Alles Pflanzliche, das jetzt, von der Kühle genötigt, aus seinem grünen Herzen heraus des nahenden Winters ansichtig wird, kennt nur eine einzige Methode des Überdauerns, wenn es nicht Baum oder Gesträuch ist, sondern: die Zusammenziehung des eigenen Wesens in den Samen. Gewiss, auch Tanne und Linde, Apfelbaum und Himbeerbusch haben ihre Samenbildung, jedoch dient sie lediglich der Verbreitung der Art, während das pflanzliche Einzelwesen auch ohne die Flucht in den Samen den Winter überdauert. Anders steht es mit denjenigen Geschöpfen der Flora, die nunmehr endgültig zu welken beginnen und auf den weiten Komposthaufen der Landschaft geraten. Ihre Auferstehung im nächsten Lenz geht vom Samen her vonstatten.
Im April lernen wir vor dem Katheder des großen Paracelsus, dass die Pflanze - wie jede Kreatur - Anteil hat an den drei Prinzipien Sal, Mercurius und Sulphur: mit der Verwurzelung ist ihr salinisches, erdenfestes Prinzip gegeben, mit Stängel und Blätterfülle ihr merkurisches Strömen und Vermitteln zwischen Erdensein und Kosmos-Kräften, mit der Blüte das sulphurische Verströmen und sublimieren in Farbe und Duft. Nun ist es gerade die Blüte, der brennende Sulphur, woraus sich ein neues Sal-Gebilde formt: der Same.
Der Same gleicht winterlicher Erde: rund, kahl und ohne jedes Entfaltetsein, ist er dennoch Leben in der Latenz, reicher an unsichtbaren Potenzen als alles, was sich dereinst aus ihm in die Manifestation hinein verausgaben wird. Die Kugel, die im kleinsten Raume das Größtmögliche birgt und ballt, die Gestalt des Samenkorns darf als verinnerlichtes Feuer aufgefasst werden, das sich erhärtet hat zu geheimer Erdfigur und der Erde anheimgegeben werden will, um darin zu wurzeln, auf dass es aus der Wurzel grüne und blühe. Was ein Pflanzensame im Sinne seiner Potenzenballungen bedeutet, das können wir an einem Beispiel aus der Welt der Genussmittel erkennen. Trinken wir chinesischen Tee, der aus Blattorganen bereitet ist - atmenden, assimilierenden Blattorganen, die überdies, bei der Tee-Vorbereitung, einem langwierigen Fermentationsprozeß unterworfen wurden -, so nehmen wir, was wenig bekannt ist, bei normaler Zubereitung ein Getränk ein, dessen Gehalt an Coffein (Thein ist chemisch dasselbe wie Coffein) stärker ist als der der gleichen Menge ebenfalls normal zubereiteten Kaffees. Dennoch wirkt der Tee, eben weil er aus Blättern stammt, als Philosophengetränk, das tiefgründige Gespräch befördernd und das weitausholende Denken anregend. Die Tasse Kaffee, aus Pflanzensamen - den Kaffeebohnen - zubereitet, Pflanzensamen, die überdies im Röstprozeß noch feurig aktiviert wurden, enthält zwar etwas weniger Coffein als die Tasse Tee, aber sie wirkt elektrisierend bis in jeden Nerv, trommelt das Gedankenleben bis zur Ideenflucht mobil und überstürzt das Hirn mit Katarakten von Einfällen: aus dem Coffein, das den Tee zum Philosophen- oder Diplomatengetränk machte, ist das Coffein des Literaten- und Journalistengetränks geworden, das Weckmittel, welches Menschen und Geister verquecksilbert und zu raschen Reaktionen aufpeitscht.
Kraftvolle Naturen lieben den Oktober vor allen anderen Monaten. Man muss ihn nur aus rechter Haltung menschgemäßen Kräftigseins verstehen: Kräutersame, lodernd buntes Laub, brausender Sturm und Hirschbrunst besagen alle dasselbe, nämlich dass es nicht der Sinn des Winters ist, uns verarmen zu lassen oder gar zu töten, sondern dass jetzt Hand angelegt werden muss, um, von kühler Luft erfrischt und von überwältigender Farbensymphonie angefeuert, des Jahres Natur- und Schicksalsgeschenke einzukellern im tiefsten Herzen, von wo her alle Entscheidungen fallen, die der Welt vom Menschen her zuteil werden - im Sinne der Worte aus dem buddhistischen Dhammapadam:
Vom Herzen gehn die Dinge aus,
sind hergeboren, herzgefügt ...