Option Leben: Liam – das besondere Wunschkind

Option Leben: Liam – das besondere Wunschkind

Hand ind Hand – so zart und fein

Kürzlich fragte uns eine Mutter, ob wir bereit wären, uns ihre Geschichte anzuhören und sie Euch dann weiter zu erzählen. Eine Geschichte von einem Kind, das trotz schlechter Prognose ausgetragen wurde. Eine Geschichte, die aufzeigen soll, dass es auch eine andere Option gibt als eine Abtreibung.

Diese Mutter arbeitete selber Teilzeit auf einer Frauen- und Kinderklinik und ist da vielen Frauen begegnet, die eine Abtreibung psychisch nie ganz überwunden haben.  Dennoch will sie ihre Geschichte nicht als Anti-Abtreibungskampagne verstanden haben. Sie findet es einfach wichtig, dass Eltern auch mal hören, dass es einen anderen Weg gibt und man ein todkrankes Kind auch austragen und dann in Würde sterben lassen kann. Dass es für die Psyche und dem Abschliessen mit der Geschichte sogar heilsam sein kann, wenn man nicht selber eingreift, sondern das Kind seinen Todeszeitpunkt selber wählen lässt.

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Liam – Das besondere Wunschkind

“Mein lieber Liam, Du warst geplant, eine bewusste Entscheidung, ein absolutes Wunschkind. Schon von Anfang an warst Du besonders. Es brauchte 5 Schwangerschaftstests, bis auch die Teststreifen glaubten, was wir schon lange wussten: Du warst unterwegs zu uns.  Mir war so übel in den ersten 3 Monaten und ich verlor jeglichen Geschmacksinn, wodurch Deinem Daddy und Bruder einige sehr scharfe und furchtbar versalzene Menues serviert wurden…

Der 1. Ultraschall, der bestätigte, dass Du am richtigen Ort angekommen bist und Dich eingenistet hast. Wir waren so glücklich und an Ostern erzählten wir dann auch Deinen Grosseltern, Onkel und Tanten, dass Du unterwegs warst. Dein grosser Bruder trug stolz das T-Shirt mit der Aufschrift: “Ich bekomme Verstärkung!” Wir nannten Dich Squirrly (Eichhörnchen).

Zwischen Angst und Hoffnung

Eine Woche später dann aber der Schock: Verdickte Nackenfalte, minim zwar aber doch verdickt. Wir versuchten uns keine Sorgen um Dich zu machen. Wir entschieden uns auch gegen eine Fruchtwasseruntersuchung. Das 1% Risiko, Dich zu verlieren war und im Vergleich zur 2% Chance, dass mit Dir etwas nicht gut sein könnte, zu gross. Wir hatten Angst um Dich und die Erleichterung war gross, als ich Dich in der 17. Woche das 1. Mal spürte. Mit einer Vorderwandplazenta war es am Anfang nicht immer einfach, Dich zu spüren.

Gefühle, Emotionen, Instinkte und Vorahnungen

Am 7. Juni haben Dein Daddy und ich ein langes Gespräch über Dich geführt, wir hatten beide das Gefühl, dass etwas nicht gut war. Wir riefen am nächsten Tag unseren Frauenarzt an und konnten am 9. kurzfristig zu einem Ultraschall. Der Arzt setzte das Schallgerät auf meinen Bauch und meinte: Das Kind ist tot. Uns blieb fast das Herz stehen. Dann sah er aber doch eine Herzaktion aber er hatte Mühe, irgend etwas klar zu erkennen. Er sagte, dass er nicht genau wisse ,was los sei, er aber nicht denke, dass Du lebensfähig sein wirst. Er organisierte uns einen Termin beim Spezialisten im Kantonsspital.

Dein Daddy und ich haben nur noch geweint und Dein grosser Bruder ist von einem zum anderen gegangen und hat uns versucht zu trösten. Wir konnten am Donnerstag zur Frauenärztin. Sie hat erstmal alles angeschaut, was gut ist an Dir, Dein Kopf war normal, Hirn gut etwickelt auch die Arme und Beine waren zu erkennen. Aber Dein Körperstamm war komplet verkehrt. Auch sie gab Dir keine Chance ausserhalb meines Bauches zu überleben bzw. die Schwangerschaft werde wohl eh nicht mehr lange dauern. Wir machten dann doch eine Fruchtwasserpunktion, um zu wissen ob auch mit Deinen Chromosomen ein Problem bestand.

Dies war die schlimmste Untersuchung überhaupt. Ich hatte so Panik, dass ich Dich damit noch mehr schädigen könnte bzw. Deinen Tod herbeiführen würde. Die Ärztin war sehr verständisvoll aber die Hebamme hätte ich an eine Wand knallen können. Meinte sie doch: Sie müssen versuchen das Positive an dieser Situation zu sehen und sie müssen ihr Kind trotzdem lieben. Himmel, natürlich liebe ich mein Kind! Sonst täte es ja nicht so verdammt weh! Zum Glück war mit Deinen Chromosomen alles gut und wir erfuhren auch, dass Du ein Junge sein wirst.

Ein Entscheid für das Leben

Für uns war klar, dass wir Dir die Entscheidung über Dein Leben überlassen werden. Wir wollten nicht sagen: Heute ist Dein Todestag. Die Trauer über den baldigen Tod von Dir ist schlimm genug, ich hätte nicht die Kraft gehabt, zusätzlich noch mit den Schuldgefühlen einer Abtreibung leben zu können.

Wir sagten zu den Ärzten, dass Du ein Wunschkind bist und nur weil Du nun nicht so bist, wie wir Dich bestellt haben, werden wir Dich nicht einfach zurück geben. Du bist unser Kind und wir lieben Dich und werden Dich bei uns haben solange es uns eben vergönnt ist. Die Ärzte haben Deiner Krankheit dann auch einen Namen gegeben: Body Stalk Syndrom. Eine ganz seltene Anomalie des Körperstamms. Es gab keine Überlebenschancen für Dich und wir fanden nur ein Beispiel, wo jemand ein Kind mit einer solchen Krankheit auch ausgetragen hat. Dieser Junge starb kurz nach der Geburt.

Achterbahn der Gefühle

Die folgenden Monate waren eine Achterbahn. Wir haben viel geweint, waren wütend, deprimiert und verstanden den Sinn hinter allem nicht. Es waren aber auch wunderbare Monate, gefüllt mit Momenten und Erinnerungen an Dich.

Ich bin oft mit Dir schaukeln gegangen, weil Du nie selbst schaukeln wirst, dabei hast Du immer fleissig gestupst, als wolltest Du mir Schwung geben. Du liebtest Musik, dabei hatten wir auch unsere erste Meinungsverschiedenheit: Wir besuchten ein Konzert mit chinesischer Musik, bei dem Instrument, welches mir am wenigsten gefiel, hast Du am neisten gestrampelt und während des schönen Klavierteils warst Du ruhig…

Auf die vielen Luftküsse Deines Bruders hast Du mit wahren Begeisterungsstürmen reagiert und Deinem Daddy hast Du gerne einen Gute-Nacht-Stubs gegeben. Du warst sowieso nachtaktiv, 22:00- 01:00 Uhr war Deine Lieblingszeit. Bin darum etwas übermüdet, weil ich für diese Zeit immer wach sein wollte, um Dich zu spüren.

Offenheit und Solidarität

Wir waren sehr offen über Deine Situation, haben Nachbarn, Freunde und Familie eingeweiht. Dadurch haben wir sehr viel an Solidarität erfahren dürfen. Wir wurden von sovielen Leuten begleitet und unterstützt und haben soviele Zeichen der Verbundenheit erfahren dürfen. Dafür werden wir immer dankbar sein. Unser Freundeskreis wurde umgekrempelt und wir wissen nun, auf wen auch in schweren Zeiten Verlass ist und unsere Familie hat es zusammengeschweisst.

Ein steiler, steiniger Weg

Die Untersuchungen waren immer sehr schwierig, jedes Mal fand sich etwas Neues, das nicht in Ordnung war mit Dir. Es stellte sich auch heraus, dass ich, sobald wir über der 26. Woche waren, einen Kaiserschnitt haben werden muss, da Du nur 2 cm Nabelschnur hast. Ich hatte bei Deinem Bruder schon einen Notkaiserschnitt nach 3 Tagen Wehen. Dieser war absolut traumatisch und das Wochenbett hatte ich nur als Horror in Erinnerung. Es war so ein zwiespältiges Gefühl: Einerseits wollte ich keinen Kaiserschnitt, andererseits wollte ich Dich solange wie möglich bei uns haben.

Unser erhofftes Ziel war, Dich bis zur 35. Woche bei uns zu haben, damit Deine Lungen genug entwickelt sind, dass Du eventuell noch ein paar Minuten lebst und wir Dich kennenlernen dürfen. Die Ärzte glaubten aber nicht, dass Du länger als 26 Wochen bei uns bleibst. Die Wochen kamen und gingen und Du entwickeltest Dich entgegen der Erwatungen der Ärzte gut. Bist normal gewachsen, konntest Fruchtwasser schlucken und hast Dich, im Rahmen Deiner Einschränkungen, gut bewegt.

Bewusstes Erleben

Wir haben diese Zeit sehr bewusst erlebt mit Dir, hätte doch jeder Tag Dein letzter sein können. Wir versuchten, jede Minute mit Dir auszukosten und haben auch Deinen Bruder in alles mit einbezogen. Einmal kam er zum Ultraschall mit. Wir haben ihm damals noch nicht bewusst gesagt, dass Du Liam heissen wirst. Er sah das Bild an, legte dann seine Hand auf meinen Bauch und meinte: Liam Buuch.

Mittlerweilen war die 32. Woche gekommen und wir mussten der Tatsache ins Auge blicken, dass wir wohl doch ein Datum für Deine “Geburt/Tod” setzen müssen. Wir konnten uns nicht durchringen, Deinen Todestag zu bestimmen. Der Frauenarzt meinte, Ende September, bis spätestens 6.10. Wir sprachen uns mit unseren Familien ab und einigten uns schweren Herzens auf den 2.10., weil dann Deine Grossmutter aus den USA dabei sein werden kann.

Geburt und Abschied

Am 17. September war unser nächster Frauenarzttermin, wo wir mit den Ärzten über den Kaiserschnitt reden wollten und das Datum bestimmen würden. Am 16. um 03:00 Uhr wachte ich auf mit Bauchschmerzen. Erst habe ich mit Dir geschimpft und Dich gebeten, doch von meiner Blase runterzukommen….

Die Schmerzen kamen und gingen, ich nahm dann ein Bad, was keine Linderung brachte, darum rief ich im Spital an und fragte was ich tun soll. Erst da wurde mir bewusst, dass ich wohl Wehen hatte. Ich habe mit so vielem gerechnet in dieser Schwangerschaft, aber nie mit Wehen.

Der Wehenschreiber meinte dann auch, dass ich Wehen habe. Muttermund war aber noch komplett zu. Wir beschlossen, dass wir auch zu Hause warten können, ob die Wehen aufhören oder stärker werden. Wir fuhren also nach Hause, mit dem Wissen, dass wenn die Wehen nicht aufhören, wir am Morgen zum Kaiserschnitt einrücken würden. Am Abend bevor die Geburt Deines grossen Bruders eingeleitet wurde, haben wir Pizza gegessen. Darum haben wir auch wieder Pizza bestellt.

Als der Bote klingelte ging bei mir das Fruchtwasser ab. Wir packten die Pizza ins Auto, packten im Eiltempo und fuhren wieder ins Spital. Ich habe den ganzen Weg geweint, weil ich Dich schon ein paar Stunden nicht mehr gespührt hatte, hatte ich Angst, dass Du schon gestorben bist. Im Ultraschall sah man dann aber, dass Dein Herz noch schlug. Ich wurde in den OP geschoben und die Spinale wurde gesteckt. Während der Fahrt in den OP hast Du wieder angefangen zu kicken, ich war so froh. Als die Spinale gestochen wurde, habe ich noch gedacht: dies ist der letzte Kick von Dir. Die Spinale wirkte dann aber ganz speziell, ich hatte keine Schmerzen aber ich habe alles gespürt, was gemacht wurde. Hätte immer genau sagen können, wo genau geschnitten und gezogen wurde. Ich habe Dich während der ganzen Operation gespürt. Leider war die Operation sehr schwierig, sie mussten Dich mitsamt der Plazenta aus mir herausschneiden, wodurch wir beide sehr viel Blut verloren. Bei einem gesunden Kind wäre das schon ein grosser Stress, bei einem kranken Kind tödlich. Als sie Dich rausnahmen, hast Du noch ein kleines Hallo für Deinen Daddy und mich gerufen, dann war es still, die Nabelschnur habe noch kurz pulsiert und dann war auch sie ruhig. Dein Daddy durfte die Nabelschnur trennen und dann kamst Du zu mir. Du hattest die Augen noch offen und sahst so lebendig aus, dass ich es kaum glauben konnte, dass Du schon nicht mehr da warst.

Ich habe noch nie in meinem Leben einen solchen Schmerz verspürt, wie in dem Moment. Ich wollte Dich zurück haben, hätte Dich sogar zurück in den Bauch getan, wo es Dir 33 Wochen gut ging. Du warst ein wunderschönes Baby, mit schwarzen Haaren wie Dein Bruder bei der Geburt gehabt hatte, mit denselben langen, dünnen Fingern und der riesigen Grosszehe. Dein Näschen war etwas eingedrückt, weil es die ganze Zeit gegen meine Gebärmutterwand gedrückt gewesen war, dieses Stupsnäschen gab Dir einen frechen Ausdruck, Du sahst so friedlich aus, einfacht wunderschön. Im Internet haben wir Bilder von Babies mit Body Stalk Anomalie gesehen, diese sahen alle sehr unschön aus. Vorallm dein Daddy hat sich Sorgen gemacht, wie Du wohl aussehen wirst. Seine Sorgen waren unbegründet. Du warst wunderschön.

Wir durften Dich zwei Tage bei uns behalten und dann noch zwei Tage jederzeit anschauen und halten gehen. Wir konnten Dich unseren Familien und unseren besten Freunden vorstellen. Dein grosser Bruder konnte Dich halten, hat Dir Büchli gezeigt und war so begeistert von Dir. Wir sagten, wenn Du nicht schon tot wärst, dann hätte er Dich totgedrückt. Heute nun haben wir Dich bei uns im Garten begraben, es war eine wunderschöne Zeremonie, traurig aber wunderschön. Dabei hat uns jemand gefragt, ob, wenn wir zurück gehen könnten und uns Anfang Jahr die Wahl gegeben würde: die Zeit mit Dir zu haben oder nicht schwanger geworden zu sein, was wir wählen würden. Da mussten wir ganz klar sagen: Wir könnten nicht auf Dich verzichten. So kurz Du bei uns gewesen bist, wir könnten uns unser Leben ohne Dich nicht vorstellen. Du wirst immer zu uns gehören, unser zweitgeborener Sohn sein, für uns bist Du perfekt und wir lieben Dich von ganzem Herzen.

Ich würde mich auch wieder für diesen Weg entscheiden. Du hast uns soviel gegeben und wir haben nun ein Kind, ein Kind welches für alle sichtbar da war, existiert hat. Wir haben über 100 Fotos von Dir, Erinnerungen an die Zeit mit Dir, Erinnerungen an Dich. Wir konnten Dich halten, knuddeln und wir wissen wie Du im Bauch drin warst. Wir konnten Dich allen wichtigen Leuten vorstellen. Hätten wir Dein Leben vorzeitig beendet, hätten wir all dies nicht. Du wärst ein Kind, das nie richtig existiert hat, ein Kind, dass nur für uns eine Bedeutung hätte. Und wir müssen nie sagen, wir hätten Dir nicht alles gegeben was wir konnten, wir haben Dir die Entscheidung überlassen und Du hast selbst entschieden. Dafür sind wir Dir dankbar.

In Liebe – Dein Mami”

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Prenat ist ein unabhängiger Verein mit dem Ziel Eltern nach einer schwerwiegenden vorgeburtlichen Diagnostik ihres Babys beizustehen. Er bietet Information und Rat für betroffene Eltern, Kontaktvermittlung zu anderen Familien und Selbsthilfegruppen und arbeitet zusammen mit medizinischen Fachkräften. Die finanziellen Mittel von prenat stammen von den Mitglieder- und Gönnerbeiträgen sowie von Spenden.

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