Vor Beginn meiner Japan-Reise schwirrten in meinem Kopf viele kulinarische Tagträume umher. Sie hatten mit rohem Fisch zu tun, mit Kobe-Beef und Matcha-Tee. Pfannkuchen – muss ich gestehen – hatte ich nicht auf dem Zettel, als ich mit ambitionierten Erwartungen in den Flieger nach Tokyo stieg. Und doch schreibe ich hier nun einen Lobgesang auf japanische Pfannkuchen. Okonomiyaki. Sie gehören bislang zu meinen aufregendstes kulinarischen Erlebnissen, zusammen mit dem Kobe-Beef in Kobe. Damit sollte die Tragweite des Erlebnisses klar sein.
Okonomiyaki ist in etwa das Gegenteil von Kobe-Beef. Ein Straßen-Snack, günstig, gutbürgerlich, everyday-food. Die einzige Gemeinsamkeit zum Kobe-Erlebnis: Auch nach einem authentischen Okonomiyaki riecht die Kleidung tagelang nach Fett, denn echte Okonomiyaki werden direkt vor den Augen des Gastes zubereitet, mit all seinen olfaktorischen Begleiterscheinungen. In Osaka kam es sogar soweit, dass ich mir ein Okonomiyaki-Outfit zulegte, damit zumindest nur ein Teil der Reisegarderobe in Mitleidenschaft gezogen wird. Aber ich sage euch: Das war es mehr als Wert.
Osaka: Geburtsstadt des Okonomiyaki
Osaka ist die Hauptstadt des Okonomiyaki. Ich wartete deshalb eine ganze Woche lang, bis ich den Snack endlich an seiner Geburtsstätte probieren konnte. Nicht, dass man die Pfannuchen in Tokyo nicht bekäme. Aber nach Kobe in Kobe, hielt ich es für angemessen, dieser Herangehensweise weiterhin zu folgen. Obwohl ich nicht immer ein Fan von Tripadvisor-Empfehlungen bin, lagen wir dieses Mal goldrichtig. Platz 2 von 27000 Restaurants für einen kleinen Imbiss in einer dunklen Gasse – das schrie nach einem besonderen Erlebnis. Und das war es: Authentisch, herzlich, köstlich.
Okonomiyaki ist ein klassisches Restevertungsgericht, das sich zum Lieblingssnack der Japaner gemausert hat. In einen Teig aus Eiern, etwas Mehl, Dashi-Brühe und japanischen Gewürzen werden Frühlingszwiebeln, Ingwer und Kohl eingebacken. Dazu kommen wahlweise Fleisch, Fisch, Tofu oder auch Nudeln. Übersetzt man den Begriff „Okonomiyaki“ bedeutet das so viel wie „Alles was du willst – gebraten.“ Sprich: Hier ist alles erlaubt, was schmeckt, solange es in den traditionellen Teig eingebacken wird. Auch das Topping für ein klassisches Okonomiyaki sieht immer ähnlich aus: Japanische Worcester-Sauce, QP-Majonnaise und Bonito-Flocken (getrockneter Thunfisch). Das mutet im erstem Moment sehr eigenwillig an, fügt sich allerdings bombastisch in die Gesamtkombination ein, sofern man bereit ist, sich darauf einzulassen.
Okonomiyaki-Erlebnis: Showcooking am Tresen
Die Rezeptur und das Geschmackserlebnis machen allerdings nur einen Teil der Okonomiyaki- Erfahrung aus. Bei Chitose-Okonomiyaki, dem Pfannkuchen-Dealer meines Vertrauens in Osaka, sitzt man direkt an der Theke, in die eine riesige Teppan-Platte eingelassen ist. In anderen Läden backt man es sogar selbst., auf der eigenen Platte. Genau wie beim Kobe-Beef, verfolgt man den Weg seines Gerichts also von der ersten Sekunde an. Das krasse Gegenteil ist allerdings das Ambiente. Im Hintergrund stapeln sich bei Chitose Schüsselchen, an denen der Teig hinabläuft. Die Spülmaschine rattert und ein rostiges Ofenrohr teilt die Küche auf rustikale Weise. Der kleine Imbiss bringt auf etwa 20 Quadratmetern 15 Gäste und eine Küche unter. Ich mag das sehr. Es wirkt zwar etwas chaotisch, aber nie unhygienisch. Die Besitzer hier sind herzliche Menschen. Die Frau des Hauses begrüßt uns in überraschend hervorragendem Englisch und mit einem unvermittelt offenen Lächeln. Das bin ich von Japanern so nicht gewohnt und es erleichtert das Eintreten in einen Raum, der ur-japanisch wirkt und für mich sonst oft mit Unsicherheit einhergeht. Das sind die Momente, die ich auf solchen Reisen suche, doch viel zu oft stellen Sprach- oder Kulturbarrieren ein Hindernis dafür dar. Bei Chitose fühle ich mich wohlig fremd, inmitten von Einheimischen, und doch gut behütet.
Wie wird Okonomiyaki gemacht?
Dann ist unser Okonomiyaki an der Reihe. Der Grundteig mit Frühlingszwiebeln, Kraut und Ingwer fließt auf die Platte und beginnt sekündlich zu stocken. Der Koch gibt die Füllung auf die oben noch rohe Masse. Ich entscheide mich für hauchdünne, stark marmorierte Wagyu-Scheiben und Tintenfisch. Nach einigen Minuten beträufelt er die Oberseite mit einem Wasser-Stärke-Gemisch und wendet den etwa zwei Zentimeter dicken Pfannkuchen. Während die Füllung nun unten gar zieht, kümmern sich die beiden Gastgeber um das Topping. Aus großen Kupfertöpfen schöpfen sie jeweils eine Kelle Worcestersauce und Majonnaise, die auf dem Okonomiyaki ihr charakteristisches Muster hinterlassen. Während nun normalerweise die Bonito-Flocken folgen, würzt man bei Chitose nur mit getrockneten Kräutern. Dann schiebt der Koch den Pfannkuchen an den Rand der Platte, die an meinen Platz an der Bar grenzt. So bleibt das Okonomiyaki warm. Mit meinem Spatel steche ich mundgerechte Happen ab und beginne zu genießen.
Eier. Gemüse. Fleisch und Fisch. Dazu Majonnaise und Worcestersauce. Hätte mir vorher jemand diese Kombination vorgeschlagen, hätte ich ihn eventuell als kulinarischen Banausen beschimpft. Jetzt sitze ich hier und bin verblüfft, wie mich dieses Gericht in seinen Bann zieht. Natürlich trägt das unfassbar authentische Ambiente seinen Teil zum Geschmackserlebnis bei und verklärt meine Sinne ein wenig, doch es ist Fakt: Dieses Gericht ist saftig, würzig, cremig und knackig zugleich. Es konfrontiert mich mit einem völlig neuen Geschmack trotz weitestgehend bekannter Zutaten. Ein differenziertes Aromenspiel darf man bei Okonomiyaki natürlich nicht erwarten – dafür aber allerfeinste japanische Hausmannskost.