Es ist einer dieser Tage, an denen kleine Träume wahr werden. An denen Bands, die so selten auf Tour gehen, dass es an ein Wunder grenzt, wenn man sie mal erleben darf, plötzlich in der Stadt sind. So ging es mir, als ich 2011 im zwischenzeitlich abgebrannten Festsaal Kreuzberg die japanischen Post-Hardcore-Rocker Envy sehen konnte. Acht Jahre hatte ich darauf gewartet. Sólstafir gehören ebenfalls zu diesem Club derjenigen Musiker, die sich auf solche Weise rar und dadurch sehr begehrt machen. Man darf durchaus noch nie etwas von Sólstafir gehört haben, auch wenn sie als einer der größten Exporte Islands gehandelt werden. Wer die eisige, melancholische Düsternis Islands gerne in musikalischer Form erleben möchte, aber neben Björk, Sigur Rós und Ólafur Arnalds auch gerne mal „etwas Härteres“ hätte, bitte sehr.
Seit rund 20 Jahren gibt es die ehemalige Viking Metal Band schon. Seit einigen spielen sie eine absolut einzigartige Mischung aus progressivem Psychedelic-Post-Rock mit gelegentlichem Metal-Einschlag und einem Hang zu pathos-geladener Theatralik (das ist positiv gemeint!). Besondere Alleinstellungsmerkmale sind neben der unverwechselbaren Stimme des Frontmannes Aðalbjörn Tryggvason heutztage vor allem auch die Cowboy-Outfits der Musiker. Sehr stilvoll und passend – obwohl ungewohnt. Mit ihrem aktuellen Album „Ótta“ (etwa „Ängste“) geht die Band aus Reykjavík gerade auf Tour durch Europa, an diesem Freitagabend war nun Berlin an der Reihe. Das K17 in Friedrichshain ist schon eine halbe Ewigkeit eine Institution in Sachen Metal, Hardcore, Gothic, Rock und allen anderen „dunkleren“ Musikrichtungen, und war restlos ausverkauft. Das allein ist schon ein Indiz dafür, dass Sólstafir eine große Anziehungskraft haben. Man muss den Leuten von Landstreicher Konzerte wirklich dankbar sein, dass sie diesen Abend in Berlin möglich gemacht haben.
Die erste Vorband des Events, Obsidian Kingdom aus Barcelona, eröffnete das Programm mit einem Mix aus experimentellem Black Metal, Industrial und viel Power. Sie selbst beschreiben ihren Stil so: „Hard-to-classify heavy sound with plenty of contrasts.“ Das trifft es auch ziemlich genau. Im Grunde klangen sie wie eine Schwester-Band von Sólstafir, eine noch abgedrehtere, wildere und brutalere Schwester. Passte perfekt!
Ganz im Gegenteil zur zweiten Vorband, der norwegischen Hardrock-Formation Sahg. Die Vier spielten zwar mit viel Leidenschaft, und man muss zugeben, dass erst sie die Gäste richtig „auftauen“ konnten. Allerdings sind Standard-Riffs, 4/4-Takte und übertrieben hohe Sängerstimmen nicht für jeden was.
Irgendwann nach der Umbaupause begann schließlich ein wummerndes Intro von Folk-Gesängen in isländischer Sprache, die Lichter verloschen und Nebel zog auf. Sólstafir betraten die Bühne wie geisterhafte Gestalten aus dem Nebel und eröffneten ihr Set mit einem der besten Songs ihres Repertoires: Köld. Und schon hier merkte man, dass es völlig egal ist, ob man auch nur ein Wort der Lyrics versteht, oder eben nicht. Mitsingen geht immer. Leider hatten die Gäste, die sich in die ersten zwei Reihen gekämpft hatten, nicht wirklich was davon. Denn der Sound vor der Bühne war zunächst so richtig schlecht, hörte man leider erst einmal nur Drums und Gesang. Das besserte sich dann aber mit der Zeit zum Glück. Anschließend spielten sie ungefähr die halbe neue Scheibe „Ótta“ durch, während die Hitze in der Halle kontinuierlich unerträglicher wurde. Kein Wunder, bei gefühlten 500 Menschen und keiner erkennbaren Lüftung.
Sänger Aðalbjörn Tryggvason moderierte auf seine verrückt-sympathische Art durchs Programm, wobei er hin und wieder etwas wirr wirkte. In seinem Cowboy-Outfit inklusive Schlangenleder-Boots befragte er das Publikum danach, wer denn schon mal in Island gewesen sei. Dann fügte er hinzu, dass es dort eigentlich so gar nichts zu sehen gebe, außer jeder Menge schwarzen Sands. Eine gelungenere Überleitung zum gleichnamigen finalen Stück „Svartir Sandar“ kann es kaum geben. Mit letzter Kraft gaben auch die Zuschauer noch einmal alles und schrien sich die Kehlen wund. Die Zugabe erfüllte einmal mehr die Erwartung, denn mit „Fjara“ spielten die Isländer ein weiteres ihrer Meisterstücke, auf das insgeheim jeder anwesende gehofft hatte. Mit „Goddess Of The Ages“, dem einzigen englischsprachigen Titel des Abends, schlossen Sólstafir dann das Set ab, nass geschwitzt und sichtlich zufrieden, genau wie die Fans.