Im April 1933, also bereits bald nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, wurde im ehemaligen ‚Arbeitshaus’ von Moringen, in Niedersachsen, ein Konzentrationslager eingerichtet. Die ersten Häftlinge waren vorwiegend
B-Block ► Beobachtungsblock
U-Block ► Block der Untauglichen
S-Block ► Block der Störer
D- Block ► Block der Dauerversager
G- Block ► Block der Gelegenheitsversager
F-Block ► Block der fraglich Erziehungsfähigen
E- Block ► Block der Erziehungsfähigen
ST-Block►Stapo Block: mit politisch-oppositionell eingestuften Jugendlichen, von kommunistischen oder sozialdemokratischen Widerstandskämpfern bis hin zur nonkonformistischen Swing-Jugend…
Die Blockaufteilung ging zurück auf den Arzt und ‚Rassenhygieniker’ Robert Ritter, Leiter der Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt. Ritter betrieb seit 1937 die systematische Erfassung der ‚fremdrassigen’ Sinti und Roma sowie der zahlreichen ‚Deutschblütigen’ die als ‚asozial’ beziehungsweise ‚gemeinschaftsfremd’ etikettierten Bevölkerungsgruppen. Seit 1941 leitete er zusätzlich das Kriminalbiologische Institut der Sicherheitspolizei, dessen Aufgabe er darin sah, unter ‚kriminalbiologischen Gesichtspunkten alle jugendlichen Gemeinschaftsfremden’ festzustellen, "gegen die aus Gründen der Vorbeugung polizeiliche Maßnahmen durchgeführt" werden müssten. Jungen und junge Männer, die Ritter als ‚geistig defekt’ und als ‚krankhaft entartet’ betrachtete, sollten in Moringen inhaftiert werden. "In geeigneten Arbeitslagern", so Ritter zynisch, könnten sie "viel Nützliches leisten". Ritter regte auch Zwangssterilisierungen an, die dann vom Lagerarzt und dem Kommandanten beantragt und in der Universitätsklinik Göttingen vollzogen wurden. Die SS-Blockführer erstellten im halbjährlichen Turnus Führungsberichte über die einzelnen Häftlinge. Verfehlungen im Lager, wie Fluchtversuche, Lebensmitteldiebstähle, schlecht beurteilte Arbeitsleistungen oder Mängel beim Bettenbau und im Ordnungsverhalten vermerkten Kriminalbiologen
Die Erziehung im Nationalsozialismus war eine ‚totalen Erziehung’ möglichst außerhalb des Elternhause, fest in der Hand der Nationalsozialisten. Sie umfasst die Vorschul-, die schulische und außerschulische Erziehung sowie die Hochschulbildung, deren Ziel war es, die sogenannte ‚arische’ Jugend zu ‚rassebewussten Volksgenossen’ zu formen, „ihre jugendlichen Körper zu stählen“ und sie zu überzeugten Nationalsozialisten zu erziehen.
Die nationalsozialistische Jugend- und Bildungspolitik konnte 1933 nicht auf einen Schlag umgesetzt werden, sondern verdrängte das Erziehungssystem der Weimarer Republik nur schrittweise:
1. 1933–1935 Phase der Machtsicherung: ohne tiefere Eingriffe in das Schulwesen bis auf Entlassungen politisch unerwünschter Pädagogen, Zentralisierung und Gleichschaltung von Staat und Gesellschaft, neue Jugendorganisationen.
2. 1936–1940 Phase der Kriegsvorbereitung: Eingriffe in die Schulstruktur, neue Lehrpläne, obligatorische Hitlerjugend und Lagererziehung, Ausgrenzung, Neuordnung der Lehrerbildung. Im Dezember 1936 wurde für die Jungen der 12. Klasse die 13. Klasse ersatzlos gestrichen, um 1939 zwei Offiziersjahrgänge zu erhalten.
3. 1941–1945 Phase der Machterweiterung und Zerfall des ‚Reiches’: Kriegsmangelsituation, Rekrutierung von Schülern (Flakhelfer, Volkssturm) in der Endphase, Minimalisierung von Bildung in den besetzten Gebieten…
Die Haftgründe im Jugend KZ Moringen waren äußerst vielschichtig und reichten von pädagogischen Bankrotterklärungen gegenüber straffälligen Minderjährigen oder Heiminsassen, über ‚Arbeitsverweigerung’, ‚Arbeitsbummelei’ und ‚Sabotage’ bis hin zur Verweigerung des ‚Hitler Jugend Dienstes’. Das Reichskriminalpolizeiamt und die Gestapo inhaftierten aus rassischen, so wie Sinti, Roma und Juden und eugenischen Gründen, wie Behinderte oder Zwangssterilisierte. Auch wegen Homosexualität, sogenannter ‚Strichjungen’ oder wegen Widersetzlichkeiten, Opposition und konkreten Widerstandshandlungen. Ungefähr 20 Jungen wurden als Anhänger der englisch-amerikanischen Swingmusik, also wegen ihrer Zugehörigkeit zur Hamburger ‚Swing-Jugend’ interniert. Wieder andere wegen ‚Sippenhaft’, so zum Beispiel der 16-jährige Rainer Küchenmeister, dessen Vater im Zusammenhang mit der Widerstandsgruppe ‚Rote Kapelle’ hingerichtet wurde. Alle wurden ohne Gerichtsverfahren Moringen verschleppt. Das sogenannte ‚Jugendschutzlager’ Moringen hatte recht schnell vollends den Charakter eines allgemeinen Konzentrationslagers für Jugendliche. Wie in den anderen Konzentrationslagern, so stand auch in Moringen die bedingungslose Ausnutzung der Arbeitskraft bei völlig unzureichender Verpflegung und mangelnder medizinisch-hygienischer Versorgung im Vordergrund. Der 10- bis 12stündige Arbeitseinsatz der Häftlinge erfolgte vorwiegend für Rüstungszwecke bzw. zur Aufrechterhaltung der Kriegsmaschinerie. Aber auch in der Landwirtschaft oder beim Autobahnbau arbeiteten die Häftlinge des Jugend Konzentrationslagers, unter anderem für Konzerne wie Wayß & Freitag. Der weitgehend untertariflich festgelegte und zwischen SS und Firmen vertraglich fixierte Lohn wurde von den Unternehmen an die SS überwiesen. Von diesem Entgelt haben die Betroffenen bis zum heutigen Tag keinerlei Zahlungen erhalten. Die Ausbeutung der jugendlichen Arbeitskraft sicherte damit sowohl der SS, durch die Einnahmen aus dem Arbeitslohn, als auch den
Moringen wurde am 9. April 1945 befreit. Drei Tage vorher fanden ‚Evakuierungen’ in Richtung Harz statt, die Kranken blieben im Lager zurück. Bis zur Befreiung wurden etwa 1400 Jugendliche in Moringen eingewiesen. Die genaue Zahl der den Lagerbedingungen und Gewaltattacken des Personals und anderer zum Opfer Gefallenen ist unbekannt. Innerhalb des Lagers waren es mindestens 56. Viele Männer, die im Konzentrationslager als Aufseher tätig waren, waren in Moringen mit ihren Familien ansässig. So war auch die Nachkriegsgeschichte von den Versuchen gezeichnet, die nationalsozialistische Geschichte hinter dem Tor des Schweigens verschlossen zu halten. Dass das nicht gelungen ist, ist der Verdienst mehrerer hartnäckiger Menschen.
Heute ist eine Gedenkstätte vorhanden, die die schrecklichen Ereignisse hervorragend dokumentiert.
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Bild 1: ehemaliges KZ Moringen · Bild 2: Dokument der Einweisung in KZ Moringen · Bild 3: Jugendliche Häftlinge in Moringen – alle Quelle: martinguse.de