One Marcuse a day keeps the Verblendung away – Bildkritik Vol.1

One Marcuse a day keeps the Verblendung away – Bildkritik Vol.1

Brick Lane, East London - Foto: Phire

 

In der Londoner U-Bahn.


Ich entdecke oberhalb der Tür eine Werbeanzeige. Wir haben direkten Blick-Kontakt, denn sie befindet sich in Augenhöhe. Sie fixiert meinen Blick, oder ich ihren? In meinem reizüberfluteten Hirn  wirkt sie erstmal nicht ungewöhnlich. Doch ich kann meine Augen nicht abwenden. Der Text schreit mich  regelrecht an, trotz des ratternden Maschinen-Sounds. Er erinnert mich an etwas….

Es ist nicht nur der an den durchschnittlichen, urbanen Bürger gerichtete Text, der einem auf ganz unmittelbare Weise mitteilen möchte, warum man das Produkt benötigt. INSTANT RELIEF, lautet der recht vielversprechende Vorschlag. (Cool, und das ohne Medikamente)

Es ist vor allem das, was hinter der Aussage steckt. Sie basiert auf der Intention, den gestressten Leser direkt ins Zentrum seines von Biopolitik, Staat und Arbeitgeber-Anforderungen durchdrungenen Körpers zu treffen.

One Marcuse a day keeps the Verblendung away – Bildkritik Vol.1
Tube, London – Foto: Phire

Stress? Ich?

Klar!

Relief? Aber sicher.

Am besten passiv, auf dem medialen Silbertablett. Man möchte Fernsehen, Filme, Reality-TV, Sex und bunte Werbung, die zeigt, dass die Welt eigentlich viel besser, interessanter, ach was, lebenswerter ist als das eigene traurige Dasein, das sich täglich durch die U-Bahnen und Straßen dieser Welt kämpft, um einem Job nachzugehen, mit dem man sich weder identifizieren kann, noch möchte.
Die Anzeige fasst die Logik einer aus Konsum und Werbung bestehenden Gesellschaft auf die absurdeste Weise zusammen. Der fast befehlsartige Aufruf zur Befriedigung klingt wie eine ironische Adaption des vom kritischen Philosophen Herbert Marcuse geprägten Begriffs der repressiven Entsublimierung.

Seine zentrale These in ausführlich:
Repressive Entsublimierung bezeichnet eine Art unsichtbares Gesetz,  nach welchem die Gesellschaft die Bereiche Sexualität, Kultur sowie soziale Beziehungen kolonisieren. Freud diagnostizierte seinerzeit noch einen ständigen Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen den Instinkt-getriebenen Wilden (die wir eigentlich immer noch alle sind) und dem von gesellschaftlichen Erwartungen diszipliniertem Bürger.

Natur vs. Zivilisation. Während das Individuum ununterbrochen Bedürfnisse hervorbringt, arbeitet „die  Gesellschaft“ unaufhörlich an deren Unterdrückung.

Sublimierung im Freudschen Sinne bedeutet die Umleitung von Triebe in Kultur, also gesellschaftlich anerkanntes Verhalten und. Nach Marcuse gab es nach dem 2. Weltkrieg eine weitere Entwicklung. Denn diese Instinkte, allen voran Sex und Konsumbedürfnisse, sind heute mehr als erwünscht und können dadurch gesellschaftlich instrumentalisiert werden. Dadurch wirken die durch die Libido gesteuerten Energien nicht mehr befreiend, sondern repressiv, lassen sich unterordnen und kontrollieren. Gerade die sexuelle Liberalisierung der 68er, die trotz allem notwendig war, ermöglichte es, Individuen per omnipräsenter, sexualisierter Werbung und Konsumanreizen zu steuern und dadurch vor allem zu kontrollieren. (Herbert Marcuse:  Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der Fortgeschrittenen Industriegesellschaft. 1967).

Seine zentrale These in kompakt:
Libidinöse Energien und Bedürfnisse werden systematisch abgezapft. Die vermeintliche Freiheit der Menschen besteht quasi darin, die Energien und Bedürfnisse immer und unmittelbar befriedigen zu können, um in der Folge jeglichen Antrieb für die kulturelle Teilhabe zu verlieren.

You have just arrived at the Bethnal Green Station. Here you have access to the DLR, the Overground System and the Northern Line.

Genau, das ist es, ich brauche Access. Ich muss hier raus. Ich steige aus.

Muss.repressiv.entsublimieren.Muss.repressiv.entsublimieren.Muss.repressiv.entsublimieren. Muss.repressiv.entsublimieren.Muss.repressiv.entsublimieren.Muss.repressiv.entsublimieren. Muss.repressiv.entsublimieren.Muss.repressiv.entsublimieren.Muss.repressiv.entsublimieren.

Text und Bilder: Phire

 

Share

wallpaper-1019588
Mit Kindern über gleichgeschlechtliche Liebe reden
wallpaper-1019588
[Comic] Seven Sons
wallpaper-1019588
Momentary Lily: Original-Anime angekündigt
wallpaper-1019588
LUCK LIFE: Band feiert Europapremiere auf der Connichi