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Das OLG Köln hatte heute über 3 Verfahren zu entscheiden, in denen es darum ging, ob alle Einzelheiten, die in öffentlicher Verhandlung in einem Gerichtssaal verlesen oder verkündet werden, auch in der Presse abgehandelt werden dürfen. (Urteile vom 14.02.2012, Az. 15 U 123/11, 15 U 125/11, 15 U 126/11) (Klick)
Natürlich ging es dabei um Jörg Kachelmann, den Wettermoderator, der wegen des Verdachts der Vergewaltigung einer Ex-Freundin angeklagt war und inzwischen im Strafverfahren rechtskräftig freigesprochen worden ist – und zwar aus Mangel an Beweisen und nicht, wie uns ein der Vorsitzende einer Landgerichtskammer in einer unsäglichen mündlichen Urteilsbegründung weismachen wollte und wie es von mutmasslichen Beleidigern und Verleumdern im Internet immer wieder gebetsmühlenhaft behauptet wird, weil man Restzweifel an seiner Schuld habe.
Das Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Jörg Kachelmann war in den Medien ausführlich ausgeschlachtet worden, teilweise unter wörtlicher Verwendung der Akteninhalte. Jörg Kachelmann hatte während der Ermittlungen in einer richterlichen Vernehmung im Detail den zwischen ihm und der Anzeigenerstatterin üblichen und immer einvernehmlichen Sexualverkehr geschildert. Die nun vor Gericht in Anspruch genommenen Medien, die sich schon früh für ein Ergebnis des Prozesses festgelegt hatte – einem Ergebnis, dass dann nicht dem tatsächlichen Prozessverlauf, dem tatsächlichen Beweisergebnis und dem tatsächliche Urteil entsprach – hatten sodann Einzelheiten der Schilderung in ihre Presseveröffentlichungen eingestellt, obwohl diese Einzelheiten mit dem eigentlichen Tatvorwurf nichts zu tun hatten, wie auch die spätere Entscheidung des Gerichts eindeutig ergab.
Trotzdem hatten die Medien erneut über diese Einzelheiten berichtet, als die Protokolle der Vernehmung des inzwischen aus Mangel an Beweisen freigesprochenen und inzwischen wieder sehr erfolgreichen Unternehmers Jörg Kachelmann verlesen wurden. Dieses wurde nun vom OLG Köln untersagt, allerdings liess das Gericht die Revision zum Bundesgerichtshof zu.
Dabei hatte der dortige 15. Senat in seinen Entscheidungen abzuwägen zwischen den Interessen der durch den Prozess Betroffenen und den Veröffentlichungsinteressen der Medien. Das Gericht gab zuletzt den Privatinteressen in diesem Fall den Vorzug und entschied, dass die Medien Umstände aus dem privaten Lebensbereich eines Angeklagten auch dann nicht ohne weiteres verbreiten dürfen, wenn diese in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden sind, dies sei ein unzulässiger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.
Im ersten Augenblick scheint dies Wasser auf die Mühlen der Staatsanwaltschaft Mannheim zu sein, die sich ja bis heute strikt weigert, sowohl den Beschluss des OLG Karlsruhe hinsichtlich der Freilassung Kachelmanns aus der Untersuchungshaft als auch die schriftliche Urteilsbegründung des freisprechenden Urteils des Landgerichts Mannheim in anonymisierter und neutralisierter Fassung zu veröffentlichen bzw. der Veröffentlichung zuzustimmen.
Doch sieht man sich die Begründung des 15. Senats an, so ergibt sich dies gerade nicht, denn das Berichterstattungsinteresse der Medien habe eben nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen hinter dem Recht der von dem Prozess Betroffenen auf Schutz ihrer Intimsphäre zurückzustehen.
Ein überwiegendes Interesse der Medien an der Veröffentlichung ergebe sich dabei nicht daraus, dass die berichteten Umstände später Gegenstand einer öffentlichen Gerichtsverhandlung gewesen seien, in welcher das Vernehmungsprotokoll im Wortlaut verlesen worden war. Schliesslich sei die Öffentlichkeit eines Gerichtssaales nicht mit der Wirkung zu vergleichen, die von einer Veröffentlichung in den Medien, erst recht bei einer Veröffentlichung im Internet ausgehe. Man könne also nicht die Öffentlichkeit des Verhandlungssaals mit der gesamten Öffentlichkeit gleichsetzen.
Ausschlaggebendes Kriterium für die Unzulässigkeit im konkreten Fall sei, dass diese hier veröffentlichten Details über den zwischen Jörg Kachelmann und der Anzeigenerstatterin und mutmasslichen Falschbeschuldigerin üblichen einvernehmlichen Sexualverkehr in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Tatvorwurf gestanden hätten und selbst in der Berichterstattung der Medien nicht in einen solchen Zusammenhang gerückt worden seien. Sie dienten also keineswegs der öffentlichen Information über den Vergewaltigungsprozess, in dem die Nebenklägerin einer Reihe von Lügen überführt wurde und in der man feststellte, dass grosse Teile ihrer Sachverhaltsschilderung nicht mit den angeblichen Spuren in Übereinstimmung gebracht werden konnten und ihre Aussage nicht die erforderlichen Merkmal zeigte, um sie als glaubhaft einer Verurteilung zugrundelegen zu können, sondern allein dem Zweck, der Öffentlichkeit zum wiederholten Male “pikante Details” aus dem Sexualleben des inzwischen rechtskräftig Freigesprochenen präsentieren zu können.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass Jörg Kachelmann zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht strafrechtlich verurteilt worden sei. Während des laufenden Ermittlungsverfahrens und bis zu einer gerichtlichen Verurteilung gelte zu Gunsten des Beschuldigten die Unschuldsvermutung. Dementsprechend zurückhaltend und ausgewogen müsse über den Tatvorwurf und den auf dem Angeklagten lastenden Verdacht berichtet werden .
Das Oberlandesgericht wies ausdrücklich darauf hin, dass die Frage, in welchem Umfang auch über private, das Persönlichkeitsrecht berührende Umstände berichtet werden dürfe, die in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung erörtert worden seien, bisher nicht höchstrichterlich entschieden sei und liess deswegen die Revision zu.
Das Urteil des 15. Senats des OLG Köln steht nach meiner Einschätzung in einer direkten Linie mit den von mir schon zitierten und besprochenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26.02.1997, BVerwG 6 C 3.96) und des Verfassungsgerichtshofes Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.07.2010 zum Az. 1 S 501/10). Näheres finden Sie zB. hier.
Insgesamt kommt es also bei einer Veröffentlichung aus einem laufenden oder einem abgeschlossenen Strafverfahren nicht darauf an, ob und wie die Einzelheiten öffentlich gemacht wurden, sondern darauf, ob sie sich mit dem Tatvorwurf selbst auseinander setzen oder lediglich der Befriedigung des Voyeurismus der Medien bzw. der Öffentlichkeit dienen.
So führte der VGH Baden-Württemberg in seiner schon zitierten Entscheidung aus:
„Das Schutzinteresse des Betroffenen am Ausschluss der Veröffentlichung kann überwiegen, soweit es um besonders sensible Daten geht.“
(…)
Da steht auf der einen Seite das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, auf der anderen Seite das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Und dabei handelt es sich um eine Einzelfallabwägung unter Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung des Verwendungszusammenhangs der Daten. Je näher die Daten zum unantastbaren Persönlichkeitskern stehen und je geringer daher ihr Sozialbezug ist, desto intensiver ist ihr Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen.
Weder das Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen noch das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit genießt generellen Vorrang. Denn beiden Belangen misst die Verfassung wesentliche Bedeutung zu, ohne abstrakt-generell ein Rangverhältnis zu begründen.
Vielmehr ist regelmäßig ein praktischer Ausgleich herbeizuführen, der unzumutbare Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen vermeidet, zugleich aber sicherstellt, dass eine ausreichende Information der Öffentlichkeit über eine getroffene Entscheidung erfolgen kann.
Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss nicht bereits deshalb zwingend zurückstehen, weil eine Entscheidung nicht hinreichend anonymisiert ist und eine datenschutzrechtlichen Anforderungen genügende Anonymisierung angesichts des Streitgegenstandes und der Umstände des Falles auch kaum möglich erscheint.“
Der VGH unterscheidet also zwischen den persönlichen Angaben in einem Urteil, welche für die Allgemeinheit von untergeordnetem Interesse sind und deswegen nicht weitergegeben werden dürfen, und den tat- und sachbezogenen Angaben im Urteil, bei denen das Informationsrecht der Öffentlichkeit überwiegt.
Dabei geht der VGH sogar so weit, sämtliche Daten bzgl. des sozialbezogenen Verhaltens des dortigen Antragstellers – konkret die Darstellung seines beruflichen Werdegangs, die Erwähnung der Vielzahl der von ihm geführten Bewerberschutzverfahren sowie die beschreibende Bewertung seiner Prozessführung – als nicht schützenswert anzusehen; Tabu sei lediglich die Privat- oder Intimsphäre – so zB. Angaben zu psychiatrischen Untersuchungen und deren Ergebnissen – doch nur insoweit, als “deren Kenntnis nicht für das Verständnis der Entscheidung zwingend erforderlich ist.“
Nicht Anderes ergibt sich den neuen Entscheidungen des OLG Köln. Allerdings wird das letzte Wort hierzu nunmehr wohl der Bundesgerichtshof haben. Der Fall Kachelmann ist nun also doch noch auf der Ebene der Bundesgerichte angekommen.
Und die Staatsanwaltschaft Mannheim wird für eine weitere Verteidigung ihrer Entscheidung, dass die schriftlichen Begründungen des OLG Karlsruhe und des LG Mannheim unter Verschluss gehalten werden, aus diesen Urteilen nichts herleiten können, ist es doch an ihr, rechtlich einwandfreie Auszüge aus den schriftlichen Begründungen zu erstellen oder ihnen vorgelegte Entwürfe nötigenfalls anzupassen.
Es bleibt rechtlich spannend bei Kachelmann.