Oskar Lafontaine: Der Fall eines Giganten

Von Stefan Sasse

Oskar Lafontaines politische Karriere ist vorbei. Mit seinem Rückzug von der Parteivorsitzkandidatur gestern dürfte die Aussicht auf eine Rückkehr in die Spitzenpolitik vorbei sein. Lafontaine war ein Gigant der deutschen Politik und hat sie seit den 1980er Jahren entscheidend mitgeprägt. Er war es, der im Saarland die absolute Mehrheit für die SPD errang, der der SPD-Linken als "Enkel Willy Brandts" einen entscheidenden Stempel aufdrückte, der mit seiner Bundeskanzlerkandidatur 1990 scheiterte. Es war ein erster Tiefpunkt seiner Karriere; geschwächt durch ein Attentat und mit der Hypothek eines offensichtlich schwachen Wahlkampfkonzepts. Lafontaine wies damals bereits darauf hin, dass der Umtauschkurs DM zu Ostmark im Verhältnis 1:1, wie ihn Kohl versprach, wirtschaftlicher Irrsinn war.

Er war damals die Vernunft, der Pragmatismus, Kohl der Populist. Genutzt hat es ihm nichts. 1995 kehrte er wie Phönix aus der Asche zurück, stieß Rudolf Scharping aus dem SPD-Vorsitz und bereitete sich auf einen erneuten Kanzlerkandidatursanlauf für 1998 vor. Das Rennen verlor er gegen Gerhard Schröder, mit dem bekannten Ergebnis. Heute noch wirft man Lafontaine seinen damaligen Rückzug vom Amt des Finanzministers vor, und eine finale Entscheidung darüber fällt auch heute noch schwer. Vermutlich hätte Lafontaine aus der SPD heraus wirksamere Opposition gegen die Agenda2010 leisten können. Vermutlich hätte man ihm dann beständig vorgeworfen, der Partei zu schaden und sie zu sabotieren. Er fiel tief, und so war sein erneuter Aufstieg umso beeindruckender. Mit Beginn der breiteren Opposition gegen die Agenda2010 setzte er sich, anfänglich noch zögerlich, dann umso entschlossener, an die Spitze der WASG, betrieb deren Vereinigung mit der PDS und war so maßgeblicher Schöpfer des gesamtdeutschen Linken-Projekts, dem 2005 der triumphale Einzug in den Bundestag und nach vier Jahren erfolgreicher Opposition gegen die Große Koalition 2009 ein noch deutlicherer Wahlsieg in Bund und Saarland gelang.


Ab da allerdings ging es schlechter für Lafontaine. An Krebs erkrankt musste er sich nach der Bundestagswahl 2009 für eine Weile aus der aktiven Politik zurückziehen. Den Parteivorsitz übernahmen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch; beide agierten überaus glücklos. Von der nun voll durchschlagenden Finanzkrise konnte die LINKE überhaupt nicht profitieren, stattdessen erging sie sich in endlos zermürbenden Streits und lieferte den ihr nicht gerade besonders freundlich eingestellten Medien beständig neues Futter, sei es das Glückwunsch-Telegramm an Castro, seien es Kommentare zum Mauerbau, Wege zum Kommunismus oder endlose Personalquerelen. Die besten Zeiten der LINKEn in dieser zweiten Legislaturperiode im Bundestag waren die Zeiten, in der die Medien sie ignorierten, was wesentlich häufiger vorkam als noch zu Zeiten der Großen Koalition. Der Zeitgeist der Protestwähler begünstigte stattdessen erst die Grünen, nun die Piraten. Es sieht nicht so aus, als würde er in näherer Zukunft noch einmal zur LINKEn schwingen.
Tatsächlich tobt in der LINKEn ein Richtungsstreit, den zu ignorieren fahrlässig wäre. Es geht um die Frage, ob die Partei weiter eine klare Opposition gegen die SPD fahren soll, indem sie auf ihren Maximalforderungen bei Hartz-IV und den Auslandseinsätzen beharrt - die conditia sine qua non, die Lafontaine für jegliche Zusammenarbeit im Bund formulierte - oder ob sie sich Koalitionen gegenüber öffnet. Man muss sich klar machen, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen der Richtigkeit vieler Positionen der LINKEn in Sachthemen und ihrer Strategie gibt. In ihrer prinzipiellen Ablehnung von Hartz-IV und Auslandseinsätzen sind sich wohl fast alle Linken einig. Ob es allerdings richtig ist, dies in eine Absage an Koalitionen umzumünzen - und genau das tat Lafontaine mit seinen Maximalforderungen - darüber ist man sich lange nicht so einig.
Die Niederlagen in den Landtagswahlen spiegeln diesen Prozess wieder. Für Protestwähler, die für die LINKE im Westen mangels Stammwählern (noch) essenziell sind, ist die Partei kaum mehr attraktiv, denn Protest soll auffällig sein, und das ist die Partei gerade nicht. Lafontaines Plan war wohl, an die Erfolge von 2005 bis 2009 anzuknüpfen, indem er die Partei wieder zu einem scharfen Schwert des Protests schmiedet und mit klarer Kante wieder an die 8% von 2005 anknüpft. Derzeit muss die Partei ja sogar um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten. Doch Lafontaine ist eben Lafontaine. Er ist klug, und er verfügt über große Kenntnisse, er kann reden und argumentieren. Gleichzeitig aber ist er auch eitel - wie jeder Politiker in seiner Position - und neigt zu merkwürdigen strategischen Einschätzungen. Letzteres brach ihm 1990 das Genick, 1999 und nun wieder, wohl zum letzten Mal. Sein Auftreten, in dem er die Unterwerfung der Partei unter seinen großen Plan verlangte, war nicht durch die Lage gedeckt. Lafontaine hat Feinde innerhalb seiner Partei, und nicht wenige davon. Seine Absicht, unbeleckt von den Niederlagen der letzten Monate als Retter aufzutreten, ist dahin. Er hat sich verspekuliert, so viel ist sicher.
Ist das eine reine, von außen gesteuerte Kampagne, wie Albrecht Müller vermutet, ein orchestrierter Schachzug der Interessen des Großen Geldes zum Niederhalten der LINKEn, so perfide, dass selbst Gregor Gysi dem zum Opfer fiel? Ich halte das für unrealistisch. Die großen Tage des Dreckschleuderns gegen Lafontaine, als das enfant terrible noch als größte Bedrohung der BRD gehandelt wurde, sind vorbei. Lafontaine wollte die Macht über die LINKE zurück, für sich, ungeteilt mit den Konkurrenten. Ob das zum Besseren oder Schlechteren der Partei gewesen wäre, sei dahingestellt. Er hat sie nicht bekommen, seine innerparteilichen Gegner sind das wichtigste Hindernis, gegen das er gerannt ist. Ich habe ohnehin nie verstanden, was an einer Spitze Bartsch/Wagenknecht so undurchführbar ist - die beiden wären ein interessantes Duo. Aber das sind Wege, die nicht genommen wurden. Die Zukunft der LINKEn jedenfalls findet wohl ohne Lafontaine statt.


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