reichtum vor. Sie beobachtet und wartet ... Claire treibt ein grausames Spiel mit ihrem Opfer, weckt Erinnerungen und führt ihn zu den Plätzen ihrer Liebe. Sie ist sich ihrer Sache sicher. Und tatsächlich beginnt die allgemeine Hetzjagd auf den angesehenen Bürger. Er soll sich opfern - am Ende liegt er leblos inmitten der Menge. Claire Zachanassian reist ab. Die Stadt lebt in neuem Wohlstand" (aus einem Pressetext).

 Den Abschluss der Hetzjagd kann Jörg Mannes genauso inszenieren wie im Theaterstück - die Bewegung und wortlos diskrete Darstellung lässt sich gut übertragen: "Unter Ausschluss der Öffentlichkeit bilden dann die Bürger eine Gasse für Ill, die sich immer enger um ihn schließt. Als sie sich wieder öffnet, liegt Ill tot am Boden" (nach einer Beschreibung des Bühnenstücks bei Wikipedia).

"Grundsätzlich wollte ich die Vorlage nicht linear nachbuchstabieren", sagt Jörg Mannes in einem Interview mit der Dramaturgin Brigitte Knöß, das im Programmheft abgedruckt ist. "Der Tanz lebt im Hier und Jetzt. Um etwas Vergangenes oder Zukünftiges zu erzählen, um abstrakte Ideen zu vermitteln, muss ich Umwege gehen, Seitensträngen folgen, etwas erfinden. Ich greife Momente, Situationen, Gedanken des Schauspiels heraus, denen ich Ausdruck verleihe. Über die Bewegung versuchen wir, auch innere Vorgänge sichtbar zu machen. Die Stärke des Tanzes liegt nun einmal auch darin, menschliche Gefühle darzustellen." Und an anderer Stelle: "Ich glaube nicht so sehr an Helden. Deshalb versuche ich auch bei starken Charakteren, Zweifel zu entdecken, Schwächen zu sehen. Selbst in der Figur der Alten Dame suche ich nach dem Menschlichen."

Wie schon gesagt, war das Publikumsgespräch dieses Mal besonders erhellend. Cássia Lopez und Denis Piza - die Tanzdarsteller der beiden Hauptpersonen Claire Zachanassian und Alfred Ill - waren dabei! Das allein hat bei mir schon Respekt und Dankbarkeit hervorgerufen."Sie liebt, sie kauft, sie tötet", so hat Betriebsdirektor Steven Markusfeld einleitend bewusst plakativ die "alte Dame" gekennzeichnet. Sie liebt vielleicht sogar ein bisschen zu viel, ergänzt Cássia Lopez und deutet an, dass ihr die Verwandlung in den Hass nicht leicht fällt. Durch ihr Ringen darum, der Rolle gerecht zu werden, wird jede Vorstellung anders. Entsprechend ist es bei Denis Piza, auch bei ihm ist keine Vorstellung wie die andere. In der Hinsicht sind die beiden etwas Besonderes, darauf weist Ballettdirektor Jörg Mannes wiederholt hin. Was sie machen, sei große Schauspielkunst. Auf der einen Seite zeigen sie präzise das, was sie hart erarbeitet haben (diese Seite darf nicht unterschätzt werden!); auf der anderen Seite sind sie aber auch imstande, da, wo es angebracht ist, spontan etwas aus der Emotion heraus zu gebären. Auch sonst ist keine Vorstellung genau wie die andere. Jörg Mannes schildert das am Beispiel der Szene "Jagd". In der aktuellen Fassung wird Ill von senkrecht getragenen blendenden Stableuchten bedrängt; sie umringen ihn und kommen immer näher; die Zuschauer*innen  sehen die Gesichter der Lampenträger*innen  nicht. Trotz der Abstraktion (Leuchten statt Menschen) wirkt die Szene emotional und unheimlich (ich kann das bestätigen, mir sträubten sich die Haare).

Die Verbindung, füge ich hinzu, zwischen hoher Präzision und starker Wandlungsfähigkeit, die wiederum ist höchste Choreografenkunst. Den kräftigen, anhaltenden Beifall, den Jörg Mannes für dieses Stück bekam, hat er wirklich verdient. Hannover wird seine Arbeit vermissen ...

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