Vor einigen Tagen traf sich Sigmar Gabriel in einer der Spontanaktionen, für die er bekannt und innerhalb der SPD gefürchtet ist, mit Pegida-Anhängern. Er bekundete, "als Privatmann" da gewesen zu sein und ihnen einfach nur zuhören zu wollen. Das ist natürlich Unfug; Sigmar Gabriel kann zu einer Veranstaltung nicht als Privatmann gehen, selbst wenn er es wöllte. Und gewollt hat er das sicher nicht. Aber wo liegt denn eigentlich das Problem, wenn er da hin geht und mal mit "den Leuten" spricht? Die Probleme sind zweierlei: einerseits stößt er damit seinen eigenen Parteifreunden das Messer in den Rücken und andererseits ist das, was er an dem Besuch gesagt hatte, nichts weniger als ein Verrat des ganzen parlamentarischen Systems. Aber der Reihe nach.
Bringen wir zuerst kurz hinter uns, was außerhalb der SPD nicht zwingend jemanden interessieren muss: nachdem Yasmin Fahimi, Generalsekretärin der SPD, offen verkündet hatten, explizit nicht mit Pegida reden zu wollen, eben weil diese Menschen wir ihr das Existenzrecht in Deutschland abspricht, hintergeht Gabriel sie, indem er unabgesprochen eben doch mit Pegida ins Gespräch kommt. Als ihr Parteivorsitzender, Privatmann oder nicht, untergräbt er sie damit vollständig. Eine solche Aktion ohne Absprache mit der Partei kann ein Kreisverbandsvorsitzender oder vielleicht ein Popbeauftragter machen, aber nicht der Parteivorsitzende. Die Offenbarung, "um jede Seele" kämpfen zu wollen, "auch um die meiner Generalsekretärin", schüttet noch Salz auf die Wunde. Jetzt ist es also auch noch Fahimi, die sich von Bruder Gabriel ihre Seele erretten lassen muss? Die Arroganz dieser Äußerung verschlägt einem die Sprache.
Aber Gabriel erweist auch der parlamentarischen Demokratie einen Bärendienst. Wenn er im Dialog mit den Pegida-Leuten (denn natürlich ist er nicht nur zum Zuhören hingefahren) verkündet, dass "die Politik nicht glauben solle, die Elitendialoge, die wir führen, seien identisch mit dem Alltagsdialog der Menschen", dann leistet er genau dem Teil Pegidas Vorschub, der über alle Parteigrenzen hinweg der gefährlichste ist (vom Antiamerikanismus, Rassismus und der Ablehnung des als "political correctness" verschrieenen Progressivismus sei hier nicht die Rede, darüber kann man streiten): die Vorstellung, dass "das System" letztlich völlig losgetrennt von der Realität sei und die Menschen nicht mehr vertrete.
Aufgabe eines demokratischen Politikers - und als solcher versteht sich Gabriel sicher - muss es sein, für die Beteiligung innerhalb des Systems zu werben und zu versuchen, Vorurteile abzubauen. Gabriel hätte, wenn er denn schon einmal da war und einen direkten Dialog mit dem Volk gesucht hat, einmal darüber reden können, warum Demokratie manchmal so ist wie sie ist. Stattdessen gewinnt er ein Bier bei einer Wette und benimmt sich wie Seehofer am politischen Aschermittwoch. Das kann man natürlich machen, aber dann hat man ungefähr genau den gleichen Gehalt wie der Bayer. Als Kanzlerkandidat 2017 hat sich Gabriel in meinen Augen moralisch wie politisch diskreditiert. Seine Partei müsste wahnsinnig sein oder ohne jede Alternative, um auf ihn zurückzugreifen. Aber vielleicht erbarmt sich ja bis dahin jemand anderes der Seele der SPD.