Aus: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2012
"Es hat den Anschein, dass es sogar dem Licht schwerfällt, [das langsame Glas] zu durchdringen – so schwer, dass die Reise von eineinhalb Zentimetern durch dieses Material ungefähr eine Sekunde in Anspruch nimmt … Sie haben die Welt gesehen, wie sie eine Sekunde vorher, in der Vergangenheit, existierte!"
Was in Bob Shaws Roman "Augen der Vergangenheit" von 1972 noch reine Science Fiction war, haben Forscher dreißig Jahre später in die Realität umgesetzt. Die Verlangsamung von Licht ist einer der erstaunlichsten Fortschritte der Optik und könnte dazu beitragen, dass unsere Kommunikationsnetze schon in naher Zukunft erheblich schneller arbeiten. Der Datentransport per Lichtsignal ist zwar schon heute möglich, nämlich in Glasfasern. Aber an den Knotenpunkten des Internets, den Routern, müssen die Lichtsignale noch immer in elektronische Signale umgewandelt werden – nur so lassen sie sich zwischenspeichern und auslesen. Das aber bremst die Übertragungsgeschwindigkeit.
Die Grundidee, Licht einfach abzubremsen, mag paradox erscheinen. Schließlich haben wir endlich gelernt, in einer einzelnen optischen Faser Tausende Gigabit pro Sekunde an Daten zu übertragen – und nun wollen wir das Licht verlangsamen, das diese Daten transportiert? Doch dieser Gedanke ist durchaus sinnvoll, wie die renommierten Forscher Luc Thévenaz von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) und Thomas Schneider von der Hochschule für Telekommunikation Leipzig (HfT) in der Februarausgabe 2012 von Spektrum der Wissenschaft berichten. Denn indem man ein Lichtsignal verlangsamt, lässt sich die darin enthaltene Information auch speichern – im Prinzip beliebig lange.
Tatsächlich war es Forschern 1999 erstmals gelungen, Licht auf eine Geschwindigkeit von gerade einmal 17 Meter pro Sekunde abzubremsen. 2004 hatte es Luc Thévenaz dann geschafft, Licht auch in Glasfaserkabeln zu verzögern, dem Rückgrat der modernen Kommunikationsnetzwerke. Allerdings zeigte sich bald, dass der Anwendungsbereich dieser Technik begrenzt bleiben würde. Den Grundgedanken verfolgten die Forscher von EPFL und HfT aber weiter. Vor kurzem erzielten sie nun große Fortschritte bei der optischen Speicherung von Licht. Das System der EPFL arbeitet nach dem Prinzip einer konventionellen Verzögerungsstrecke: Der optische Puls durchläuft eine Glasfaser und wird einfach an einem verschiebbaren "Spiegel" in der Faser reflektiert. Die Verzögerung ist dabei stufenlos von Null bis zu der Zeit einstellbar, die der Puls zum Spiegel und zurück benötigt, wenn sich letzterer am Ende der Verschiebungsstrecke befindet. Den Spiegel selbst erzeugen die Forscher, indem sie von außen zwei Lichtwellen in entgegengesetzter Richtung auf die Glasfaser einstrahlen.
An der HfT wurde unterdessen das Verfahren der Quasi-Lichtspeicherung entwickelt. Hierbei wird ein Lichtpuls in viele Kopien aufgespalten, die einander in kurzen Abständen folgen. Die gewünschte Speicherzeit lässt sich nun grob justieren, indem man spätere oder frühere Pulskopien auswählt. Die Feinjustierung nehmen die Forscher vor, indem sie darüber hinaus die Abstände der Pulskopien variieren. Gemeinsam mit Forschern von der Technischen Universität Berlin hat das Team von der HfT mittlerweile sogar Siliziumchips entwickelt, die genau dieses Verfahren beherrschen. Damit ist die Massenproduktion preiswerter und kompakter optischer Speicher in Reichweite.
Die ursprünglichen Erwartungen hat das langsame Licht zwar nicht erfüllt. Doch es hat den Wissenschaftlern die Augen dafür geöffnet, dass sich bei der Ausbreitung optischer Signale auch die Variable Zeit kontrollieren lässt. So eroberten sie in wenigen Jahren völlig neue Forschungsgebiete. Ihre Erkenntnisse werden dazu beitragen, dass die Datenraten in unseren Kommunikationssystemen mithilfe optischer Verfahren womöglich schon bald drastisch gesteigert werden können.