Oskar Kokoschka - Humanist und Rebell: Die Jubiläumsausstellung des Kunstmuseums Wolfsburg wurde bis zum 31. August 2014 verlängert. Ich empfehle sehr, sie noch zu besuchen!
Den "roten Faden" dieser Ausstellung bildet die Persönlichkeit Oskar Kokoschkas selbst, wie sie vor allem in seiner Porträtkunst zum Ausdruck kommt. Oskar Kokoschka, der 1886 bei Wien geboren wurde und 1980 in Montreux in der Schweiz verstarb, war eine der prägenden Künstlerpersönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts - die Ausstellung orientiert sich an der Entwicklung seines Werkes über zwei Weltkriege hinweg. Selber ließ er sich nie von einer Bewegung vereinnahmen; schon mit den frühen Bildnissen zwischen 1909 und 1914 ging er seinen eigenen Weg und setzte sich vom Historismus und vom Jugendstil ab. Was in der verkürzten Formulierung des Ausstellungstitels "Rebell" genannt wird, kennzeichnet nichts anderes als seine starke Kraft zur Eigenständigkeit bis hin zur Eigenwilligkeit.
Zwei Umbrüche im Leben und Werk Kokoschkas können in der Ausstellung studiert werden: der erste nach seinem Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg, der zweite im Zusammenhang mit den politischen Verhältnissen vor und in dem Zweiten Weltkrieg, die ihn ins Exil trieben.
Kokoschkas kurze und heftige Beziehung zu Alma Mahler (1912-1914), der Witwe des Komponisten Gustav Mahler, war für ihn eine reiche Inspirationsquelle, als sie aber ihr gemeinsames Kind abtreiben ließ und die Uneinigkeit darüber zur Trennung führte, stürzte Kokoschka in eine tiefe Krise und meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde aber schwer verwundet und bald entlassen. Danach veränderte sich seine Malweise. Waren seine Bilder vorher von der Linie bestimmt, aus der Zeichnung entwickelt, so wird jetzt die Form von der Farbe ausgehend aufgebaut. Die Verbindung zur Musik aber bleibt.
1934 ging Oskar Kokoschka unter dem Druck der politischen Verhältnisse zunächst nach Prag (wo er seine spätere Frau Olda kennenlernte), dann nach London ins Exil. Hier entstehen - der zweite Umbruch - zahlreiche politische Arbeiten und allegorische Frauenbildnisse. (Dazu kann ich hier kein Beispiel zeigen, da kein Pressefoto zur Verfügung steht.) Um ein Beispiel zu nennen: Das Gemälde "Die Krabbe" (1939/40) kommentiert in allegorischer Form das Münchener Abkommen von 1938. Die Krabbe im Vordergrund (nach einem realen Vorbild aus einem Fischerdorf in Cornwall) vertritt Chamberlain, der ertrinkende Schwimmer im Hintergrund (mit Kokoschkas eigenen Zügen) weist auf die untergehende Tschechoslowakei hin.
"Humanist" war Kokoschka zeitlebens, doch in dieser Zeit bekommt sein Engagement politischen Charakter. So engagiert er sich u.a. nach dem Bombardement Guernicas durch Deutsche im Spanischen Bürgerkrieg dafür, spanischen Kindern zu helfen; ein Plakat dazu, eine Farblithografie, wird in der Ausstellung gezeigt.
Eine Überraschung (auch wenn das eine oder andere bekannt ist) bietet die Ausstellung mit der Abteilung über Tierporträts, deren Vorskizzen vielfach im Zoo von London entstanden sind - wie dieser Mandrill (ein Affe).
Die Porträts, die Kokoschka malte, waren bei den Dargestellten nicht immer beliebt. Es ging ihm nicht um die bloße Abbildung, die "möglichst ähnlich" zu sein hatte. Was mich auch persönlich bei meiner Besichtigung besonders beeindruckt hat: Er malte das Wesen des Menschen, seine Zukunft, mehr als die oder der Dargestellte selber wissen konnte. Selber schreibt er in "Mein Leben" zu seiner Porträtkunst: "Ich bescheide mich damit, dass ich Portraits male, weil ich es kann und darin meinen Weg zum Menschlichen sehe, einen Spiegel, der mir zeigt, wann und wo und wer und was ich bin." Und zu seinen Selbstporträts: "Und wenn ich Selbstportraits gemacht habe - ich mache sie immer wieder von Zeit zu Zeit, auch heute noch -, dann nur um nachzuprüfen: Was ist eigentlich der Mensch? Der Mensch ist nicht bloß die Oberfläche, nicht das, was man fotografieren kann; er ist auch nicht das allein, was man in der heutigen Gesellschaft sieht und was diese Gesellschaft schätzt und einordnet, wo wir glauben, wir seien auf dem Gipfel des Fortschritts angelangt."
Die mit großem Engagement gestaltete Ausstellung gliedert sich in folgende 11 Abteilungen: Kokoschkas Lehrjahre - Frühe Bildnisse - Herwarth Walden und "Der Sturm" - Alma Mahler - Die Macht der Musik - Kinderbildnisse - Kokoschka in Dresden - Tierporträts - Allegorische Frauenbildnisse - Humanistisches Engagement - Selbstbildnisse. Gezeigt werden 55 Gemälde, 138 Papierarbeiten und zahlreiche Dokumente.
Seit 20 Jahren gibt es das Kunstmuseum Wolfsburg. Mit dieser Jubiläumsausstellung knüpft das Museum an die Überblicksschau mit Werken Ferdinand Légers an, die am Anfang stand. Der außerordentlich sorgfältig und bereichernd gestaltete Katalog kostet im Museumladen 38 Euro.
Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; die Bilder von oben nach unten: Oskar Kokoschka: Doppelbildnis Oskar Kokoschka und Alma Mahler, 1912/13, Öl auf Leinwand 100 x 90 cm, Museum Folkwang, Essen
© Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Oskar Kokoschka: Die Macht der Musik, 1920, Öl auf Leinwand 100 x 151,5 cm (ungerahmt), Collection Van Abbemuseum, Eindhoven, Niederlande, Foto: Peter Cox, Eindhoven, Niederlande © Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Oskar Kokoschka: Mandrill, 1926, Öl auf Leinwand127 x 102 cm, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio Tromp © Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2014; Oskar Kokoschka: Mädchen mit Puppe, 1921/22, Öl auf Leinwand, 91 x 81 cm, Detroit Institute of Arts, USA / The Bridgeman Art Library © Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2014.