Denn jedes Wort wurde schon einmal für irgendetwas genutzt, jede Geschichte schon erzählt und jedes Beziehungsdrama konstruiert. Und wer es trotzdem wagt und schreibt, der hat schon gewonnen. Natürlich können sie immer wieder neu erzählt werden, die Geschichten, die wir irgendwie kennen und doch wieder nicht, weil etwas an ihnen anders ist, eine Facette, eine Perspektive, ein Detail, eine Atmosphäre, eine Erzählstimme oder eine Figur, die da nicht hineinpassen will.
Und doch ist das Urteil über Literatur wie immer eine Frage der eigenen Wahrnehmung. Sprachlich und inhaltlich hat mich nicht jeder Text des diesjährigen Open Mike überzeugt und ich hätte mich, was die Prosa betrifft, anders als die Jury entschieden. Es gab Texte, da fiel mir das Zuhören schwer: Beschreibungen, die meine Gedanken in einen Irrgarten schickten, Handlung, die unter der schweren Decke der Sprache bei mir gar nicht erst sichtbar wurde. Deshalb habe ich alle Texte später nachgelesen – meistens blieb mein Eindruck der gleiche; für andere Texte war es gut, ihnen durch das eigene Lesen mehr Raum zu geben als sie in den 15 Minuten auf der Bühne hatten.
Dennoch gab es diese Texte, die etwas in mir ausgelöst haben, denen ich gerne zugehört habe und für die ich mich freue, dass der Open Mike ihnen eine Stimme gegeben hat.