Ohne Moni, ohne Vroni aber mit Puri-Puri

Herbert Fritsch ist mit „Ohne Titel Nr. 1 – Eine Oper“ anlässlich der Wiener Festwochen im Burgtheater vertreten. Eine schräge Revue, in der das Bühnengeschehen im Allgemeinen gehörig aufs Korn genommen wird.

Es gibt Inszenierungen, die spalten das Publikum in zwei Lager. Oder, wenn es gut geht, sogar in drei. „Ohne Titel Nr. 1 – eine Oper“ von Herbert Fritsch, schaffte es bei den Wiener Festwochen auf Anhieb in die dritte Kategorie.

„Das war toll!“, „Oje, oje“ und „man muss sich halt drauf einlassen“ – waren drei unterschiedliche Reaktionen von Besucherinnen und Besuchern nach der Aufführung. Das 2014 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin uraufgeführte Stück nennt sich einfach frech Oper, weil Fritsch das so beschloss. „Ich werde eine Oper machen“, verkündete der vielbeschäftigte Schauspieler, Regisseur und Medienkünstler. Gesagt, getan. Und da man für eine Oper zumindest auch ein klein wenig Musik braucht, engagierte er hierfür den Komponisten und Musiker Ingo Günther, der ihm schon bei so mancher Produktion zur Seite stand. Schon die Entstehungsgeschichte lässt erkennen, dass es sich hier nicht um eine „Oper“ im herkömmlichen Sinn handelt.

Die schrillen Kostüme von Victoria Behr unterstrichen noch die große Portion Slapstick von welcher der Abend lebt. Vor allem die stilisierten Perücken, die an Plastikfrisuren von Zeichentrickfiguren erinnerten, schoben die Charaktere in ein höchst überzeichnetes Eck. Rosarote und himmelblaue Glitzeranzüge ergänzten die pastellfarbigen Abendroben der Damen. Eine bessere Bezeichnung als Oper wäre wohl Unterhaltungsshow gewesen, aber eine, die bewusst aus der dritten Schublade von unten herausgezogen wurde. Da entwickelte sich gleich nach dem ersten Auftritt ein Streit um eine quietschende Klavierbank, rempelte sich das Ensemble, nach einer musikalischen Intro endlich auf der Bühne angekommen, um die besten Plätze in den vorderen Reihen. Ein abgehalfterter Zauberer stopfte sich ein weißes Tüchlein in den Mund, um es anschließend daraus wieder „hervorzuzaubern“. Nichts, was man so nicht schon irgendwo gesehen hätte, vornehmlich in schwarz-weißen Stummfilmen mit Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy oder den Marx Brothers.

Neben all den Lachern, die sich am Premierenabend anfangs nur zaghaft einstellten, wurde aber dann doch auch zumindest ein kleines Stückchen Musiktheater der bekannten Art geboten. Ein Duett mit einem Sopran und einem Countertenor entwickelte sich nach anfänglichen Dissonanzen zu einem veritablen, ohrschmeichelnden Kanon, in den das gesamte Ensemble einstimmte. Dieser musikalische Höhepunkt wurde erst in der allerletzten Szene präsentiert, zählt man die lange Applausmusik mit ungezählten Auf- und Abtritten nicht dazu.

Ingo Günther, selbst am imaginären Dirigentenpult und an den Keyboards sowie am Xylophon, erhielt durch zwei weitere Musiker Verstärkung. Ein Schlagzeug und ein Klavier, mehr brauchte er nicht zum Glücklichsein. Nicht im Orchestergraben verschwunden, sondern sichtbar für alle direkt vor der Bühne, agierten die Drei und lieferten Tanzmusik, eine Arienuntermalung, aber auch eine Geräuschkulisse, die heftiges Knarzen zu ihrem Aushängeschild erkor. Nicht nur die Inszenierung, auch die Bühne selbst stammte von Fritsch. Ein überdimensionales Sofa – durch die Beleuchtung einmal als rotes Plüschmonster dann wieder als harte Holzsitzgelegenheit definiert, reichte ihm. Darauf wurde gesprungen, herumgerutscht, eine schöne Menschenkette gebildet oder auch kurzfristig geschlafen. Die Lichtregie (Torsten König) tat ein Übriges, um in spektakulären Wechseln die Umgebung mal als unchickes Appartment mit Holzverschalung erscheinen zu lassen. Mal als Nachtclub mit tiefroter Beleuchtung oder als Hollywoodschaukel, auf der es sich trefflich gemeinsam wippen ließ. Es sind Szenen wie die letztgenannte, oder die Umkleidenummer kurz davor, in welcher sich alle Beteiligten von schillernden, bunten Persönlichkeiten in hellbraune Einheitsmenschen verwandeln, die zeigen, was Fritsch unter Theater, pardon Oper versteht. Es braucht keinen großen Schnick-Schnack, sondern clevere Ideen, um überraschende Momente auf der Bühne zu liefern, die uns der Alltag nicht bereithält.

Der Regisseur untersucht in dieser Inszenierung das historische Genre und liefert eine ganze Reihe von Argumenten, was Oper denn nun eigentlich kann: Sie kann unterhalten, sie kann langweilen, überraschen, ins Unendliche ausufern. Sie kann belustigen, missverstanden werden, übertrieben wirken oder nachdenklich machen. All diese Elemente sind in „Ohne Titel Nr.1 – eine Oper“ enthalten. Zwar lassen sich in ihr keinerlei Sinnzusammenhänge abrufen, die eine ganze Geschichte ergeben hätten, aber doch einiges, was die Augen als Futter wahrnehmen konnten.

Die Schlangenfrau zum Beispiel, deren Zunge so gefährlich aus dem Mund schoss, dass man lieber einen Sicherheitsabstand von der Dame halten möchte. Oder das rauchende Liebespaar, das seine Blicke in die Ferne schweifen ließ. Dabei versuchte der Mann seiner Angebeteten in einem amerikanischen Kauderwelsch die Welt zu erklären. Der schwarze Lackschuh, der zu einem Rennauto mutierte oder der nebeneinander aufgefädelte Chor, der ein Lied nur mit dem Buchstaben A zu singen hatte. Wunderbar auch die komödiantische Nummer, die an einen Club Zwei erinnerte. Dabei saß das Ensemble wie auf einer Hühnerstange – ein Mensch neben dem anderen – auf dem überdimensionierten Sofa von dem die Beine herabbaumelten. Höchst amüsant, wie einer von ihnen im wildesten Wiener Dialekt zu „mundeln“ begann. An dieser Stelle war sich das Publikum einig und adelte die Szene mit lautem Gelächter. „Ohne Moni, ohne Vroni“, warf bald darauf ein anderer in die „Diskussion“ ein, ohne auf die Argumente einer Kollegin zu achten, die auf „Puri-Puri“ beharrte. Dada is back – das zeigt sich bei den diesjährigen Festwochen nicht nur in dieser Inszenierung.

Was bleibt aber als Erinnerung tatsächlich haften? Ein chaotischer Haufen liebenswerter Menschen, die über die Bühne stolpern, sich mehrerer Sprachen bedienen, die nicht zu verstehen sind. Dabei halten sie sich nur an die Anweisungen des Regisseurs in undeutlicher Sprache zu sprechen. Aber es bleibt auch der Eindruck, dass Oper, oder was auch immer in einer Black box gezeigt wird, von dem lebt, was sich Menschen für Menschen ausdenken. Sie lebt von Typen, die sich aus der Masse abheben, die überzeichnet für bestimmte Charaktere auftreten, die uns so oder so ähnlich alle schon einmal begegneten. Sie lebt von der Spielfreude der Schauspielerinnen und Schauspieler und von den Ideen des Regisseurs. Dass Oper hauptsächlich von Musik lebt wurde an diesem Abend nicht hörbar und warum ausgerechnet das Burgtheater als Aufführungsort gewählt wurde bleibt auch ein kleines Rätsel. Die Halle G im Museumsquartier hätte viel besser gepasst, auch was die Anziehungskraft für eine gewisse Publikumsschicht betrifft.

Wer sich gerne leicht unterhalten lässt, wird mit dieser Inszenierung gut bedient. Wer ein wenig Hirnfutter mit nach Hause nehmen möchte, tut sich schon ein wenig schwerer.


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