Ist das der Wonnemonat Mai oder was?! Vierzehn spannende neue Opernproduktionen warten in diesem Monat darauf, entdeckt zu werden. Also, wo sehen wir uns? Hamburg, Braunschweig, Gelsenkirchen...?
EIN GRAB IN DEN LÜFTEN am Staatstheater Braunschweig (Premiere am 2. Mai 2015)
"Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng"
So beginnt die Todesfuge, das wohl bekannteste Gedicht von Paul Celan, das auf bildreiche Weise an die Opfer des Holocaust erinnert. Mit dem Abend unter dem Titel Ein Grab in den Lüften will nun auch das Staatstheater Braunschweig daran erinnern, dass man auch jetzt noch und niemals vergessen darf, was in Auschwitz, Buchenwald und anderen Orten im Dritten Reich geschehen ist. Die Vorstellung beginnt mit der Kammeroper For a Look or a Touch von Jake Heggie, welche Verfolgung, Folter und Mord an Homosexuellen durch das Naziregime zum Thema hat. Der mittlere Teil, Ilse, ein neues Schauspiel von Julian van Daal und Sarah Grahneis, legt den Fokus auf die Täterseite und beleuchtet die Geschichte von Ilse Koch, der Frau eines Lagerkommandanten, die auch als Hexe von Buchenwald bezeichnet wurde. Der Abend endet mit einer weiteren Kammeroper von Jake Heggie, Another Sunrise. Hier erfahren wir mehr über eine Frau, die im Konzentrationslager war, fliehen konnte und sich im Laufe ihres Lebens immer wieder literarisch mit dieser traumatischen Episode auseinandergesetzt hat.
Das Thema Holocaust kommt euch aber schon zu den Ohren raus? Das sollte es nicht! Mit der schlichtweg großartigen Musik von Jake Heggie und dem kontrastreichen Text von Julian van Daal wird Ein Grab in den Lüften garantiert kein Abend von distanzierter Betroffenheit werden.
Die beiden Werke von Jake Heggie sind nach Die Reise des Edgar Allan Poe und der dritte Beitrag der Reihe "The American Way of Opera" am Staatstheater Braunschweig.
Musikalische Leitung: Johanna Motter
Regie For a Look or a Touch: Natalie Schramm
Regie Ilse: Julian van Daal
Regie Another Sunrise: Christina Sievert
Bühne und Kostüme: Christiane Kleiber
Choreographie: Markus Schneider
Dramaturgie: Sarah Grahneis
MATSUKAZE von TOSHIO HOSOKAWA am Theater Kiel (Premiere am 2. Mai 2015)
Die Schwestern Matsukaze und Murasame liebten einst denselben Mann. Als dieser überraschend verstarb, blieben ihre Seelen unerlöst. Eines nachts begegnet ein Mönch auf einer Pilgerreise den beiden Geistern.
Die Geschichte von Matsukaze und ihrer Schwester ist ein Klassiker des Nô, einer traditionellen japanischen Theaterform. Die Hauptfiguren im Nô sind häufig Geister von Toten, die auf die Welt zurückkehren, um traurige Erfahrungen zu verarbeiten. Der japanische Komponist Toshio Hosokawa bewegt sich mit seiner Musik stilistisch zwischen westlicher Avantgarde und traditioneller japanischer Kultur. Der Klappentext der Homepage des Theater Kiel beschreibt seine Oper als Natur-Poem. Wer sich darunter genauso wenig vorstellen kann wie ich und jetzt fuchsteufelsneugierig geworden ist, kann sich bald ein eigenes Bild schaffen über diese neue Oper, die 2011 in Brüssel ihre Uraufführung hatte.
Musikalische Leitung: Leo Siberski
Regie: Matthias von Stegmann
Bühne und Kostüme: Walter Schütze
WRITTEN ON SKIN von GEORGE BENJAMIN am Theater St. Gallen (Premiere am 2. Mai 2015)
Ein mächtiger Adeliger, der Protector, engagiert einen Illustrator, den Boy, um sich in einem Buch zu verewigen und im Paradies darstellen zu lassen. Der Boy vertieft sich aber nicht nur in seine Arbeit und in die Kreation seiner Bilderwelt, sondern vertieft auch seine Beziehungn zu Agnès, der Frau des Protector. Als dieser davon erfährt, ermordet er den Boy und setzt seiner Frau Agnès dessen Herz zum Essen vor. Sie aber verzweifelt nicht, sondern nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand und springt aus dem Fenster.
George Benjamin, einer der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten, hat für diese groteske und düstere Geschichte eine musikalische Sprache entwickelt, die von subtil ausgearbeiteten orchestralen Klangfarben geprägt ist. Und nun ist sein Werk Written on Skin mit dem Hauch von Hannibal Lecter zum ersten Mal auf einer Schweizer Opernbühne zu erleben.
Musikalische Leitung: Otto Tausk
Regie: Nicola Raab
Bühne und Kostüme: Mirella Weingarten
Licht: Andreas Volk
Dramaturgie: Alexandra Jud
THEBANS von JULIAN ANDERSON am Theater Bonn (Premiere am 3. Mai 2015)
Theben. Das war doch diese antike Stadt, wo Ödipus König war und Antigone ihren Bruder begraben hat, oder? Ganz genau. Die Tragödien von Sophokles sind so zeitlos, dass es darüber nun eine neue Oper von Julian Anderson gibt, die als Auftragswerk der English National Opera in London im letzten Jahr ebendort ihre Uraufführung erlebte. Die Geschichte von Mord und Inzest, politische Überambitioniertheit, Liebe und Loyalität, Hass und Rache kommt in der Uraufführungsinszenierung von Pierre Audi nach Deutschland. Julian Andersons Musik wird als lebendig, rhythmisch und mit unverbrauchtem melodischen Einfallsreichtum bezeichnet. Das liest sich nicht schlecht. Ob sich Thebans auch so anhört, könnt ihr bald am Theater Bonn erleben.
Musikalische Leitung: Johannes Pell
Regie: Pierre Audi
Licht: Jean Kalman
Video: Lysander Ashton
Kostüme: Christof Hetzer
Bühne: Tom Pye
LA BIANCA NOTTE (UA) von BEAT FURRER an der Staatsoper Hamburg (Premiere am 10. Mai 2015)
La bianca notte oder Die helle Nacht ist ein Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper und beschäftigt sich mit dem italienischen Dichter Dino Campana. Seine Dichtungen proklamieren zu Anfang des 20. Jahrhunderts die geistige Freiheit eines Künstlers, der sich in einem unruhigen Leben an die Welt verschwendete und für verrückt erklärt wurde. Laut dem Komponisten Beat Furrer soll es allerdings kein Künstlerdrama sein, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Verlust von Heimat und dem Verlust der kreativen Kraft des Ichs. Klingt kryptisch? Erhellung verschafft euch nur die Reise nach Hamburg (oder zu gegebener Zeit ein Klick auf meinen Artikel dazu).
Musikalische Leitung: Simone Young
Regie: Ramin Gray
Bühne: Jeremy Herbert
Kostüme: Janina Brinkmann
Licht: Charles Balfour
Choreographie: Sasha Milavic Davies
Dramaturgie: Francis Hüsers / Kerstin Schüssler-Bach
LA DAME BLANCHE von FRANCOIS ADRIEN BOIELDIEU am Staatstheater Oldenburg (Premiere am 16. Mai 2015)
Keine Lust auf Holocaust, Mord und Totschlag, Inzest und Künstlerschicksale? Dann seid ihr am Staatstheater Oldenburg genau richtig. Hier gibt es im Mai das heitere Stück La dame blanche oder Die weiße Dame von Boieldieu zu sehen - eine gelungene Mischung aus schottischer Schauerromantik, französischem Esprit und einer ganzen Reihe von Ohrwürmern. Dazu gibt es noch ein mysteriöses Schloss, einen versteckten Schatz und einen guten Geist. Das alles mit Happy-Ending-Garantie. Viel Vergnügen dabei!
Musikalische Leitung: Vito Cristofaro
Regie: Nadja Loschky
Bühne: Daniela Kerck
Kostüme: Gabriele Jaenecke
Licht: Ernst Engel
KEHRAUS UM SANKT STEPHAN (DE) von ERNST KRENEK am Stadttheater Gießen (Premiere am 16. Mai 2015)
Lasst euch von Krenéks Namen nicht in die Irre führen! Denn dieser Ernst hat in seiner Oper Kehraus um Sankt Stephan mit rabenschwarzem Humor ein Stimmungsbild der Zwischenkriegszeit geschaffen. In dieser Satire mit Musik geht es nicht um die durch den Krieg zerstörten Städte, sondern um zertrümmerte menschliche Existenzen. Jeder muss sich seinen Platz in der Gesellschaft neu suchen, ob es um Geschäftsmänner, Adel, Militärs, Journalisten, Winzer oder Prostituierte geht. Musikalisch bewegt sich Krenék zwischen Tango, Walzer, Schlager, Operette und Zwölftonmusik. Es ist also für jeden etwas dabei.
Musikalische Leitung: Florian Ziemen
Regie: Hans Hollmann
Bühne und Kostüme: Lukas Noll
TAHRIR (UA) von HOSSAM MAHMOUD am Salzburger Landestheater (Premiere am 17. Mai 2015)
Der Tahrirplatz in Kairo ist Zentrum und Symbol der ägyptischen Revolution schlechthin. Diesen Ort hat der ägyptische Komponist Hossam Mahmoud zum Titel seiner neuen Oper gemacht, die sich poetisch wie politisch mit der "Kunst der Veränderung" in seiner Heimat auseinandersetzt. Mittelpunkt der Handlung sind ein Politiker, seine junge Frau, eine selbstbestimmte Revolutionärin und ihr Sohn. Außerdem betrachtet Mahmoud auch die öffentliche, politische und mediale Wahrnehmung des Geschehens in Ägypten und Europa. Endlich Musiktheater, das sich ernsthaft mit aktuellem politischen Geschehen auseinandersetzt. Da kann man sich nur wünschen, dass dieser Abend viel Anlass für Diskussion, Information und Austausch geben wird.
PEER GYNT von WERNER EGK am Staatstheater Braunschweig (Premiere am 22. Mai 2015)
Peer Gynt will Kaiser der Welt werden. Kein bescheidenes Ziel für den Sohn eines einfachen Bauern. Mit seinen Träumen und viel Phantasie begibt er sich auf eine Reise um die Welt, auf der er Frauen, Trolle und andere eigenartige Gestalten trifft. Was wird Peer Gynt am Ende dieser Abenteuer finden?
Der Komponist Werner Egk wurde von den nationalsozialistischen Machthabern gefeiert, seine Werke werden heute selten gespielt. Aber ist Peer Gynt tatsächlich ein Werk, das aus einer Anpassung an und Wohlwollen für das Naziregime geschrieben wurde? Das Staatstheater Braunschweig setzt sich mit dieser und anderen Fragen, die dieses selten gespielte Musiktheaterwerk stellt, auseinander.
Musikalische Leitung: Christopher Hein
Regie: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Renate Schmitzer
Dramaturgie: Sarah Grahneis / Christian Steinbock
HALKA von STANISLAW MONIUSZKO am Pfalztheater Kaiserslautern (Premiere am 23. Mai 2015)
Halka ist eine junge Magd auf dem Gut von Janusch - und außerdem seine heimliche Geliebte. Dieses Abenteuer blieb nicht ohne Konsequenzen. Halka ist schwanger von Janusch, der aber wird eine andere heiraten und vertröstet die traurige Halka. Als diese dann in die Hochzeitsfeierlichkeiten von Janusch platzt, kommt es zum Eklat.
Der Komponist Stanislaw Moniuszko gilt als Begründer der polnischen Nationaloper. Seine Musik ist von mitreißenden, folkloristischen Tänzen und Chören geprägt, die er neben leidenschaftliche Arien und Duette setzt. Halka gehört in Polen zum festen Opernrepertoire, während diese Oper in Deutschland nur selten gespielt wird. Ein Grund mehr, um sich dieses Stück am Pfalztheater Kaiserslautern nicht entgehen zu lassen.
UN RE IN ASCOLTO von LUCIANO BERIO am Staatstheater Kassel (Premiere am 23. Mai 2015)
Ein König horcht. Und was gibt es zu hören? In der Oper sollte es klar sein: natürlich Sänger! Denn der horchende König ist ein Theatermensch, der seine Zeit damit verbringt, große Stimmen und eine einzigartige Hauptdarstellerin für ein bestimmes Stück zu finden. Die zahlreichen Kandidaten reichen sich die Klinke in die Hand und verursachen währenddessen mitsamt ihrer Entourage für ein typisch theatermäßiges Durcheinander. Letztendlich wird auf der Bühne nicht nur ein Stück dargestellt, sondern die ganze Welt und die Menschen darauf und darin müssen sich dort selbst erkennen.
Die "azione musicale" Un re in ascolto von Luciano Berio basiert auf einem Text des Schriftstellers Italo Calvino und wurde 1984 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Nun ist dieses "Theater im Theater" am Staatstheater Kassel zu erleben.
LA VERITÀ IN CIMENTO von ANTONIO VIVALDI am Opernhaus Zürich (Premiere am 25. Mai 2015)
Spätestens seit der Neuinszenierung von Berenike an der Oper Stuttgart wissen wir, dass noch einige Perlen der barocken Opernmusik zu entdecken sind. So auch die selten szenisch gespielte Oper La verità in cimento von Antonio Vivaldi. Darin geht es um eine Familie, in der geliebt, gehofft und intrigiert wird. Eine skandalöse Nachricht wirft dann alle in schwere Identitätskrisen, Hysterie und Verzweiflung.
Also, wer hat Lust auf hinreißende Barockmusik, Ironie und unterschwellige Gesellschaftskritik?
Musikalische Leitung: Ottavio Dantone
Regie: Jan Philipp Gloger
Bühne: Ben Baur
Kostüme: Karin Jud
Licht: Franck Evin
Dramaturgie: Claus Spahn
NAHOD SIMON (UA) von ISIDORA ZEBELJAN am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen (Premiere am 29. Mai 2015)
Simon ist ein Findelkind. Als Jugendlicher begibt er sich auf die Suche nach seinen Eltern. Auf dieser Reise begegnet er einer Frau, Ana. Trotz des großen Altersunterschieds verlieben sich die beiden. Als Ana aber erfährt, in welchem Verhältnis sie tatsächlich zu Simon steht, bricht für beide die Welt zusammen.
Die Komponistin Isidora Zebeljan ist bekannt für ihre Experimentierfreude und ihre schräg-temporeichen Stücke. Sie will mehr als nur schicksalhafte Geschichten erzählen und entwirft einen farbenreichen, surrealen Kosmos zwischen Märchen und Altag, Roadmovie, Abgrund und augenzwinkerndem Humor. Für ihre neue Oper Nahod Simon setzt sie neben das Orchester im Graben auch eine Balkan-Banda auf die Bühne.
HÖLDERLIN. EINE EXPEDITION von PETER RUZICKA am Theater Basel (Premiere am 30. Mai 2015)
Der Dichter Hölderlin ist das unsichtbare Zentrum des gleichnamigen zeitgenössischen Musiktheaterwerks von Peter Ruzicka. Er stellt Fragen wie: Was ist der Mensch? Wo hat er Heimat? Ist dies seine Welt? Um diesen existenziellen Themen näher zu kommen, entwirft Ruzicka eine sonderbare Reise durch die Menschheitsgeschichte, die Geschichte des Abendlandes und unsere Moderne. Werden wir am Ende dieser Exkursion mehr über uns wissen?