Kunst erleben als Lebenserfahrung
Die Oskar Reinhart Stiftung in Winterthur erlaubt es der Öffentlichkeit, einen Sinn für Kunst zu entwickeln. Gerade im heissen Sommer erfrischt die Kühle des Museums und lädt ein, sich in Gemälden zu verlieren. Ein Verlustieren durch Schönheit, ein sich Bewegen und überrascht werden. Der Kurs der Schamanenstube über Kunst und Klassik hat ein Ziel, das kaum formulierbar ist. Das wurmt uns natürlich und bietet Anlass zu einem neuen Versuch, in Worte zu fassen, was nur erlebbar ist, aber nicht definierbar. Etwa so wie Schamanismus.
Noch frisch ist unser erneutes Erleben unserer immer gleichen Führung durch das Oskar Reinhart Museum in Winterthur. Es ist dem Erleben tief in einem drin und doch so nah am Alltag kaum Rechnung zu tragen: man erlebt eine ungeahnte Intesivität der Erfahrung. Wir fühlen uns immer wieder getrieben, unsere KursteilnehmerInnen an dieser Erfahrung teil haben zu lassen.
Manchmal tauchen die Gedanken auf: mag jeder sich in diese Welten hinein begeben?
Wir können es nur versuchen, denn der innere Antrieb, diese für uns essentiellen Erfahrungen zu teilen ist unablässig. Wir kommen aus dem tiefsten Inneren nicht umhin, es ab und an zu wagen. Noch nie blieb die Erfahrung in den Augen der TeilnehmerInnen aus. Vielleicht wollen wir es nur nicht wagen, jemanden zu erleben, der sich dem Eindruck verwehren kann. Am Ende ist es Angst, dass so etwas geschehen könnte.
Das Museum
Vielen ist nur schon das Wort ein Graus. Man läuft in grossen Saal-Landschaften herum und sollte sich wohl die Bilder anschauen. Das ist eine denkbar schlechte Gefühlsbasis, etwas zu erleben. Das Erleben findet viel ruhiger statt. Und es wird einem unendlich viel mehr geboten, als z.B. in einem Film.
Gerade im Sommer ist es eine Wohltat, der sengenden Hitze in die Kühle und Klarheit eines Museums zu entfliehen. Und eine Wohltat darf es den ganzen Besuch über bleiben. Das Wissen, dass Museen geschaffen sind, um uns Menschen etwas zu zeigen, dass für uns etwas gemacht wird, was wir erleben dürfen, darf einen selbst erheben.
Man ist es wert in den Augen des Museums, hier zu sein und sich auf eine Art verwöhnen zu lassen, die wir uns nur noch ganz selten im Leben gönnen.
Kreidefelsen auf Rügen
Tiefes Erleben
Wir sehen in unserem Leben so viele Dinge. Nur schon in der Natur. Hinter diesem normalen Sehen gibt es oft noch viel mehr zu erleben. Menschen, Tiere und Pflanzen leben in Situationen. Situationen, die aus Ordnungen bestehen, in welchen sich Kraft entfalten kann. Mit diesem schamanischen Grundgedanken ist es vielleicht möglich, die Wirkung der Welt auf einen selbst genauer wahrzunehmen. Viele Gemälde beinhalten weit mehr als dies ein Foto tun könnte. Sie zeigen die Wirkung einer Situation. Nicht einfach als Abbild, sondern als Ausdruck eines Künstlers, der die Wirkung der gemalten Situation erfasst hat. Diesen Schatz, der teilweise erst nach stundenlangem Betrachten der Natur zum Vorschein kommt, teilt ein solcher Künstler mit uns. Mehr noch, es wird Erfahrung geteilt, die in einem tiefen Erleben im Museum erworben werden kann. Quasi Lebenserfahrung frei Haus.
So viele Menschen haben vor uns gelebt und die Welt auf ihre Weise wahrgenommen. Ein Museum als Bewahrer dieser Wahrnehmungen zeigt uns die Essenz aus Lebenserfahrung und Staunen der Menschheit. Das, was wir sind und zu welchen Wahrnehmungen wir fähig sind. Diese Essenzen hängen ganz einfach an den Wänden und warten darauf, geteilt werden zu dürfen.
Eine Art Facebook zum Teilen von Lebenserfahrung.
Aber stets aktuell.
Staunen und Erkenntnis
Die schamanische Führung durch die Stiftung Oskar Reinhart geht agogisch schwierige Wege: es gibt Geheimnisse in den Bildern, die nur selbst gefunden werden können, um eine maximale Wirkung als Erfahrung entfalten zu können. So warten wir und lassen spezifische Kunstwerke wirken, die Menschen sich in der Szenerie verlieren, um dann selbst eigenen Halt zu finden. Einige Geheimnisse sind derart die Wahrnehmung gänzlich verändernd, dass sie zur kompletten Neubewertung der Situation im Gemälde führen. Das geschieht in Bruchteilen von Sekunden. Dieses Erleben ist in unseren Augen fundamental und der Essenz des eigenen Seins unglaublich nahe. Staunen wird wieder möglich. Und Staunen ist ein Prozess, der Ordnungen auf fast glücksbegleitete Art verändert.
Ich flaniere durch das Schilf, höre es rascheln im Wind. Kühle Luft kommt mir vom See entgegen. Es ist ruhig und zugleich bewegt. Frösche gurren. Und weit hinten in meinem Hören vermute ich eine Flöte. Doch das kann nicht sein. Ich getraue mich, mich über meine Ethik hinweg zu setzen und den Tönen Raum zu geben. Und ja: die Natur spielt ihr Lied.
Ich erblicke das Wesen im Schilf, das im Einklang mit dem Schilf aus der Natur heraus auftaucht. Ich verweile und spüre den Einklang der Natur in der klingenden Bewegung der Flöte des Pan.