OP-Gespräche

Von Kinomaniac

Der 94jährige Patient war noch unglaublich fit. Jeden Tag trieb er eine Stunde Sport, auch geistig war er noch voll auf der Höhe. Als Linguist hatte er meine volle Aufmerksamkeit und mein volles Interesse. Seine Leistenhernie wollte er sich in Spinalanästhesie operieren lassen.”Wegen meines Herzens, wissen Sie…”, erklärte er mir mit selbstverständlich korrekter Benutzung des Genitivs. Gesagt, getan, wir fuhren mit gut sitzender Spinale in den OP. Ich gab dem Patienten etwas zum Dösen, er wollte aber eigentlich nicht wirklich schlafen. Die Operation schritt zügig voran. Ab und zu sprach ich mit dem Herren, allerdings nicht zu viel, um die Operateure nicht abzulenken. Das war aber eigentlich nicht nötig, denn der Operateur erzählte dem Studenten munter, was er da tat. Schnell kam man auf andere Themen, und ich weiß nicht genau, wie es dazu kam, aber bei der Hautnaht dozierte der Operateur über das bestimmte Vorgehen bei einer großen Magenoperation und über das Herausnehmen der Milz.
“Die Operation ist gleich fertig!”, sagte ich sehr laut und nachdrücklich.
“Oh, das dachte ich mir. Das konnte ich vom Inhalt der Gespräche ablesen.” Ein süffisantes Lächeln umspielte die Lippen des Patienten.
“Und keine Sorge,” sagte ich noch lauter. “Ihre Milz ist auch noch drinnen!”
Das endlich hörte der Chirurg. Erschrocken blickte der noch recht junge Facharzt über den Vorhang. “Ach… das ist ja eine Spinale!”, entfuhr es ihm erschrocken. “Man muss da ja wirklich aufpassen, was man so sagt!”

Stimmt. Muss man. Sollte man eigentlich auch, wenn der Patient schon schläft, es ist schließlich schon oft genug bewiesen worden, dass trotz Narkose Inhalte ins Gehirn gelangen können und dort abgespeichert werden. Bei einem wachen Patienten ist das natürlich unter Umständen noch dramatischer. In Zukunft werde ich den Patienten Kopfhörer aufsetzen. Oder ich werde mir vielleicht ein kleines Schild basteln: “Vorsicht, Regionalverfahren! Patient KANN EUCH HÖREN!”